Es war ein frommer Wunsch. Erfüllt hat er sich am Mittwoch nicht. Ein spiritueller Abend sollte es werden, „möglichst weit entfernt von Politik“. Benjamin Idriz ist festlich gestimmt, als er seine Erwartung kurz nach 19 Uhr am Rednerpult formuliert, elegant gekleidet in schwarzem Anzug, weißem Hemd, Krawatte in Bordeaux. Der Imam stellt in der profanierten katholischen Karmeliterkirche am Promenadeplatz sein neues Buch vor, das aufräumen will mit Missverständnissen über den Propheten Muhammad, über den Koran. „Das schöne Wort“ heißt es.
Die Stuhlreihen sind fast sämtlich besetzt: mit Vertretern etlicher Religionsgruppen, Mitgliedern aus Landtag und Stadtpolitik. Ganz vorne sitzt der evangelische Regionalbischof Thomas Prieto Peral. Er wird später auf dem Podium die Übersetzungsleistung von Idriz‘ Buch in die Nähe von Martin Luther rücken. Auf den Tischen ringsum stehen Datteln bereit, damit brechen Muslime nach Sonnenuntergang traditionell ihr Fasten. Die Einladung zu diesem Abend soll ja auch ein „Willkommen-Ramadan-Empfang“ sein, selbst wenn der genau genommen erst drei Tage später beginnt.
Aber mit Sinnlichkeit und Spiritualität ist es an diesem Mittwoch so eine Sache. Drei Tage, nachdem die AfD bei der Bundestagswahl 20 Prozent der Stimmen geholt hat. Der jüdische SPD-Stadtrat und Münchner Beauftragte für interreligiösen Dialog, Marian Offman, erzählt, kaum dass er seinen Mantel an die Garderobe gehängt hat und später auf der Bühne noch einmal von seinem Entsetzen am Montagmorgen, als die Ergebnisse feststanden. Zum ersten Mal habe er überlegt, „die Koffer zu packen und das Land zu verlassen“. Juden und viele Menschen islamischen Glaubens säßen doch im gleichen Boot. „Wir müssen was unternehmen, die wir viel Herzblut in den interreligiösen Dialog stecken, weil wir wissen, dass nur Frieden in einer Gesellschaft sein kann, wenn Frieden unter den Religionen ist.“
Die Menschen hätten aber „Angst vor der religiösen Wirkung zumindest der anderen Religionen“, wird später Grußredner und Alt-OB Christian Ude (SPD) einwenden, der dem Kuratorium des Münchner Forums für Islam (MFI) vorsitzt. Es brauche ein „aufgeklärtes Verhältnis zu den Religionen im Sinne der Urquellen des eigenen Glaubens“. Und da war er angekommen, mitten in Idriz' neuestem Werk.
Es ist das inzwischen vierte Buch des Imams der Islamischen Gemeinde Penzberg und MFI-Vorsitzenden und enthält ausgewählte Koranverse und Hadithe, also Worte des Propheten Muhammad. Die aus dem Arabischen übertragenen Verse verstehe er als ein „modernes Update“ der klassischen Sammlungen, sagt der Autor. Prieto Peral spricht von einer „fantastischen Übersetzungsleistung“ in einer Sprache, „die wir nachempfinden können und die auch die Heiligkeit des Textes in seiner Schönheit transportiert“.
Die Texte, sagt Idriz, wolle er „ganz normalen“ Menschen zugänglich machen, Muslimen wie Nicht-Muslimen. Inhaltlich sortiert geht es im Wesentlichen um menschliche Grundtugenden. „Die religiöse Sprache hat die Kraft, Brücken zu bauen oder Mauern zu errichten“, konstatiert der Imam. Ein aus dem Kontext gerissener Koranvers könne Feindschaft säen, ein mit Herz und Verstand gelesener Text dagegen Einheit stiften.

Viel Programm, dichter Abend: Nach dem offiziellen Teil holen sich Nusejma Dugonjić, 18, Liridon Gjocaj, 19, und Meryem Zehir, 20, lachend etwas von den gefüllten Weinblättern und Zigarrenröllchen des Buffets an ihren Stehtisch. Sie haben vorhin Verse aus „Das schöne Wort“ vorgelesen. Nusejma Dugonjić trägt ein anthrazitfarbenes Kopftuch, passend zu ihrem Kleid. Was sich anwenden lässt von den Versen im Alltag? Die angehende Chemisch-Technische Assistentin erzählt von einer alltäglichen Begegnung, neulich an der Rewe-Kasse. Da habe sie ein Mann wegen ihres Kopftuchs gefragt, ob denn Halloween sei. Mag sein, dass es da hilft zu denken: „Stark ist derjenige, der seinen Zorn und Zustand der Wut beherrscht“, wie einer der Verse in dem Buch heißt, die die drei vorgetragen haben.