Süddeutsche Zeitung

Musikbusiness:Die Karriere der anderen

Lesezeit: 8 min

Die Musiker Robin Karow und Kilian Reischl hatten noch nie einen Vertrag bei einem bekannten Label. Trotzdem managen sie jetzt zwei Künstler, die ihre Songs bei großen Plattenfirmen veröffentlichen. Geht das?

Von Michael Bremmer

Das Lied wandert langsam vom Kopf in die Hüfte. Antje Schomaker, Sängerin aus Hamburg, 27, sitzt im Studio von Robin Karow und hört zum ersten Mal, was die Musiker von Cosby aus ihrem bislang unveröffentlichten Lied "Immer noch da" gemacht haben. Es ist heiß an diesem Tag, im Studio in Unterföhring ist die Klimaanlage ausgefallen. Antje Schomaker sitzt mit kurzer Jeans, Adiletten und schulterfreiem Shirt am Mischpult, die Haare hat sie zum Zopf gebunden. Sie stützt den Kopf auf ihren Händen ab. Schließt die Augen. Der Song beginnt. Bis der erste Refrain einsetzt, sitzt sie starr da, dann wippt sie ganz leicht mit dem Kopf. Zweite Strophe, der Oberkörper setzt ein, erst die Schulter, dann die Taille, dritte Strophe, sie rutscht leicht auf dem Stuhl, tanzt schon fast, immer im Rhythmus, die Ellbogen auf den Tisch. Dann applaudiert sie. "Ich mag das Lied", sagt sie. Kurze Pause. Dann dreht sie sich um zu Kilian Reischl, 38, und Robin Karow, 44. "Cool", sagt sie, "geilo".

Antje Schomaker ist kein Newcomer im Musikgeschäft, überhaupt nicht. Sie ist bei Sony Music unter Vertrag, also bei einer der größten Plattenfirmen in Deutschland. Ihre erste Platte "Von Helden und Halunken" landete in den Charts. Sie nahm mit Revolverheld den Song "Liebe auf Distanz" auf, das Video dazu wurde bei Youtube mehr als 7,5 Millionen Mal gespielt. Und an diesem Donnerstag sitzt sie in dem Studio in Unterföhring und lässt sich Tipps geben von Musikern, deren Band Cosby bei keiner großen Plattenfirma unter Vertrag steht.

Lässt sich von ihnen managen, obwohl die Münchner Musiker selbst vorher keine direkte Erfahrung mit dem großen Musikbusiness hatten. Die in ihrer Karriere alles selbst aufgebaut haben - von Social Media bis zum Videoschnitt. Deren Musikclips zwar auf Youtube mehr als Hunderttausend Zuschauer haben - aber eben auch nicht mehr. Die sich alles selbst erarbeitet haben, ihre Songs selbst produziert, ihre Shows am Anfang selbst gebucht, ihre Gagen selbst verhandelt, ihre Platten selbst verkauft haben. Do It Yourself statt dickes Musikbusiness. Trotzdem legt Antje Schomaker ihre Karriere in die Hände von Cosby.

Das ist der Blickwinkel der Künstlerin. Aber auch die andere Seite ist spannend. Wie kommt eine Band dazu, die selbst kein Management in Anspruch nimmt, andere Künstler zu betreuen? Was können sie überhaupt jungen Künstlern geben? Robin Karow lacht bei diesen Fragen. Es ist kein überhebliches Lachen. Eher unbeschwert. "Wir haben mit unserer Band Cosby bewiesen, dass wir es können", sagt er dann. Die Antwort ist nicht auf die Musik bezogen, sondern darauf, wie sie ihre Band im schwierigen Musikmarkt behauptet haben.

Wie sie es geschafft haben, aus der Masse der jungen Bands in ganz Deutschland herauszustechen. Bloß geht es jetzt um mehr als die eigene Karriere, jetzt geht es um die Zukunft anderer Künstler. Man trage, sagt Karow, in so einer Position eine hohe Verantwortung für die Künstler, man treffe wichtige Entscheidungen. Aber genau an diesem Punkt "hilft uns unsere Band-Erfahrung", sagt Karow. Als Musiker habe er ja selbst viel erlebt und wisse daher konkret, was der Künstler in den entscheidenden Momenten brauche, was ihm weiterhelfe.

Um den Werdegang zu verstehen, hilft ein Blick auf die Lebensgeschichten der beiden Musiker. Kilian Reischl schmiss nach der Mittleren Reife die Schule. Er spielte schon als Gymnasiast in der Band von Gil Ofarim, damals ein Bravo-Star. Er begleitete unzählige Combos als Gitarrist, arbeitete als Studiomusiker, spielte in einer Soap von "Bravo TV" einen jungen Mann, der nur den ganzen Tag abhängt und Mucke macht. Bis 2003 lebte er ausschließlich für die Musik, spielte eine Deutschland-Tour mit Kim Frank, dem Sänger der Deutsch-Pop-Band Echt, und merkte, dass er im Tonstudio auch auf der anderen Seite arbeiten will - von der Gitarre zum Mischpult. Als dann im ehemaligen Paradies-Studio in Unterföhring - hier hängen noch heute Goldene Schallplatten von Pur, David Hasselhoff oder Donna Summer - ein Aufnahmeraum frei wurde, zog er dort ein. Hier lernte er dann Robin Karow kennen. Auch er ein Musiker.

Karow studierte Jura, gründete eine Personalvermittlungsagentur, entschied sich dann aber trotzdem für die Musik. Seine damalige Deutsch-Pop-Band Schon okay, Baby erhielt einen Künstlervertrag, ein Jahr lang versuchten die Musiker alles, spielten Bandwettbewerbe und Playback-Shows etwa im ZDF-Fernsehgarten - "hat am Ende aber nicht gereicht", sagt Karow heute. Dann baute er eine Filmfirma auf - ohne Ausbildung in diesem Bereich. Mit einer ausgeliehenen Kamera filmte er Musikvideos, erst für die Münchner Band Redweik, später für Alban Skenderaj, einen der bekanntesten Sänger Albaniens.

Bei Youtube gab es dafür schnell mehr als eine Million Klicks - so etwas spricht sich herum, ein Automobilhersteller wollte ein Werbevideo, "ich habe sofort zugesagt", sagt Karow. Er flog mit einem Mini-Team nach Sevilla, Helikopter waren für die Aufnahmen im Einsatz, und Karow hatte nur geringe Filmerfahrung. "Ich war maßlos überfordert", sagt er heute. Trotzdem: Es war der Durchbruch. Es folgten weitere Imagefilme, Bandvideos - und mit den Referenzen wurden die Aufträge größer.

Robin Karow und Kilian Reischl sind unterschiedlich. Reischl bleibt lieber im Hintergrund, ergreift erst spät im Gespräch das Wort, wägt vorher genau ab, was er sagen will, zumindest macht es so den Anschein. Karow hingegen sucht den Mittelpunkt, übernimmt das Kommando im Gespräch, zögert nicht, Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel in dem Moment, als sie die Möglichkeit bekamen, das Management für die Sängerin Antje Schomaker zu übernehmen. "Das war schon wie ein Sprung ins kalte Wasser", sagt Reischl. Und Karow? Hatte er keine Angst, diese Aufgabe, diese Verantwortung zu übernehmen? "Ich habe niemals gezweifelt, ich habe immer gemacht", sagt er.

Aber kann das alles wirklich funktionieren? Zum einen ist hier die Band Cosby. Alle vier arbeiten jeden Tag im Tonstudio in Unterföhring. Leben hier tagsüber zusammen, frühstücken gemeinsam, kochen gemeinsam, stecken all ihre Energie und Kreativität in ihre gemeinsame Band. Gitarrist Chris Werner etwa filmt alle Videos, Sängerin Marie Kobylka schneidet sie. Alles, was die vier Musiker verdienen, wird wieder in ihre Band investiert - zum Beispiel in aufwendige Musikvideos. Cosby ist eine Band, eine Firma, eine Familie. Und diese Familie hat Zuwachs bekommen. 2016 mit Antje Schomaker, Ende 2017 mit Malik Harris, 21 Jahre alt.

Aber besteht da nicht die Gefahr, dass die Neuen zu sehr im Mittelpunkt stehen? Dass die eigene Band zu kurz kommt, wenn es bei Schomaker und Harris um die große Karriere geht? Dass bei all den Bemühungen für die anderen nicht die eigene Musik auf der Strecke bleibt? "Unsere Freundschaft steht über allem", sagt Robin Karow. Angst, dass jemand zu kurz kommt, hat er nicht. "Wir sind alle an allem beteiligt", sagt Karow, "jeder arbeitet mit, alle stehen unter Strom." Kein Neid, vielmehr die Vorfreude, am Erfolg des anderen beteiligt gewesen zu sein.

Ein Vormittag Ende Juli. Im Garten des Tonstudios ist ein großer Frühstückstisch aufgebaut. Antje Schomaker hat vegane Pancakes mit Heidelbeeren gebacken. Sie kennt sich aus hier, seit sie nach der Schule bei Cosby ein Praktikum gemacht hat. Dass ihre Praktikantin Musikerin ist, wusste die Münchner Band damals schon. Aber erst am letzten Arbeitstag spielte ihnen Antje Schomaker einen ihrer Songs vor. Sie erinnert sich: "Das mit dem Vorspielen haben wir irgendwie nie hinbekommen", sagt sie heute. "Mir ist so etwas auch eher unangenehm. Und ich bin nicht der Mensch, der sich da aufdrängt."

Karow, Reischl und die anderen waren sehr angetan - aber zu einer Zusammenarbeit kam es damals noch nicht, immerhin arbeitete die Sängerin in Hamburg mit Swen Meyer zusammen - ein etablierter Musikproduzent, der mit Tomte oder Kettcar zusammengearbeitet hat. Er sei eine Art Mentor für sie gewesen, aber irgendwie kam Schomaker nicht weiter. Und "da Robin und Kilian schon immer als Freunde und Berater an meiner Seite" waren, nahmen sie nun ihre Songs auf. Und wurden ihre Manager.

"Sie stehen hinter mir, ich schätze ihre Fairness und fühle mich sehr gut repräsentiert", sagt sie. Und: "Ich habe lieber einen Manager, der an mich glaubt und meine persönlichen Werte teilt, als jemanden, der Musikmanagement studiert hat, aber meine Musik nicht versteht und mir sagt, ich soll doch jetzt mal nen Radiohit schreiben."

An diesem Tag wird sie mit den Kollegen von Sony ein Fußballturnier spielen - vorher soll aber noch an zwei Songs gearbeitet werden. Zum Beispiel an dem Lied, das derzeit "Immer noch da" heißt. Es ist eine Art Liebeserklärung an Menschen, die an einen glauben - ganz egal, wie groß oder klein der Erfolg ist. "Es geht um Menschen wie Robin und Kilian, die schon lange an meiner Seite sind und immer noch da sind, wenn der Applaus vergeht", sagt Schomaker.

Auch Malik Harris sitzt an diesem Tag am Frühstückstisch. An sich ist er jeden Tag hier, schläft oft auf einer Couch im Tonstudio, wenn er nicht mehr nach Hause nach Landsberg will. Er sollte Antje Schomaker ein paar Tricks für das Fußballturnier zeigen. Dazu kommt es zwar nicht. Die Sängerin hilft ihrem Kollegen dafür aber beim Aufbau eines Online-Shops. Familie halt.

Harris macht schon seit Jahren Musik. Erfolgversprechend aber erst, seitdem sich die Band Cosby um ihn kümmert. Harris ist der kleine Bruder vom besten Freund der Sängerin Marie Kobylka. Irgendwann kam sie den Bitten nach, auf dem Handy aufgenommene Musikvideos anzusehen, Filmtipps zu geben. Mit den Anregungen war es nicht getan. Heute arbeiten sie an seinen Songs - und fliegen für professionelle Videos nach London oder New York.

Solche Videos sorgen für Aufsehen. Mittlerweile wird das Musikbusiness alleine schon neugierig, wenn Kilian Reischl oder Robin Karow mit einem Newcomer arbeitet. Alle drei großen Plattenfirmen in Deutschland schickten Vertreter nach Unterföhring, am Ende bekam Universal den Zuschlag. Alle drei Plattenfirmen? Zum Teil gab es sogar mehrfachen Besuch, weil Labels wie Universal oder Sony kleinere Unterplattenfirmen am Start haben. Es spreche sich eben herum, "wenn du ein zuverlässiger Partner bist", sagt Reischl. "Oder wenn du einen starken Künstler hast", ergänzt Karow.

Letztendlich geht es immer nur um das Produkt. Um Songs, die sich verkaufen lassen. Um Künstler, die die Menschen hören wollen, im Radio oder bei Konzerten. "Früher habe ich in kleinen Bars vor fünf oder zehn Leuten gespielt", sagt Harris, "heute stehe ich auf großen Festivalbühnen vor Tausenden von Menschen, begleite Stars wie James Blunt, Alex Clare oder Tom Odell auf ihren Tours durch ganz Deutschland und spiele ausverkaufte eigene Konzerte." Kurz: Das Leben von Malik Harris hat sich grundlegend geändert, seitdem er Teil der Familie in Unterföhring geworden ist. Und der bisher beste Ratschlag seines Managements? "Songs schreiben, Songs schreiben, Songs schreiben. Das ist das Wichtigste!"

Ein Mittwoch Anfang August. An diesem Nachmittag sind drei Musiker der Würzburger Band Zulu zu Gast. Die Popbeauftragten von Oberbayern und Unterfranken, Matthias Fischer und Peter Näder, haben Robin Karow und Kilian Reischl engagiert, um jeweils eine Band aus ihrem Bezirk zu beraten. Drei Tage Crashkurs: vom Bandfoto bis zum Songwriting, von der Presseinfo bis zum besten Timing bei der Plattenveröffentlichung. "Da stimmt doch schon ganz viel bei Euch", sagt Robin Karow in einer lockeren Runde im Garten - am Ende gab es dennoch gravierende Veränderungen. Alleine die Plattenveröffentlichung wurde um ein Jahr in den Herbst 2020 verschoben, vorab sollen zwei Musikvideos erscheinen. "Wir legen die Planung auf jeden Fall jetzt viel langfristiger an, das Coaching hat uns viel gebracht", sagt Maximilian Seeger, Sänger von Zulu.

"Es macht Spaß, unser Wissen weiterzugeben. Etwas beitragen zu können, damit andere Bands weiterkommen", sagt Karow. Andere Bands. Und was ist mit Cosby? In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Band abgetaucht seit der jüngsten Veröffentlichung im Februar 2018. Warum gibt es nichts Neues? Das hänge nun wirklich nicht mit der Arbeit mit Malik Harris und Antje Schomaker zusammen, sagt Karow. Das neue Album sei schon längst fertig, auch das erste Musikvideo sei produziert. "Aber es muss alles stimmen", sagt er. Woran hakt es? Als die Band in New York war, um dort ein Musikvideo für Malik Harris aufzunehmen, hat sie auch mit den neuen Songs eine Akustik-Session in einer ehemaligen Kirche eingespielt. Das hat ihnen so gut gefallen, sagt Karow, dass sie überlegt hätten, erst die Akustik-Songs zu veröffentlichen und erst danach das Studio-Album. Von diesem Gedanken sind sie allerdings wieder abgekommen.

Robin Karow und Kilian Reischl sitzen im Besprechungsraum des Tonstudios. Im Büro nebenan ist auf einem Bildschirm das Cover des neuen Cosby-Albums zu erkennen. "Savior" wird es heißen, Retter. Auf dem Cover ist ein Kind abgebildet, mit rotem Umhang und Zorro-Maske. An der Wand ist der Schatten des Kindes abgebildet. Zu sehen ist ein Riese.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2019
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