Streit um MVV-Fahrkartenpreise:Münchner Grüne attackieren Oberbürgermeister Reiter scharf

Fahrscheinautomat in München, 2018

Werden künftig gefräßiger: Wer die Angebote des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds nutzen will, muss die Kassenautomaten ab Dezember besser füttern. Die Preise steigen um 3,7 Prozent.

(Foto: Florian Peljak)

Die Preiserhöhung bei den öffentlichen Verkehrsmitteln des MVV sende ein falsches Signal und sei nicht abgesprochen gewesen. Und Dieter Reiter? Der kontert.

Von Anna Hoben und Andreas Schubert

Die geplante Erhöhung der Tarife für den öffentlichen Nahverkehr hat zu einem öffentlichen Schlagabtausch zwischen den Koalitionspartnern im Rathaus geführt. Zum Fahrplanwechsel im Dezember steigen die Preise für die Tickets im Schnitt um 3,7 Prozent. Darauf hatten sich die Gesellschafter des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV), also die Stadt München, der Freistaat und die acht Landkreise im MVV-Gebiet, am Freitag geeinigt. Die Fraktion der Grünen/Rosa Liste verschickte daraufhin am Montag einen offenen Brief an OB Dieter Reiter (SPD). "Mit Verwunderung haben wir von der anstehenden Erhöhung der MVV-Tarife Kenntnis genommen", heißt es darin. "Wir hätten es vorgezogen, wenn eine für die Verkehrswende - unser gemeinsames politisches Projekt - so bedeutende Entscheidung zuvor in den Gremien der Stadtratsmehrheit hätte erörtert werden können."

Und weiter: Auch wenn die öffentlichen Verkehrsmittel nicht kategorisch von jeglicher Verteuerung ausgenommen werden könnten, "irritiert uns das völlige Fehlen strategischer Überlegungen und irgendeiner sozialen Struktur". So kritisieren die Grünen, dass die für sozial Benachteiligte reservierte Isarcard S um die gleiche Rate erhöht wird wie andere Angebote. Auch die Treue von Abonnenten werde bei den Preissteigerungen nicht berücksichtigt.

"Reines populistisches Wahlkampfgetöse", konterte OB Reiter, mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl zwar "wenig überraschend, aber in der Sache leider vollkommen daneben". Bei den Erhöhungen handle es sich um einen Kompromiss, der "den tatsächlichen Finanzbedarf unseres Verkehrsunternehmens nicht einmal zur Hälfte" decke. Die Grünen lieferten aber weder einen Vorschlag zur Finanzierung generell noch dazu, welche Kunden man für die kritisierten Einzelerhöhungen hätte höher belasten sollen.

Auf Nachfrage sagt Florian Roth, Fraktionsvorsitzender der Grünen, solche Vorschläge seien schwierig zu machen, wenn man in die Vordiskussionen nicht eingebunden gewesen sei. Er hätte sich aber zum Beispiel vorstellen können, die Tickets für Einzelfahrten stärker zu erhöhen. Allerdings soll ein Einzelticket in der Zone M von Dezember an bereits 3,50 Euro kosten. Wenn man schon nicht involviert gewesen sei, so Roth, habe man mit dem offenen Brief zumindest die eigene Position verdeutlichen wollen.

Katrin Habenschaden präsentiert Wahlplakat in München, 2019

Will mehr Münchner in den Untergrund bringen: Katrin Habenschaden (Die Grünen), hier bei der Präsentation eines Plakats für die OB-Wahl 2020.

(Foto: Robert Haas)

Der OB freut sich indes, dass sich die Grünen seiner Haltung bei der Forderung an Bund und Land nach einer besseren Finanzausstattung des ÖPNV anschlössen. "Wir unterstützen Sie daher uneingeschränkt in all Ihren Bemühungen, neue Finanzierungsquellen für den ÖPNV zu erschließen", heißt es in dem offenen Brief.

Die SPD-Fraktion wollte sich am Montag nicht selbst äußern, der Antwort des OB habe man nichts hinzuzufügen. Manuel Pretzl, Vorsitzender der CSU im Stadtrat, sagte, auch seine Fraktion sehe die Preiserhöhung kritisch. "Wir haben das 365-Euro-Ticket als Ziel, wollen also eine Tarifsenkung." Bei den Grünen aber klafften "öffentliche Appelle und tatsächliches Handeln" auseinander. Die grün-rote Stadtratsmehrheit hatte das 365-Euro-Ticket im Juni abgelehnt. Es war letztlich an der Frage der Finanzierung gescheitert.

Jedes Jahr entscheiden die Gesellschafter des MVV neu über die Tarife, die dann jeweils vom Fahrplanwechsel im Dezember an gelten. Vergangenes Jahr waren die Preise erstmals nach drei Jahren wieder gestiegen, unter mehreren Vorschlägen setzte sich der moderateste mit einer Erhöhung von 2,8 Prozent durch. 2018 hatte es erstmals seit Langem eine Nullrunde gegeben, 2019 sanken mit der Tarifreform die Preise sogar um durchschnittlich sieben Prozent. 2017 war die Erhöhung mit 1,9 Prozent im Vergleich zu früheren Jahren gering: 3,8 Prozent waren es zum Beispiel 2008, 4,9 im Jahr darauf, auch in den Jahren 2012 (3,7) und 2014 (3,6) stiegen die Preise deutlich. Es ging aber auch schon schlimmer: 1980 etwa betrug die Steigerung satte 30 Prozent.

An der "Routine jährlicher Tarifsteigerungen", wie es die Grünen nennen, führt aus Sicht der Verkehrsunternehmen, allen voran die Deutsche Bahn und die Münchner Verkehrsgesellschaft, kein Weg vorbei. Sie verweisen darauf, dass sie auf die Fahrgeldeinnahmen angewiesen sind, um ein attraktives Angebot bieten zu können. Dass die Preise dabei regelmäßig steigen, sei den allgemeinen Teuerungen, etwa bei den Energiepreisen, geschuldet. Angenommen der ÖPNV wäre ganz kostenlos, fehlten dem MVV weit mehr als 900 Millionen Euro im Jahr. Doch selbst mit diesen Einnahmen lässt sich ein deutlicher Ausbau des ÖPNV nicht finanzieren, um das Ziel zu erreichen, die Passagierzahlen zu verdoppeln. Dies geht laut MVV-Chef Bernd Rosenbusch nur mit mehr Subventionen.

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