Sparpläne der Stadt:"Muttersprache ist Identität"

Förderungen zu muttersprachlichen Kursen sollen gestrichen werden. Der Migrationsbeirat und weitere Institutionen warnen vor persönlichen und gesellschaftlichen Nachteilen.

Von Thomas Anlauf

Sie sind Kinder zweier Welten. Ihre Eltern oder Großeltern sind einst nach München gekommen, um hier ein neues Leben aufzubauen. Die Kinder wachsen in Kindergarten und Schule ganz selbstverständlich mit Gleichaltrigen aus Deutschland, aber auch aus vielen anderen Teilen der Welt auf. Die Heimatsprache ihrer Vorfahren sprechen sie aber oftmals nur noch rudimentär, die kulturellen Wurzeln verschwinden langsam.

Seit 2014 unterstützt deshalb die Stadt München die Selbsthilfeförderung für muttersprachliche Angebote, die sich vor allem an Kinder und Jugendliche richtet. Doch die Förderung soll nun angesichts der zunehmend angespannten Haushaltslage der Stadt Ende des Jahres eingestellt werden. In einem eindringlichen Appell wenden sich deshalb der Münchner Migrationsbeirat, der Verein Morgen, das Migrantinnen-Netzwerk sowie der Selbsthilfebeirat der Stadt an die Stadtratsfraktionen, den geplanten Förderstopp zu überdenken.

"Muttersprache ist Identität. Ist Heimat. Ist der Bezug zu Familie und persönlichen Wurzeln. Sprache ist der zentrale Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe", schreiben die Vorsitzenden des Migrationsbeirats Dimitrina Lang, Songül Akpinar (Morgen e.V.) und Sadija Klepo (Migrantinnen-Netzwerk Bayern e.V.) in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Wichtig ist jedoch nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache, sondern auch die Förderung der Herkunftssprache." Bei den muttersprachlichen Angeboten, die nach Auskunft des Münchner Selbsthilfebeirats mittlerweile von mehr als einhundert Migrationsvereinen in München organisiert werden, lernen Kinder und Jugendliche in der Muttersprache der Eltern und Großeltern, sich mit der Geschichte und Kultur der Herkunftsländer zu befassen.

"Sprachforscher sagen deutlich, dass zum Erlernen der deutschen Sprache absolut sinnvoll ist, auch die Muttersprache zu lernen", sagt Erich Eisenstecken, Geschäftsführer des Selbsthilfezentrums. Er bedauert, dass die Förderung des Programms nun eingestellt werden soll. Zwar sei die finanzielle Förderung der muttersprachlichen Angebote laut einem Stadtratsbeschluss vom Dezember 2014 zunächst für zwei Jahre befristet gewesen, schreibt der Selbsthilfebeirat in einer Stadtratsanfrage.

Es geht um 90 000 Euro pro Jahr. Angenommen wird das Programm gut

Allerdings sei die Förderung 2017 um drei weitere Jahre verlängert worden. Die Aufnahme in die Selbsthilfeförderung sollte an eine Evaluation der Maßnahmen verknüpft werden, die aber laut Eisenstecken bislang nicht stattgefunden hat. Eine entsprechende Bewertung des Projekts "würde aber ganz klar zeigen, dass das Angebot sehr stark angenommen wird", so Eisenstecken.

Letztlich gehe es um eine jährliche Förderung von 90 000 Euro für die von Migrantinnen und Migranten ehrenamtlich organisierten muttersprachlichen Angebote. Dieses Engagement habe "einen großen gesellschaftlichen Nutzen", findet der Selbsthilfebeirat. Im Namen des Migrantinnen-Netzwerks, des Vereins Morgen und des Selbsthilfebeirats appelliert die Migrationsbeirats-Vorsitzende ans Rathaus, "dass der Stadtrat die Entscheidung überdenkt. Wir haben die Hoffnung, dass sich unser gemeinsamer, energischer Einsatz gegen die geplante Kürzung positiv auswirken wird."

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