Süddeutsche Zeitung

Weihnachtsalben:Alle Jahre Lieder

Von wegen stille Nacht: Bayerische Pop-, Jazz-, Rock- und Hip-Hop-Künstler von Howard Carpendale über "Jamaram" und "LaBrassBanda" bis Jasmin Beyer beschallen diesen Advent mit eigenwilligen Christmas-Songs.

Von Oliver Hochkeppel, Dirk Wagner und Michael Zirnstein, München

"Weihnachten ist mir doch egal", so deutschen Erdmöbel 2006 den Christmas-Klassiker "Last Christmas" ein, was nicht ganz stimmen mag, denn seitdem hat die Band alle Jahre wieder je ein Adventsstück aufgenommen. Eigentlich lieben alle Lametta, Tannenbaum und "Jingle Bells". Auch bayerische Pop-, Jazz- und Heimatsound-Musiker spielen in diesem Jahr wieder mit wohlig Vertrautem oder wickeln ganz selbstgebastelte Alben ein.

Howard Carpendale, "Happy Christmas"

Mit Christmas-Pop-Alben ist es wie mit Bratpfannen. Oder Küchenmessern. Man neigt zum Kauf eines wertigen Allzweckgeräts, das die Anhäufung allen verkrusteten, stumpfen Alteisens überflüssig macht. "Happy Christmas" (Electrola) könnte so eine Platte für alles sein, denn ihr Manufakteur ist ein verlässlicher Allrounder, Howard Carpendale. Da stimmt die Qualität: Zum dritten Mal ist der Bestseller aus dem Münchner Umland nach London gereist, um mit dem Royal Philharmonic Orchestra in den Abbey Road Studios aufzunehmen. Welch wohl- und klartönende Seelen-Streich(l)er und Kinder-, Frauen-, Männerchöre! Und alles in einem: Die Klassiker vom "Little Drummer Boy" bis "White Christmas", die Pop-Schneekugeln von John Lennon bis Chris Rea, bunt aufgemischt mal als Kinderlied, mal als X-Mas-Party-Song, mal fürs Herz - für die ganze Familie unterm Baum. Und nicht nur der rieselnde Schnee und die stille Nacht gibt es hier auf Deutsch, Joachim Horn-Berger hat einiges zeitlos poetisch übersetzt, wie "Have yourself ..." als "Heute Nacht sind alle Engel schlaflos". Und Carpendale, der 75 Jahre alte Crooner, säuselt und swingt in Bestform, und redet den Hörern auch mal direkt ins Gewissen - das freilich ist Geschmackssache. Der Fan-Box liegen vier Keksausstecher bei.

"Bayern 2 Weihnachtssound"

Ohne "Stille Nacht" geht es wohl auch auf einer alternativen Weihnachtslieder-Sammlung nicht. Aber diese Nacht ist wirklich still, wenn die Fränkin Caroline Obieglo nach jeder Zeile jede Pause so leert und aushält, dass man schlucken muss (keinen Glückwein). So noch nie gehört. Und die anderen Stücke auf dem von Bayern2 und Millaphon Records zusammengestellten "Weihnachtsound"-Sampler eh nicht. Denn abgesehen von Claudia Koreck mit einem Stück ihrer wunderbaren Weihnachtsplatte und ihrem All-Star-Song "Auf bessere Zeiten" (die Nummer 1 in Bayern im Advent 2020) haben die himmlischen Heimatsound-Heerscharen die meisten Stücke extra für diese Platte komponiert: wie Hans-Jürgen "Haindling" Buchner sein "Der Erde Liebe geben". Außer solchen Friedensbotschaften, etwa auch vom Tochter-Vater-Duo Amy und Wally Warning, dominieren auf diesem 19-fach bestückten "musikalischen Gabentisch" amüsante Nikolaus-Begegnungen wie jazzig von Lisa Wahlandt oder rabaukig gerappt von Dicht & Ergreifends Urkwell, der Santa auf Sanka und Sandler reimt. Hundling, Ganes, Gankino Circus, Matthias Kellner, Norbert Schneider La Brass Banda, Dreiviertelblut und Jamaram geht die Norm-Weihnacht "am Oarsch vorbei", sie erdichten sich ihren eigenen Winterzauber.

"Christmas In The Spirit Of Jazz"

Wie unterschiedlich Weihnachten klingen kann, erlebt man auch auf dem soeben vom Münchner Act-Label veröffentlichten Sampler "Christmas In The Spirit Of Jazz". Rückgrat der Compilation sind Titel von Nils Landgrens "Christmas With My Friends"-Alben. Der Star-Posaunist tourt ja seit 16 Jahren alle zwei Jahre durch schwedische und deutsche Kirchen und gibt dort mit seinen Freunden mit die bezauberndsten Weihnachtskonzerte überhaupt. Davon bekommt man auch hier einen schönen Eindruck. Ohnehin überwiegt das Nordische, ob mit "Vinter" der Sängerin Janne Mark, mit "Away in a Manger" vom Album "Nordic Christmas" des Saxofonisten Tore Brunberg, dem bisher unveröffentlichten "Have Yourself a Little Christmas" des Ehepaars Cæcilie Norby und Lars Danielsson und selbst noch beim "Happy Xmas, War is Over" aus dem Lennon-Album des finnischen Pianisten Iiro Rantala. Aber auch Münchner haben es auf die Scheibe geschafft: Die Echoes of Swing mit ihrem grandios swingenden "Winter Wonderland". Und natürlich die Jazzrausch Bigband mit einem fetzig-swingenden Stück aus ihrem ebenfalls höchst empfehlenswerten Weihnachtsalbum "Still! Still! Still!" - das Programm spielen sie live am 20. Dezember in der bereits ausverkauften Unterfahrt und (voraussichtlich) am 23. im Volkstheater.

Jasmin Bayer, "Merry Christmas Baby"

Model, Hollywood-Schauspielerin, Hausfrau und Mutter - die aus Pforzheim stammende Wahlmünchnerin Jasmin Bayer hat einen ziemlich ungewöhnlichen Weg zur spätberufenen Jazzsängerin vorzuweisen. Das Schöne dabei ist, dass sie niemanden etwas beweisen muss und - mit einer beachtlichen, durchaus variablen Stimme und viel rhythmischem Gespür - einfach singt, was und wie sie will. Wie eben ein Weihnachtsprogramm (erschienen bei Timezone Records). Erstaunlich zum Beispiel, wie sie sich bei "Sleigh Ride" vor die wirbelnde Band setzt, in der seit jeher David Roberts am Piano ihr Arrangeur und musikalischer Direktor ist. Jede Menge Gefühle, die das Weihnachtsthema auslöst, habe man zusammengetragen und musikalisch umgesetzt, sagt Bayer. In der Tat macht es Spaß, die immerhin 17 Stücke aus dem klassischen Weihnachtsrepertoire so abwechslungsreich ausgebreitet zu bekommen. Vom hier funkigen "Rudolph the Red-Nosed Reindeer" über Schmachtballaden wie "A Child Is Born" bis zu einer Latin-Version von "Let It Swing" oder einer Oldtime-Musical-Variante von "It' Beginning To Look Like Christmas". Klar, meist swingt es heftig. Und was Begleiter wie Florian Brandl und Max Braun machen, hat immer Hand und Fuß. Ein Album, das bis Weihnachten die Radio-Dauerschleifen ablösen darf.

Berta Epple, "Unterm Baum"

"Nach der Gans spannt der Ranz'. Unterm Baum gibt's ein Weihnachtstanz", schüttelreimen Berta Epple auf ihrer Weihnachts-CD "Unterm Baum". Sodann liefert das schwäbische Trio um den an der Hochschule für Musik und Theater München unterrichtenden Violinisten, Pianisten und Komponisten Gregor Hübner die entsprechende Musik für jenen Tanz. Swing-Adaptionen von Weihnachtsklassikern, wie man sie schon von Frank Sinatras berühmten Christmas-Alben kennt, treffen hier auf einen bayerischen Andachtsjodler. Und englische Anthems frohlocken gemeinsam mit deutschen Volksweisen, die dann aber auch mal so klingen, als habe der US-amerikanische Jazz-Pianist Vince Guaraldi sie für sein legendäres Weihnachtsspecial zur Zeichentrick-Serie "Die Peanuts" komponiert. Vor fünf Jahren schon erschien Berta Epples mitreißende musikalische Schlittenfahrt, mit der das Trio nun alle Jahre wieder auch live eine Weihnachtsshow zelebriert, die ebenso andächtig wie fröhlich das bevorstehende Weihnachtsfest einläutet. Trotz aller Umstände und nötigen Abstände soll es so ein frohe Live-Fest auch heuer wieder geben, am Samstag, 4. Dezember, 20.30 Uhr, in der Auferstehungskirche im Münchner Westend.

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