München muss sparen:Mit mehr Disziplin ins neue Jahr

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Im Oktober kam der Moment der Wahrheit: Der Stadtkämmerer machte dem Rathausbündnis klar, dass die Zeiten des unbesorgten Geldausgebens vorbei sind

Von Dominik Hutter

Hätte sich die Stadt vor einem Jahr vom Münchner Kindl verabschiedet, wäre als neues Symbol wohl auch das Füllhorn in die engere Auswahl gekommen. München schwimmt im Geld, so schien es: Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer, ehrgeizige Bauprojekte - und eine Rathaus-Koalition, die die U 5 nach Pasing notfalls auch ohne staatliche Zuschüsse angehen will. Inzwischen gilt ein Moratorium für Zusatzausgaben. Der einst für die Verwaltungsreform gegründete interfraktionelle Arbeitskreis im Rathaus beschäftigt sich mit den Finanzen. München ist plötzlich klamm, für seine eigenen Verhältnisse zumindest. 2017 könnten erstmals seit vielen Jahren neue Schulden notwendig werden.

Für das schwarz-rote Rathausbündnis ist das unangenehm, Politik mit dem Rotstift macht einfach weniger Spaß als Stadtgestaltung per Füllhorn. Das galt schon bei der rot-grünen Vorgängerkoalition, die deshalb 2013 das sogenannte Haushaltssicherungskonzept auf Eis legte. Das sah ursprünglich Einsparungen im Stadthaushalt von 100 Millionen Euro pro Jahr vor, bis 2018. Angesichts der guten Finanzsituation wurde das Paket aber schon bei seinem Inkrafttreten auf jährlich 80 Millionen abgeschmolzen, nach weiteren Eingriffen des Stadtrats ging es am Schluss nur noch um 3,6 Millionen pro Jahr. Eine Summe, deren Wegfall dann nicht einmal Kämmerer Ernst Wolowicz beunruhigte. Es lief ja alles prächtig. Die Schulden, 2005 noch bei 3,4 Milliarden Euro, waren auf 815 Millionen Euro zusammengeschnurrt.

Doch nun ist alles anders - seit jenem Oktobertag, an dem die Einbringung des Haushalts 2016 von der Tagesordnung des Stadtrats verschwand. Wolowicz hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter um Vertagung gebeten, in seinen Rechnungen klaffte plötzlich eine Millionen-Lücke. Ein Einbruch bei der Gewerbesteuer zeichnet sich ab, dazu kommt der Komplettausfall der alljährlichen Stadtwerke-Überweisung. Das kommunale Unternehmen muss seine Rückstellungen aufstocken, vor allem der Ausstieg aus der Atomenergie kostet eine Menge Geld.

Dem Minus bei den Einnahmen steht - unangenehm für den Kämmerer - ein kräftiges Plus bei den Ausgaben gegenüber. Der Stadtrat hat im Laufe des Jahres großzügig immer wieder neue Projekte beschlossen, hat Tausende städtische Mitarbeiter bewilligt und so den Haushalt gegenüber seiner Ursprungsfassung kräftig aufgebläht. Auch die Referate wollten sich noch einen kräftigen Schluck aus der Pulle gönnen und meldeten für 2016 wesentlich höhere Ausgaben an, als Wolowicz erwartet hatte. Die Folge war ein Minus im Verwaltungshaushalt, gleich mehrere hundert Millionen Euro fehlten. Das ist nicht nur unschön, sondern auch haushaltsrechtlich unzulässig. Zumal die Investitionen der Stadt aus Überschüssen des Verwaltungshaushalts bezahlt werden müssen.

Es ist gut möglich, dass der Paukenschlag der Kämmerei in diversen Rathausbüros Erleichterung ausgelöst hat. Denn für Finanzexperten hat es sich längst abgezeichnet, dass es auf Dauer so nicht weitergehen kann. Auf dem Wunschzettel des schwarz-roten Bündnisses haben sich in den vergangenen eineinhalb Jahren Projekte angesammelt, deren Umsetzung gut elf Milliarden Euro kosten würde. Das Gros davon macht die Schulbauoffensive aus, dazu kommen Straßentunnel, Kulturbauten, Feuerwehrhäuser und Nahverkehrsprojekte. Die jetzige "Gewinnwarnung", verbunden mit einem Kassensturz, hat den Stadtrat wieder für Finanzpolitik sensibilisiert.

Gelöst ist das Problem freilich noch längst nicht. Zwar ist der Haushalt inzwischen ohne Loch und vom Stadtrat abgesegnet. Die "Sanierung" hat aber nur geklappt, weil die Stadt ihre Reserven plündert. Das kann nicht endlos so weitergehen, irgendwann hilft nur noch der Weg in die Kreditabteilung einer Bank. Die Gespräche über eine Prioritätensetzung bei den vielen Wunschprojekten haben gerade erst begonnen, erste "Opfer" zeichnen sich ab. So will die Stadt vor allem bei Schulen und Kindertagesstätten ihre hohen Baustandards hinterfragen. Die Erweiterung des Stadtmuseums steht ebenso zur Debatte wie das millionenteure Bauprogramm bei der Feuerwehr. Der Stadtrat hat sich selbst zu mehr Haushaltsdisziplin verdonnert. Künftig wollen sich die Politiker intensiver damit auseinandersetzen, welche finanziellen Folgen ihre Beschlüsse haben. Schwarz-Rot tritt auf die Bremse. Im Rathaus, das ist unvermeidbar, wird es 2016 anders zugehen als in den fetten Jahren zuvor. Zumal die Steuerschätzung des Kämmerers nach wie vor recht optimistisch ist. Schrumpfen die Gewinne der Unternehmen stärker als erwartet, sieht die Rechnung noch einmal ganz anders aus.

Dass München auch bei knapper Kasse weiter kräftig investieren muss, steht im Rathaus außer Frage. Die Stadt hat seit 2005 mehr als 200 000 Einwohner dazugewonnen, einmal Rostock sozusagen. Und sie wächst weiter, um etwa 25 000 Menschen im Jahr. Dazu kommt eine schwer vorhersagbare Zahl an Flüchtlingen. Die vielen Neu-Münchner brauchen Wohnungen, Kitas, Schulen, Sportplätze und Schwimmbäder, sie besuchen Theater, leihen Bücher aus und fahren U-Bahn. Die Kämmerei rechnet daher in drei Jahren mit einem Schuldenstand von 1,44 Milliarden Euro. Oder sogar mit 3,3 Milliarden, wenn es blöd läuft. Das Füllhorn hat als Symbol für München erst einmal ausgedient.

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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