Süddeutsche Zeitung

Münchner Verkehrs­gesellschaft:Kolumbus macht Ärger

Die MVG benennt Busse für Schulausflüge nach dem Seefahrer. Die Initiative Cambio sieht darin die Verharmlosung einer umstrittenen Figur der Kolonialgeschichte und fordert einen neuen Namen.

Von Ellen Draxel und Patrik Stäbler

"KolumBus" ist ein Bus, der Kinder zu Ausflugszielen bringt. Ein Bus, der helfen soll, in den jungen Menschen Entdeckergeist zu wecken. Mit dem Namen des Seefahrers Christoph Kolumbus dieses Bus-Angebot für Schulklassen zu bezeichnen, scheint ein gelungener Werbecoup zu sein. Die Bürgerinitiative Cambio aber, die sich für eine Aufarbeitung kolonialen Denkens und Handelns einsetzt, will für eine andere, globalere Sichtweise sensibilisieren. Sie fordert eine Umbenennung.

Zwei Busse der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) tragen den Schriftzug "KolumBus ... für Schulausflüge". Der Name prangt in großen Lettern auf den Seitenflächen der Fahrzeuge. Die Busse, ein normaler und ein Gelenkbus, können seit 2018 von Schulen gebucht werden, sie sollen die Mädchen und Jungen und ihre Lehrer "stressfrei auf Entdeckungstour" etwa in den Tierpark, zum Museum Mensch und Natur, zur Volkssternwarte, ins Kindermuseum, zum Sea Life im Olympiapark oder zum Walderlebniszentrum Grünwald bringen - für eine Summe von 270 bis 530 Euro. Die Kosten variieren je nach Ziel und Dauer des Ausflugs sowie der Wahl des Busses. Seit Anfang 2020 sind die Schulfahrten bedingt durch die Corona-Restriktionen zwar ausgesetzt, die Busse werden momentan ausschließlich im regulären Linienbetrieb eingesetzt. An der Kritik am Namen ändert das aber nichts.

"Kolumbus", sagt Amanda Muñoz-Hüttl, "war lediglich aus eurozentristischer Sicht ein ,Entdecker'. Zum Zeitpunkt seiner Ankunft war der Kontinent Amerika bereits seit Jahrtausenden bewohnt." Muñoz-Hüttl gehört einer Gruppe von Studenten an, die es sich zum Ziel gesetzt hat, gemeinsam mit Münchner Bürgern koloniale Geschichte in der Stadt aufzuarbeiten. Die Initiative Cambio will nicht nur den Bus der MVG umbenannt wissen. Sie fordert auch neue Namen für Kolumbusplatz und Kolumbusstraße. Denn durch die derzeitige Namensgebung, argumentieren die Mitstreiter, werde "Geschichte verherrlicht, idealisiert und verharmlost".

"Gerade bei Kindern", betont Muñoz-Hüttl, "ist eine korrekte und vielseitige Bewusstseinsbildung enorm wichtig." Der Slogan der MVG "Mit dem KolumBus auf Entdeckungstour: stressfrei hin und zurück" vernachlässige, dass durch Kolumbus' Ankunft auf einer Insel der Bahamas Kolonialismus und erzwungene Christianisierung begonnen hätten. Kolumbus, sagt sie, habe Feldzüge gegen die indigene Bevölkerung geführt, er habe toleriert, dass einheimische Frauen vergewaltigt wurden. Dem Volk der Taíno habe er eine Goldsteuer auferlegt und zugelassen, dass jedem, der die Steuer nicht bezahlte, die Hände abgehackt wurden. "Kolumbus versklavte Menschen und verschiffte sie nach Spanien. Bei den Überfahrten starben viele indigene Personen aufgrund von Krankheiten und Kälte." Diese Gräueltaten, sagt Muñoz-Hüttl, erforderten eine kritische Auseinandersetzung. Die Bezirksausschüsse (BA) Schwabing-West und Au-Haidhausen, in deren Sitzungen Cambio um Unterstützung warb, teilen die Einschätzung.

So plädierte das Gremium von Au-Haidhausen einstimmig dafür, einen Brief an die MVG zu verfassen. Die Bitte: Die Verkehrsgesellschaft möge die Benennung ihres Angebots für Schulausflüge doch noch einmal "intensiv überdenken". In der Debatte hatte es allerdings auch nachdenkliche Stimmen gegeben. Nikolaus Haeusgen (CSU) etwa sprach sich dafür aus, zunächst in Ruhe über dieses "komplizierte Thema" zu beraten. "Denn wenn wir das fordern, dann müssten wir folgerichtig auch die Umbenennung des Kolumbusplatz verlangen", sagte er. "Die Frage ist dann, wo fangen wir an und wo hören wir auf."

Ähnlich äußerten sich Haeusgens CSU-Kollegen im Westschwabinger BA. "Uns stellt sich die Frage, wo man da die Grenze setzt", sagte Ferdinand Rüdinger. "Die Römer waren ja auch Eroberer. Trotzdem will keiner die Römerstraße umbenennen." Die Diskussion grenze an "Absurdität". Kolumbus, ergänzte Linken-Politiker Rudi Knauss, sei "inzwischen doch eine Metapher geworden. Kein Mensch denkt da mehr an Kolonialgeschichte". Die große Latino-Community in München, erwiderte Amanda Muñoz-Hüttl, interpretiere den Begriff "sicher nicht als Metapher".

Mit den Stimmen der Grünen, die "ein Zeichen setzen" wollen, und der SPD, die das Ganze, wie Thomas Rock sagte, zwar "schon als grenzwertig" erachte, aber der Meinung sei, dass "das Bewusstsein für die Geschichte geschärft werden muss, besonders, weil es Kinder betrifft", stimmte letztlich auch der Westschwabinger BA mehrheitlich dafür, die MVG um eine Namensänderung zu bitten. Inzwischen hat Cambio seine Forderung auch in einem offenen Brief kundgetan, den eine ganze Reihe an Institutionen mitunterzeichnet hat, darunter der Münchner Migrationsbeirat und der Bayerische Flüchtlingsrat.

Und was sagt die MVG? Man nehme, erklärt Sprecher Johannes Boos, die Kritik "sehr ernst" und prüfe, "ob der Name für das Angebot modifiziert werden" kann.

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SZ vom 01.06.2021/vewo
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