Musik aus München:Streifzug durch die Subkultur

Lesezeit: 2 Min.

Unkommerziell aus Überzeugung: Martin Tagar betreibt das Label Höllenfrau Records und ist selber auf dem Sampler zu hören. (Foto: Sabine Kuhn/Höllenfrau Records)

Eine bei Höllenfrau Records erschienene Compilation bietet einen spannenden Blick auf die Bands des Münchner Untergrunds.

Von Jürgen Moises, München

Es beginnt mit einem Kratzen, Rauschen, knarzigen Störgeräuschen. Irgendwas rumpelt da im Hintergrund. Dann wird es lauter und plötzlich setzen infernalische Schreie ein. Wird da jemand mit Elektroschocks gefoltert? Zu "Keller", dem Titel des Stücks, würde es passen. Aber wir dürfen annehmen, dass das Schreien freiwillig ist. Die Störgeräusche könnten das Feedback einer E-Gitarre sein, und der Rest Effektgeräte oder Synthesizer. Mit über acht Minuten ist das Ganze jedenfalls anstrengend. Tatsächlich ist "Keller" von STTTV das forderndste Stück auf "Natrium". Einer Compilation, die vor ein paar Wochen digital und auf Kassette beim Münchner Label Höllenfrau Records erschien. Und die mit 21 Stücken einen spannenden Streifzug durch den Untergrund bietet.

Musiker aus Augsburg, Hamburg und Stockholm findet man hier ebenfalls. Aber das meiste ist doch aus Münchner Musikkellern hervorgequollen. Zudem lassen sich Verbindungen zu vertrauten Indie-Gewächsen wie The Notwist oder Friends Of Gas ziehen. Man könnte auch sagen: Das hier ist der musikalische Humus, der diesen als Nährquelle dient. Dazu gehört etwa Noise-Lokalmatador Rumpeln, der schon mehrfach mit The Notwist kooperiert hat. You + Your D. Metal Friend ist ein direktes Nebenprojekt der Notwist-Musiker Markus Acher und Cico Beck. Tagar und Veronica Burnuthian sind bei Friends Of Gas aktiv, außerdem reitet Tagar bei Das Weiße Pferd mit. Und dann sind da noch ein paar andere Bekannte oder Unbekannte.

Den Anfang macht Rumpeln mit "++", in dem es mit steigender Frequenz knarzt, fiept und eben rumpelt. "Ippolit" vom Stockholmer Elektrobastler Anders Enge beginnt mit asiatisch anmutenden Becken-Samples und weitet sich zu einem sehnsüchtigen Sythiepop-Song aus. Bei Leroy, bekannt von Rhytm Police oder Das Hobos, setzt sich eine klöppelnde und blubbernde Maschinerie in Gang. Das ruhige "Will I Ever Hear The Tunes" von Daniel Door mit gesampelten Streichern, Rauschen und Feuerwerk wirkt leicht orientalisch. "Swiftly Fades Away I" von She Destroys Hope hat etwas von einer musikalischen Sinuskurve. Und Protein, auch schon lange in München unterwegs, steuert mit "Boards" entspannten Elektro-Dub bei.

Die "Höllenfrau" wurzelt in den späten Neunzigern

Die Hamburgerin Java Delle paart in "Why To Please When You Also Can Annoy" ein schneidendes Elektronikriff mit ihrer rückwärts laufenden Stimme. Auch in den zwei Stücken von Dafalgan geht es mit kratzigen Noise-Samples eher unentspannt zu. Bei You + Your D. Metal Friend fiept, knistert und scheppert es wie in einem Science-Fiction-Soundtrack. Das flott dahin rasende "Heartache" von Murena Murena, dessen Album "Take Care Of Me" im letzten Jahr leider ziemlich unterging, klingt wie ein Blues auf Amphetamin. Der "Arschmarsch" von Honig wirkt wie durch den Fleischwolf gedreht. Und mit "Sober" von Joux Joux geht das Album abschließend auf einen 12-Minuten-Spacetrip.

Kompiliert hat das Ganze Martin Tagar, der mit seinem Soloprojekt Tagar und als Teil von Honig und STTTV (eine Kollaboration von Sonytagartony und TV Shit) zu hören ist. Er ist zudem Betreiber des Labels Höllenfrau Records, dessen Wurzeln bis in die späten Neunziger zurückreichen. Damals machte Honig ein Buch mit Gedichten, Zeichnungen, Fotos und Interviews, wie Tagar erzählt, das sie schließlich 2003 im alten Kilombo und im damaligen Kinderkino neben der Unterfahrt vorstellten. Dazu gab es einen Sampler, außerdem traten Bands wie Kitty Empire, Mosh Mosh oder Gelée Royale (heute Kreisky) auf. Höllenfrau Records entstand daraus als eine Art loser, unkommerzieller "Melting Pot" für eigene und befreundete Projekte.

Die Idee zu "Natrium" wiederum hatte Tagar bereits 2014, die Compilation sollte aber ohne Druck, eher wie ein fortwährender Fluss entstehen. Dessen "Urquell" bildet "++" von Rumpeln, das ebenfalls von 2014 stammt. Das Stück von Daniel Door ist sogar von 2009, der Rest ist aus den letzten sieben Jahre. Damit ist "Natrium" weniger Momentaufnahme denn zeitliche Schichtung. Und als Dokument der hiesigen Subkultur ist diese wirklich hörenswert.

Various Artists: "Natrium" , digital oder auf Kassette erhältlich via hoellenfrau.bandcamp.com

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