Musikbusiness:Vom Hardcore zum Schlager

Musikbusiness: Florian Schanze hat in den USA seine Punk-Seele ausgelebt.

Florian Schanze hat in den USA seine Punk-Seele ausgelebt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Florian Schanze spielte in einer der besten Punkbands von L.A. Dann kehrte er nach München zurück - und ist jetzt Schlagzeuger von Vanessa Mai. Wie passt das zusammen?

Von Michael Bremmer

Die Haare von Florian Schanze sind schon einmal länger gewesen. Sie sind nass geschwitzt. Schanze wippt im Takt, schaut zur Sängerin. Vanessa Mai trägt bei diesem Auftritt 2018 in Kaiserslautern ein nachgemachtes Band-Shirt von Kiss. Sie singt, live übertragen vom SWR, von "Jeans, T-Shirt und Freiheit". Schanze sitzt neben ihr auf der Bühne, lächelt und spielt Cajón. Harmonisch sieht das aus, als würde die Schlagersängerin schon seit Ewigkeiten mit dem Schlagzeuger zusammenspielen.

Ein Blick zurück. 2014. Ein Kellerloch in Los Angeles, Kalifornien. Der Sänger der Band Obliterations steht direkt im Publikum, singt, schreit, kreischt, alles aufgezeichnet vom Filmemacher Zach Marshal. Nicht mal zwei Minuten dauert der Song "Mind Ain't Right", eine Punk-Dampfwalze. Wild. Schnell. Angetrieben von Schlagzeuger Florian Schanze. Sein Gesicht ist von seinen Haaren bedeckt. Die Ärmel seines Power-Trip-Band-Shirts sind längst über die Schulter gerutscht. Die Fans haben Bierflaschen in der Hand. Sie feiern direkt vor der Bühne, rempeln sich an. Jeans, T-Shirts und Freiheit. Nur eben wilder.

Zwischen Punk und Pop, zwischen Hardcore und Heile-Welt-Schlager liegt gerade mal ein Jahr. Florian Schanze, 39, hat fünf Jahre lang als Profi-Schlagzeuger in den USA gelebt, hat dort, wie er selbst sagt, seine Punk-Seele ausgelebt. Heute wohnt er wieder in München, mit seiner Ehefrau und seiner Tochter. Gibt Schlagzeugunterricht. Und spielt in der Liveband der Schlagersängerin Vanessa Mai. Aber passen diese beiden Welten zusammen? Kann man ernsthaft beide Genres verkörpern, kann man beide Musikstile spielen, ohne eine dieser Welten zu verraten? Florian Schanze grinst. "Sie haben mir jetzt auf der Bühne eine Wand aus Plexiglas hingestellt, weil ich zu laut bin." Er lacht. Es ist kein lautes Lachen, eher zurückhaltend. Florian Schanze ist kein Mensch, der gerne im Mittelpunkt steht. Vanessa Mai bekommt den gesamten Sound bei ihrer Show über In-Ear-Kopfhörer zugespielt - alles, außer den Drums. Das Schlagzeug hören alle Musiker auf der Bühne unverstärkt. Wäre Florian Schanze nicht abgeschirmt, würde sein Instrument alles andere übertönen.

Natürlich war die Sache mit dem Plexiglas keine Antwort auf die Frage. Es war auch keine Ausflucht. Florian Schanze sagt: "Für mich gab es nie einen Moment, wo ich die beiden Welten musikalisch miteinander verglichen habe." Aber er hat den Unterschied gespürt. Den Unterschied, Konzerte in Stadien zu spielen, im Luxusnightliner zu den Auftritten gefahren zu werden sowie Catering und persönliche Garderoben mit Dusche hinter der Bühne zur Verfügung gestellt zu bekommen. So ist es heute. In Los Angeles musste er selbst den Bandbus fahren, auf Böden schlafen und hatte am Tag nur zehn Dollar für Essen zur Verfügung.

Klar, die Musik von Vanessa Mai sei kein Punk, aber wenn man eine Familie zu ernähren hat, sei es ein Riesenglück, so einen "hochfrequentierten Session-Job zu bekommen", bei dem "ich meine Arbeit als Schlagzeuger nach bestem Gewissen Tag für Tag aufs Neue erfülle". Natürlich, es geht auch ums Geld, aber das ist für Schanze kein Selbstzweck. Das bestätigen auch Musiker, die schon einmal mit ihm gemeinsam in einer Band gespielt haben. "Florian Schanze würde nichts machen, was ihm keinen Spaß bereitet", sagt etwa Gregor Amadeus Böhm, der den Drummer aus der gemeinsamen Zeit bei der Münchner Indie-Band Five!Fast!!Hits!!! kennt. Er müsse sich in einer Band wohl fühlen. "Er ist aus Bands immer schnell ausgestiegen, bei denen es nicht gepasst hat", sagt Böhm. Bei Vanessa Mai spielt er seit 2016.

Florian Schanze ist der Sohn von Michael Schanze, den viele als Fernsehmoderator und Schauspieler kennen. Weniger bekannt ist die musikalische Ausbildung des Fernsehstars: Knabenchor, Klavierunterricht. Da zudem Florian Schanzes Großvater Dirigent eines Rundfunkorchesters war, stand die Kindheit und Jugend in Feldafing, Landkreis Starnberg, ganz im Zeichen der klassischen Musikbildung. "Ich musste mit Klavier anfangen", sagt Schanze heute - aber das regelmäßige Üben an diesem Instrument missfiel ihm. Sein Vater, der Fernsehmann, ließ sich als einer der ersten im Ort eine Satellitenschüssel am Haus montieren. Florian Schanze konnte plötzlich MTV sehen, Musikvideos der Grunge-Band Nirvana etwa, was sein Leben beeinflusste. Er erinnert sich: "Das waren Musiker in Skater-Klamotten, keine glamourösen Popstars. Die sahen aus wie wir." Daraus wuchs sein Wunsch, Schlagzeuger zu werden. Sein Vorbild: Dave Grohl, der Schlagzeuger von Nirvana.

14 Jahre war Schanze damals alt. Jeden Tag saß er fortan am Schlagzeug. Von mittags, sobald er von der Schule zu Hause war, bis 18 Uhr. Spielte er eine Minute länger, rief der Nachbar die Polizei.

Sprechen Münchner Musiker und Musikmanager heute über Schanze, hört man große Anerkennung. Er habe einen einzigartigen Klang, lobt der eine. Ein anderer sagt, er kenne keinen anderen Drummer, der so exakt spiele und trotzdem so kraftvoll. Sobald er die Sticks in die Hand nehme, "wird er zum Tier, da geht beim Konzert dann auch gerne mal ein Becken zu Bruch", erzählt ein Gitarrist. "Ein Ausnahmetalent", sagt ein Veranstalter. Und alle sind sich darin einig, noch nie einen fleißigeren Schlagzeuger als Schanze getroffen zu haben. Er ist Autodidakt, hat keine professionelle Schlagzeugausbildung - dafür Ausdauer und Eifer. Die Schlagkraft hat er von der Punkmusik, das präzise Spiel vom Drum & Bass. Stundenlang hörte er den Techno-Sound über Kopfhörer und trommelte dazu - 160 Beats die Minute.

Wenn etwas nicht passt, schmeißt Schanze hin

Mit 19 spielte Schanze live bei Raves, verdiente seine erste Gage, 50 Mark am Abend. Daraus ergab sich auch sein erstes Engagement. Von 2000 bis 2007 spielte er bei der Stuttgarter Hip-Hop-Crew Massive Töne. Das beruhigte die Familie erst einmal - obwohl selbst ein Künstlerhaushalt, kannten die Eltern genügend Musiker, die von ihrer Kunst nicht leben konnten.

Neben seinem Leben als Profimusiker arbeitete er in München an seiner Punk-Karriere. Seine Bands: Five!Fast!!Hits!!!, Dudeman, Sonofold. "Ich habe damit überhaupt kein Geld verdient", sagt Schanze, "aber diese Art von Musik ist meine Leidenschaft." Wenn Menschen, die eine große Leidenschaft besitzen, beschrieben werden, strahlen sie plötzlich, oder ihre Augen beginnen zu leuchten - was natürlich Quatsch ist, weil sie ja keine Taschenlampen sind. Florian Schanze lebt Punk-Musik. Und das sieht man alleine schon an seiner Körperhaltung. Der Schlagzeuger sitzt vor dem Café Pini im Gärtnerplatzviertel. Er hat die Beine überschlagen, die rechte Hand ruht am Knöchel, mit der linken Hand gestikuliert er ruhig, den Körper zurückgelehnt. Spricht er dann von seiner Zeit als Punkmusiker in Los Angeles, kommt Bewegung in seinen Körper. Beide Beine sind am Boden, der Körper aufrecht, jeder Satz wird von beiden Händen unterstützt, die Handflächen nach oben. Kehrt er wieder in seinen Erzählungen nach München zurück, entspannt er sich. Er legt die Füße auf den Stuhl gegenüber.

Aber warum ist er überhaupt weg aus München? Weg in die USA, nach Los Angeles, wo Rock- und Popmusik einen ganz anderen Stellenwert haben als in Deutschland. Alleine Schanzes Geschichte zeigt, wie rückschrittlich das Musikbusiness in diesem Land ist. Mit Sonofold hat der Drummer auf eigene Kosten eine Platte aufgenommen, nicht im nächstbesten Tonstudio, sondern bei Steve Albini in Chicago. Der Produzent machte Alben für Bands wie Pixies oder Nirvana. Und genau diesen Sound wünschte sich Schanze auch für seine Platte. So viel Aufwand, so viel Ehrgeiz sprach sich in Deutschland schnell herum. Sonofold spielte bundesweit Konzerte als Vorband von größeren Acts. Und wurde schließlich auch nach Berlin zu einem Showcase eingeladen. Drei Bands sollten spielen, das Publikum bestand nur aus Mitarbeitern der drei großen Plattenfirmen in Deutschland - Sony, Universal, Warner. Der Deal: Die Band, die überzeugt, bekommt einen Plattenvertrag.

Die Musikmanager fanden Sonofold nicht schlecht. Sie konnten sich sogar eine Zusammenarbeit vorstellen. Ihre Vorgabe: Man müsste die Platte halt noch einmal ordentlich aufnehmen, in einem Tonstudio in Hamburg. Nicht so altmodisch wie das vorliegende Album.

Albini altmodisch? Florian Schanze macht, wie erwähnt, nichts des Erfolges wegen. Wenn etwas nicht passt, schmeißt er hin. Da hat er Prinzipien. Dann lieber gleich weg aus diesem Land. "Dorthin, wo diese Musik entsteht, dorthin, wo man genau das machen kann", sagt Schanze.

Nur: Genau das ist der Traum von Tausenden Musikern. Leben können diesen Traum nur die Wenigsten. Doch dann kam dieser Abend im August 2011. Die US-amerikanische Punkband Off! spielte im damals noch existierenden Club 59:1 in der Sonnenstraße. Sänger Keith Morris und Gitarrist Dimitri Coats saßen nach dem Konzert völlig durchgeschwitzt vor dem Club, Schanze bedankte sich für das tolle Konzert, plauderte mit den Musikern - bis Coats ihn fragte, wo man hier in München ordentlich trinken könne. Schanze ging mit ihm an die Isar, sie leerten bis 9 Uhr morgens eine Flasche Augustiner nach der anderen. So erzählt es zumindest Schanze. Danach wusste der Gitarrist von den US-Träumen des Schlagzeugers und bot Schanze an, dass er ihm Material schicken könne. Wenn es ihm gefalle, könne es sein, dass er sich mal melde. "Dann habe ich ihn zugespamt", sagt Schanze, Videos, Aufnahmen, das ganze Portfolio. "Er hat vermutlich nicht damit gerechnet, dass ich es ernst meine."

Drei Monate nach dem Abend an der Isar meldete sich der Gitarrist. Es gebe eventuell die Chance, bei einem Casting vorzuspielen. Überzeuge er dort, habe er möglicherweise die Aussicht, von einer Band aufgenommen zu werden. Ganz schön viele Eventualitäten, ganz schön viele Möglichkeiten, auf die Schnauze zu fallen. Schanze war damals 30 Jahre alt - ganz schön alt für einen, der abhauen und noch einmal ganz von vorne anfangen möchte. Er nennt es heute eine all-in-Situation. "Ich habe alles verkauft, habe alle Möbel bei Freunden untergestellt und bin in die USA geflogen."

Dort saß er dann, in einem Motel am Sunset Boulevard, trank Kaffee, wartete auf einen Anruf, auf eine Einladung, trommelte auf einem Gummi-Pad. Tagelang. Die erste Chance hatte sich plötzlich zerschlagen, die Band wählte zunächst einen anderen Schlagzeuger, dann klappte es doch noch - und Schanze bewarb sich um ein Künstlervisum.

Florian Schanze schaut jung aus für 39. Er trägt seine orangefarbene Baseball-Kappe verkehrt herum. Schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, aufgeknöpftes Holzfäller-Hemd, schwarze Converse-Schuhe mit gelben Schuhbändern, vorne an der Seite aufgerissen vom vielen Schlagzeugspielen. 2014 hatte er die Schuhe geschenkt bekommen, bei einem Auftritt mit seiner Band Obliterations in Austin, Texas, beim SXSW-Festival. In der amerikanischen Rolling Stone wurde sie eine Band genannt, "die man kennen muss". Das Magazin LA Weekly kürte sie zur "besten Punkband von Los Angeles", die New York Times listete ihren Song "Mind Aint Right" unter den "besten Liedern des Jahres 2014". So was sprach sich herum, zu Konzerten kamen häufig andere Musiker. Zack de la Rocha von Rage against the Machine etwa, Henry Rollins von Black Flag oder Lou Barlow von Dinosaur Jr. Er traf in Clubs und Tonstudios auf Helden seiner Jugend, auch Dave Grohl von Nirvana lernte er kennen. Den Musiker, der Jahre zuvor erst die Schlagzeugleidenschaft bei Schanze ausgelöst hatte.

Wenn man das Schwärmen miterlebt, wie Schanze über diese Zeit und diese Musik und diese Möglichkeit spricht, kann man erahnen, wie schwer es ihm gefallen ist, nach Deutschland zurückzukehren. Aber: "Da ich in den Staaten nur den Status ,legal alien' hatte, war Deutschland für uns geeigneter, eine Familie zu gründen."

"Ich habe mich auf Anhieb gut mit Vanessa verstanden"

Seit 2016 lebt Florian Schanze wieder in München. Er hat sofort alle Musikschulen in der Stadt kontaktiert, um als Schlagzeuglehrer zu arbeiten, hat zu Fuß alle Tonstudios abgeklappert, um auf sich aufmerksam zu machen. Gemeldet hat sich dann der Produzent Roald Raschner, er suche einen Schlagzeuger für Vanessa Mai.

Die Schlagersängerin ist mit einem Titel in den Charts auf Nummer eins gelandet - und damit ist der Rummel erst richtig losgegangen. Etliche Fernsehshows, dazu eine zweimonatige Tour, zwei, drei Shows die Woche. "Ich habe mich auf Anhieb gut mit Vanessa verstanden", sagt Schanze, der Wohlfühl-Schlagzeuger. Aber: Wegen der Geburt der Tochter ist Schanze zurückgekehrt nach München, wegen seiner neuen Verpflichtungen hat er nicht so viel Zeit mit seiner Familie verbracht, wie er sich vermutlich erhofft hat.

Seit Vanessa Mai mit einer Band die Shows spielt, sieht man ihr an, wie sehr sie es genießt, nicht mehr alleine vor dem Publikum zu stehen. Häufig gesellt sie sich während des Konzertes zu Florian Schanze zum abgeschirmten Schlagzeug, freut sich über dessen Energie, headbangt dort, springt in die Höhe.

Und Schanze? Ein Blick zurück. 2014. Ein damals aufgenommenes Video in einem Kellerloch zeigt den Schlagzeuger. Er trommelt, er prügelt, er drischt. Nach etwa der Hälfte des Songs kleben seine Haare im Gesicht. Ein paar Jahre später, Juni 2019. Florian Schanze, Vanessa Mai und der Rest der Band stehen nach dem Auftritt bei einem Open Air in Görlitz vor den Fans. Die Haare des Schlagzeugers sind nass vor Schweiß. Er lächelt.

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