Besonderes Jazz-Orchester:Ignorante Schnösel oder echte Kenner?

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Jazzende Kritiker (v. li.): Musikprofi Matthias Bublath, Ulrich Habersetzer, Roland Biswurm, Roland Spiegel und Ralf Dombrowski. (Foto: Robert Haas)

Normalerweise schreiben sie über die Konzerte anderer - nun sind Musikkritiker des BR und der SZ selbst auf der Bühne gestanden

Von Tom Soyer

Musikkritiker langen mitunter ganz schön hin und befinden über ein AC/DC-Livekonzert in München schon mal, dass "die in die Jahre gekommenen Herren leider schrecklich langweilige Musik machen". Wenn diese Scharfrichter Block und Tastatur gegen Piano, Saxofon, Drums und Gitarre tauschen und sich selbst mal auf die Bühne stellen, sind sie an der Fallhöhe quasi selbst schuld. Das "Jazz-Orchester der Münchner Musikkritiker" tritt seit Jahren sporadisch auf, jetzt gerade im Münchner Hofspielhaus, und stellt sich mutig einer Kernfrage: Sind Musikkritiker wirklich die ignoranten Schnösel, als die sie Georg Kreisler im gleichnamigen Lied verspottet? Oder haben sie, nicht nur theoretisch, Ahnung vom Wohllaut des Jazz?

Dass ihnen auf die Füße fallen könnte, was sie früher über Andere urteilten, war der Combo offenbar bewusst. Einer wie der SZ-Kritiker Oliver Hochkeppel (Piano), der den Satz oben 2015 über die australischen Hardrocker in Schuluniformen schrieb, baut vor: "Ich find's ja schon bemerkenswert, dass wir uns trauen - aber dass Sie sich trauen, das anzuhören...!", sagt er eingangs ins Publikum. Und dass den Gig der vielsagende Jazz-Klassiker "Mercy, Mercy, Mercy" beschließt, konnte schon auch als listiges Gnadengesuch gewertet werden.

Für BR-Jazzredakteur Roland Spiegel (Gitarre, Gesang) bestand tatsächliche Absturzgefahr, weil die Bühne zu eng für acht Akteure war und sein Stuhl extrem knapp an der Bühnenkante stand. Wurde aber ebenso zur Nebensache wie der Umstand, dass ihm zu Konzertbeginn die hohe E-Saite riss: Er erwies sich als flinker Fünfsaiten-Gitarrist, zudem als ungemein gefühlvoller Interpret eines Georges-Brassens-Chansons übers "Nicht-Heiraten", im Duo mit dem BR-Kulturjournalisten Ulrich Habersetzer am Saxofon. Mit wunderbar gehauchten Momenten.

Für Cover-Bands ist es immer gefährlich, sich an ganz großen Ohrwürmern zu vergreifen. "Smoke On The Water" ist so einer - funktioniert aber prächtig auch als Orchesterspaziergang vom Jazz hinüber zum Rock und wieder retour. Matthias Bublath, sonst Profi am Jazz-Piano und Coach dieser Gelegenheitsband, hat der Nummer als Bassist ein starkes Rückgrat gegeben, zusammen mit dem Magazin-Journalisten und früheren Bravo-Textchef Andreas Florek (Drums) und BR-Kulturreporter Roland Biswurm an den Congas. Hochkeppel und der Jazz-Journalist und -Fotograf Ralf Dombrowski flankierten an Piano und Keyboard, Habersetzer und Spiegel an Sax und Gitarre.

Großer Spaß fürs begeisterte Publikum. Hochkeppel konnte das durch ein Musikkabarett-Solo noch steigern. "Gee Baby Ain't I Good To You" von Nat King Cole, im mittelperlenden Vortrag, war für seine pausierenden Kollegen und die Zuhörenden eine Zwerchfell-Provokation - und vermutlich auch eine wohlkalkulierte Kritik-Sollbruchstelle des Konzerts. Der spontane Konter des Musikkritikers? "Zu Hause ging's besser, muss an Ihnen liegen."

Schließlich holte sich die Combo noch die enorm stimmgewaltige Münchner Profimusikerin Caro Roth (Gesang, Ukulele) als Gute-Laune-Booster auf die Bühne. Bei den mächtig groovenden Orchesterversionen von "I Can See Clearly Now" und "The World Is Going Around" stimmten ganze Publikumsreihen in die Refrains ein und gaben der Band die Gewissheit, das Kellerlokal solide gerockt zu haben. Entsprechend entließ Hochkeppel das begeisterte Publikum nach "Mercy, Mercy, Mercy" mit einem Kompliment in die Nacht ("Vielen Dank, Sie waren sehr nett zu uns") - und mit der Gewissheit, dass diese Journalisten und Kritiker den Jazz und die Musik durch und durch lieben. Großartige Entertainer. Georg Kreisler hätte gestaunt.

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