Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Der Gefühlsethnologe

Max Dorner war an MS erkrankt - doch statt in Selbstmitleid zu versinken, wurde er aktiv für andere. Jetzt ist der Autor und Kultur-Förderer im Alter von 49 Jahren gestorben.

Von Alex Rühle

Man kann es sich ja meist nicht aussuchen. Max Dorners Schutzengel zum Beispiel. Eindeutig ein Anfänger, sonst hätte er Dorner ja wohl davor bewahrt, an Multipler Sklerose zu erkranken. Andererseits konnte der ihm das auch nie übelnehmen: "Schließlich hätte mein Schutzengel für den Anfang auch gerne einen einfacheren Fall gehabt als mich." Max Dorner schaute einen bei solchen Sätzen gern mit der ihm eigenen Mischung aus melancholischem Ernst und Grübchenhumor an.

München hat am Wochenende selbst eine Art Schutzengel verloren. Max Dorner ist gestorben. Man hat als Berichterstatter ja seine Contenance zu wahren, aber diese Meldung, die trifft doch viele in der Stadt, als seien sie in vollem Lauf gegen einen Betonpfosten gelaufen.

Für seinen Debütroman "Der erste Sommer" erhielt er den Bayerischen Kunstförderpreis

Bis 2006 klingt Dorners Biografie nach vielversprechendem Multitalent - und wer weiß, ob er ohne seine Krankheit nicht vielleicht Opernregisseur geworden wäre, so sehr, wie er das große Drama liebte, Wagners "Ring" und den italienischen Belcanto. Er hat Dramaturgie studiert an der Bayerischen Theaterakademie, und für seinen Debütroman "Der erste Sommer", der im München des Jahres 1945 spielt, den Bayerischen Kunstförderpreis erhalten.

Mit 33 merkte er während einer Yogastunde erstmals, dass was nicht stimmt mit seinem Körper. "Du gehst rein als gesunder Mensch und kommst raus mit MS." Kurz zuvor war er noch zu Fuß von München nach Rom gepilgert, plötzlich konnte er kaum noch den Treppenabsatz zu seiner Wohnung bewältigen.

2008 erschien "Mein Dämon ist ein Stubenhocker", das erste von fünf Büchern, die das Kranksein thematisieren, ohne dass da je Elend zur Schau gestellt wird oder einer seine Wunden leckt. Vielmehr schreibt Max Dorner über die Dinge, die uns alle betreffen, wie eine Art Gefühlsethnologe, der emotionalen Grundzuständen von verschiedenen Seiten zu Leibe rückt und sich dabei nur weiter vorwagt als die meisten: 2015, auf der TEDx-Konferenz in München, fragte er in den vollbesetzten Saal: "Wer von Ihnen ist einsam?" Niemand meldete sich. Da fing er an, über Einsamkeit an sich zu sprechen, und es war im Dunkel zu spüren, wie die Menschen um einen herum merkten, dass es hier um sie alle ging.

Max Dorner war allergisch auf den Betriebsnudelsalat der Kulturschickeria

Max Dorner war allergisch auf den Betriebsnudelsalat der Kulturschickeria und machte mit seinem Rollstuhl einen möglichst großen Bogen um all die Adabeis, die diese Stadt so gründlich verpesten. Gleichzeitig wurde er mit den Jahren sanfter, mit sich und mit anderen. Aber vielleicht hätte er an dieser Stelle interveniert, weil er einen untrüglichen Kitschdetektor hatte. Darum stattdessen eine Anekdote: Einmal, im Café bei ihm um die Ecke, grantelte die ältere Bedienung hinter der Theke rum, brachte nur provozierend langsam, was er bestellt hatte. Max Dorner aber sagte: Ich liebe das, endlich mal jemand, der sich nicht hetzen lässt.

Es muss oft ein großes Elend gewesen sein, er aber ließ sich das nie anmerken. Statt in Selbstmitleid zu versinken, gründete er lieber einen Verlag oder bewies als Käpt'n Wheelchair im Comedy-Programm mit der Schauspielerin Susanne Plassmann, dass man über die eigene Behinderung sehr wohl gute Witze machen kann. Er rief eine Art Autorenstammtisch namens "Sarabande" ins Leben oder veranstaltete aus seiner Erdgeschosswohnung im Westend Solidaritätslesungen für den im fernen China inhaftierten Liu Xiaobo.

Später versuchte Max Dorner möglichst vielen anderen Menschen Zutritt zu verschaffen zu Räumen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären: Seit 2015 vertrat Dorner im Kulturreferat den Bereich Kunst und Inklusion und zerbrach sich täglich den Kopf darüber, wie Menschen mit Behinderungen selbst künstlerisch aktiv werden und partizipieren können. Dorner hat mit sanfter Vehemenz viele inklusive Theaterprojekte oder Kunstprojekte autistischer Menschen ermöglicht.

"Islands of Silence" nannte er seine Fotos kaputter Lifte an S- und U-Bahnstationen

In Max Dorners Badezimmer fehlte irgendwann der Spiegel. Stattdessen stand da in seiner schwarzen Handschrift: "Ich bin schön." - Das Leben ist oft so derb, die Welt von dermaßen ignoranter Hässlichkeit, dass Dorner es als seine Pflicht ansah, es ihr mit Humor und Pragmatismus heimzuzahlen. Im Entwürdigungsparcours, den man als Rollifahrer fast täglich neu zu bewältigen hat (Kopfsteinpflaster, abschüssige Fußwege, Treppenaufgänge) fand er all die kaputten Lifte an den S- und U-Bahnstationen stets am allerdemütigendsten. Statt aber nur rumzuschimpfen (was er durchaus beherrschte), sammelte er in einer Art Notwehrreflex Fotos der Lifte, nannte das Ganze "Islands of Silence", Inseln der Stille, und deutete so diese Situationen beschämender Hilflosigkeit um in Momente der Autonomie und inneren Sammlung: "Vor einem kaputten Lift zu stehen vermittelt einem das Gefühl, sich vor dem Allerheiligsten aufzuhalten. Es ist unerreichbar und doch so nah, es ist die Verbindung von Diesseitigkeit und der Schwere der Erde."

In der Nacht von Freitag auf Samstag ist Max Dorner im Alter von 49 Jahren überraschend im Schlaf gestorben. Er hinterlässt seinen Lebensmenschen Serhat, seine Eltern, die Schwester Sally und einen großen Freundeskreis mit einer nunmehr klaffend leeren Mitte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5755018
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/mbr/aw
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.