„Das ausgegrabene Pompeji schien mir im Vergleich zu München gut erhalten zu sein.“ Das sagte Wilhelm Hoegner, im Rückblick auf seine von den Bomben der Alliierten zerstörte Heimatstadt und wie sie im Frühling 1945 vor ihm gelegen hatte. Der Jurist, SPD-Mann und spätere Bayerische Ministerpräsident war aus dem Schweizer Exil zurückgekehrt. Dort hatte er bereits an dem Verfassungsentwurf erarbeitet, der für den neu zu gründenden Freistaat maßgeblich war und es bis heute blieb.
Wie ist sie also genau zu datieren, diese „Stunde Null“ des Neubeginns in München? Diese Zeit, die auf den Einmarsch der Amerikaner am 30. April, die Leichenstarre der „Hauptstadt der Bewegung“, die Befreiung vom Hitler-Regime und dessen Kapitulation folgte? Freilich war damals nicht alles auf null. Erschreckende Kontinuitäten der Macht wurden allerdings erst später zum großen gesellschaftlichen Thema. Erst einmal galt es, das Überleben zu stabilisieren, es zu gestalten, es zu feiern.
Aus diesem Anlass sind in München, 80 Jahre nach jenem Frühling 1945, mehr als 200 Veranstaltungen geplant, 130 Institutionen und einzelne Kreative sind beteiligt. Vom Kulturreferat begleitet, steht die Reihe unter dem Motto „1945–2025 Stunde Null? Wie wir wurden, was wir sind.“ Von Ausstellungen bis zu Fahrradtouren zu wichtigen Orten dieser Epoche ist alles geboten.
Ausstellungen

Die Bandbreite der Ausstellungsthemen ist groß. Sie reicht von Nachkriegspublikationen wie der Zeitung The Munich American, die 1947 bis 1952 die Kultur und Freizeitaktivitäten der amerikanischen Besatzer abbildete bis zu „Spuren im Gesicht“ der ersten als Gastarbeiterinnen nach München gekommenen Frauen.
Eine unwiederbringliche Gelegenheit aber bietet die Ausstellung „Amis in der McGraw-Kaserne“. Denn sie führt ihre Besucher auf deren ehemaliges Areal, das gerade massiv umgestaltet wird. Der Gebäudekomplex an der Tegernseer Landstraße symbolisiert auch den Wandel von der NS-Zeit zur Demokratie. Errichtet wurde er 1935 als NSDAP-Reichszeugmeisterei, von 1945 bis 1992 residierte dort die US-Armee, seither ist es Dienstgebäude von Polizei und Staatlichem Bauamt.
Die Ausstellung vermittelt die Geschichte des historischen Orts über die Biografien von Personen, deren Lebenswege mit diesem verbunden waren. Zusätzlich dokumentiert eine Fotoausstellung historische Spuren und deren Verschwinden infolge der Neugestaltung des Areals.
Amis in der McGraw-Kaserne, Dienstag, 11. März (Vernissage 18 Uhr) bis Sonntag, 30. März (Finissage 16 Uhr), Dienstag bis Sonntag, 14–20 Uhr, Staatliches Bauamt München 1 / Gebäudeflügel Tegernseer Landstraße
Film

Das Filmmuseum beginnt sein Programm im neuen Jahr mit der Reihe „Stunde Null?“ und zeigt drei Spielfilme und einen Dokumentarfilm. Alle nehmen den Blickwinkel der Kinder und ihrer Mütter ein.
Marianne Rosenbaums Film „Peppermint Frieden“ (1983) spielt in der katholischen bayerischen Provinz. Flüchtlinge aus dem böhmischen Theresienstadt, die anders waren als die Einheimischen in der neuen Heimat Straubing, mussten besonders um ihre Identität kämpfen. Mit Peter Fonda, Konstantin Wecker, Hans-Peter Korff und Cleo Kretschmer ist dieser selten zu sehende Film prominent besetzt. (Dienstag, 14. Januar, 18.30 Uhr)
Die deutsch-australisch-britische Koproduktion „Lore“ (2012) von Cate Shortland stellt eine junge nationalsozialistisch erzogene Frau in den Mittelpunkt. Nach Kriegsende zieht sie mit ihren vier kleinen Geschwistern durch eine gespensterhafte Landschaft, um vom Schwarzwald zur Großmutter an die Nordsee zu gelangen. Dabei muss sie unvorstellbare Wahrheiten erfahren. Saskia Rosendahl ist hier in ihrer ersten Kinohauptrolle zu sehen. (Dienstag, 21. Januar, 18.30 Uhr)
Im Dokumentarfilm „Ruinenschleicher und Schachterleis“ (2023) von Michael von Ferrari, Angelika Wimbauer und Lutz Eigel kommen Zeitzeugen zu Wort, die das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit in München als Kinder erlebten. Der Film ergänzt deren Eindrücke mit Fotos und Archivmaterial, auf geschichtliche Daten oder Einordnungen verzichtet er weitgehend. (Dienstag, 28. Januar, 18.30 Uhr, zu Gast: Michael von Ferrari)
Stunde Null? Vier Filme, bis Dienstag, 28. Januar, im Filmmuseum München
Foto

Die Hollywood-Produktion „Die Fotografin“ mit Kate Winslet in der Titelrolle hat 2023 dafür gesorgt, dass der Name auch der jüngeren Generation geläufig ist: Lee Miller. Die US-amerikanische Kriegsfotografin begleitete Soldaten von der Landung in der Normandie bis zur Befreiung des KZ Dachau. Unerschrocken dokumentierte sie Leid und Zerstörung des Krieges. In die Geschichte eingegangen ist eine besondere Aufnahme.
Das Foto zeigt sie selbst in Hitlers Badewanne in seiner Wohnung am Prinzregentenplatz. Auf den Badeläufer hat sie ihre Stiefel gestellt, an denen noch der Staub von Dachau haftet. Links am Wannenrand ist ein Foto des „Führers“ platziert, rechts ein Akt nach dem Geschmack der Blut-und-Boden-Ästhetik. Die Aufnahme ist zweifelsfrei kein rein dokumentarischer Akt. Wie und was Lee Miller sonst festgehalten hat, zeigt eine Schau im Amerikahaus.
Lee Miller, Fotografien von Kriegsende, Befreiung und Neubeginn, 31. Januar bis 31. Juli, Amerikahaus München
Gesellschaft

Schweigen ist eher Gift als Gold. Trotzdem erscheint bei manchen Konfliktthemen alles gesagt und doch nichts erreicht worden zu sein. In Diskussionen zu Israel und Palästina, zur Ukraine und Russland oder bei Streits über Identität, Geschlecht und Religion etwa. „Wie kommen wir raus aus der diskursiven Sackgasse?“, ist ein Gespräch im Volkstheater zur „Stunde Null“-Reihe betitelt. Denn mit dem Niedergang der Kommunikation, so die Veranstalter, verkümmere auch die Demokratie – einstmals mühsam aufgebaut in der Nachkriegszeit.
Wie gegenzusteuern ist, loten aus: die Politologin, Publizistin und Antirassismus-Trainerin Saba-Nur Cheema, die Filmemacherin und Professorin für Aktuelle Digitale Medien an der Akademie der Bildenden Künste München Hito Steyerl und Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München. Durch das Gespräch führt Deutschlandradio-Moderator Korbinian Frenzel.
Wie kommen wir raus aus der diskursiven Sackgasse?, Freitag, 14. Februar, 19 Uhr, Münchner Volkstheater
Kunst

Im ehemaligen Verwaltungsbau der NSDAP am Königsplatz richtete die amerikanische Militärregierung den Central Collecting Point, eine Sammelstelle für NS-Raubkunst ein – und das kam nicht von ungefähr. Im Keller des Baus hatten die Nazis Kunstwerke für ein von Hitler für die Zeit nach dem Krieg in Linz geplantes Führermuseum zusammenzutragen. Heute befindet sich in dem Bau das Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Iris Lauterbach ist dessen ausgewiesene Expertin für diesen Teil der Historie des Gebäudes.
Sie hat eine Reihe von kurzen Vorträgen mit anschließenden Gesprächen kuratiert, in der Schlaglichter auf München im ersten Nachkriegsjahrzehnt geworfen werden: Wie wandelte sich die ehemalige „Hauptstadt der Deutschen Kunst“ unter alliierter Kontrolle? Welche Brüche und Kontinuitäten im „Betriebssystem Kunst“ sind zu beobachten? Wie vollzog sich die Rückführung von NS-Raubkunst? Wie sah die Stadt damals aus?
Kunst-Sonntag im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, jeweils 11–12.15 Uhr, Vortragssaal 242, 2. Stock
Literatur

Vom Damals zum Heute wird auch in der Sektion „Literatur“ ein Bogen geschlagen. Der Vortrag „Nur gute und moderne Literatur – 1945“ im Einstein Bildungszentrum (Freitag, 14. März, 10.30 Uhr Freitag, 21. März, 10.30 Uhr, Freitag, 4. April, 10.30 Uhr, Freitag, 11. April, 10.30 Uhr) berichtet von den literarischen Neuanfängen in München. In der stark zerstörten Stadt postulierte Erich Kästner, wie es weitergehen sollte. Mit dabei waren Alfred Andersch und Wolfgang Koeppen.
Heute leben in München viele Exil-Literaten und -Literatinnen aus aller Welt. Darunter die Journalistin und Autorin Yirgalem Fisseha Mebrahtu. Sie war in Eritrea bis zu ihrer Verhaftung 2009 Programmdirektorin des Bildungssenders Radio Bana. Sie saß sechs Jahre ohne Gerichtsverfahren im Militärgefängnis. 2018 gelang ihr die Flucht. Mit Tanja Kinkel, die über 20 Romane mit einer weltweiten Gesamtauflage von mehr als sieben Millionen Exemplaren geschrieben hat, veröffentlichte sie die Korrespondenz „Freiheit in Briefen“.
In der Tolstoi-Bibliothek stellen beide ihren Brief-Austausch vor in der Reihe „Schreiben im Exil“: Mittwoch, 5. Februar, 19.30 Uhr
Rundwege

München wurde wie ganz Bayern in der Nachkriegszeit auch durch deutsche Vertriebene und Flüchtlinge geprägt. Bei einem Stadtrundgang zeigt das Haus des Deutschen Ostens anhand von Biografien und Wirkungsorten bekannter und kaum bekannter Persönlichkeiten wie Volkmar Gabert oder Dieter Hildebrandt diese Seite der Stadt.
Neu-Münchner aus dem Osten, Rundgang, Treffpunkt: Marienplatz (Fischbrunnen) Tour-Ende: Haus des Deutschen Ostens. Freitag, 28. März, 15–17 Uhr, Dienstag, 8. April, 10–12 Uhr
Theater

„Am alten Platz in neuer Gestalt − das Neue Residenztheater ab 1951“ unter diesem Motto hat das Bayerische Staatsschauspiel einen Abend mit Lesung, Vorträgen und einer Diskussion gestellt. Denn der sogenannte Wiederaufbau „am alten Platz in neuer Gestalt“ stand in der Nachkriegszeit für Hoffnung, Aufbruch, aber auch für Verpflichtung, glauben die Veranstalter von heute. „Erbaut in einer Zeit großer innerer und äußerer Not“ sollte das Bayerische Staatsschauspiel „Freude und Besinnung schenken“, so schrieb man es sich damals auf die Fahnen.
Auf der Bühne werden stehen: Rasmus Cromme vom Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität, Peter Kifinger vom Lehrstuhl für Baugeschichte der Technischen Universität München und das Residenztheater-Ensemble.
Am alten Platz in neuer Gestalt, Donnerstag, 27. März, 20 Uhr, Residenztheater, Zur schönen Aussicht