Wir kennen Bienen als fleißige Arbeiterinnen. Und dabei brauchen sie im Vergleich zum Menschen nur ein Drittel soviel Schlaf. Dass sie auch Musik machen, war bisher weniger bekannt. Außer man sieht ihr Summen als Melodie an. Beides ist nun jedenfalls auf dem dritten Album „The Small & The Many“ der Münchner Experimental-Pop-Band Beißpony zu hören. Immer wieder summt und brummt es, und das oft verfremdet, irgendwo im Hintergrund. Dann sind da aber auch an eine Zither oder Harfe erinnernde Klänge, die dadurch entstehen, dass Bienen an Wabenfächer gespannte Drähte geraten und ein Mikro das überträgt. Insgesamt 50000 Arbeiterinnen, 2000 Drohnen und eine Königin aus dem oberbayrischen Großhub waren auf die Art beteiligt. Rein zahlenmäßig ist diese Besetzung sicher ein Rekord.
Ansonsten sind ungewohnte Klänge und Kollaborationen nichts Neues beim Beißpony, das 2006 von der Künstlerin Stephanie Müller und der Singer-Songwriterin Laura Theis als Duo gegründet worden ist. Schon damals fiel die ungewöhnliche Instrumentierung auf. Theis sang und spielte Piano, während Müller ein mit Spielzeugautos gefülltes Stoffpferd, das Beißpony, als Percussion-Instrument nutzte. Bald darauf spielte Müller dann auf einer Nähmaschine. Und inzwischen dürfte es vom Regenschirm über Spielzeugpistolen bis hin zum Kaktus kaum etwas geben, was die Münchnerin noch nicht als Klangerzeuger verwendet hat. Ähnlich ist es bei Klaus Erika Dietl, der als Videomacher und Soundbastler seit 2010 ebenfalls zu Beißpony gehört.
Öffentlich vorgestellt wird „The Small & The Many“ am 14. Juli um 19 Uhr in der Ausstellung „Intervall & Zufall“ von Alligator Gozaimasu im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten in Form einer öffentlichen Anhörung. Alligator Gozaimasu, das ist ein von Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl initiiertes, internationales und interdisziplinäres Künstlerkollektiv, das neben Installationen, Filmen und Performances auch Musik macht. Live erleben kann man das am 6. und 7. Juli am Kunstpavillon beim Musikfestival „Picknick Voices & Noises“, an dem neben Müller und Dietl unter anderen die Musiker Masako Ohta, Inga und Mathias Götz teilnehmen. Laura Theis, die seit einigen Jahren in Oxford lebt, ist wegen eines doppelten Bruchs leider nicht dabei.
Dafür ist der Imker und Musiker Mucho Pitchu aus Hausham beteiligt. Ihm gehören die 50000 Bienen, die man auf „The Small & The Many“ hört. Sound-Installationen hat er auch schon vorher mit ihnen gemacht, 2021 folgten während der Pandemie erste Aktionen mit Müller und Dietl. Da benutzten sie auch schon die Imkerwerkzeuge, die man auf dem Album hört. Jetzt wurde zudem das Bienenhaus zum Aufnahmestudio. Außerdem wurde mit Aimée eine modulare Synthesizer-Anlage genutzt. Mucho Pitchu packte seine Klarinette und das Saxofon aus. Steffi Müller diverse Klangerzeuger. Laura Theis schaltete sich per Videoschalte aus England dazu. Den Rest machten die Bienen.
Das Ergebnis sind neun experimentelle Klang-Stücke und von Laura Theis geschriebene Texte, die sich ebenfalls um Bienen, allgemein die Natur und darin gespiegelt auch um die Gesellschaft drehen. Den Beginn macht die Klangcollage „Entering The Edit Comb“, die einen mit Klarinette, Elektronik und zumindest gefühltem Brummen auf den Bienenstock einstimmt. Das folgende Titelstück ist so etwas wie das Herzstück des Albums. Mit mehr als acht Minuten eine Art Krautrock 3.0. Man hört ein sphärisches Keyboard, Wasser blubbert. Es gibt Harfenklänge (von den Bienen?), gospelartigen Gesang von Laura und einen fast schon ohrwurmartigem Chorus.
„Curtains Of Wax“ ist wieder eine Klangcollage, irgendetwas brummt, es klöppelt, man hört eine verhallte Trompete, deren Echo sich ins nachfolgende „News For Hungry Iggy“ schwingt. Auch dort brummt und klöppelt es, Klavierakkorde tauchen auf. Der zugehörige Text ist eine Hommage an alles Diverse und Komplexe. In „Shall We Look At Flowers“ geht es recht konkret um Bienen. Der verstolperte Hip-Hop-Beat und die Spoken Words von Theis erinnern ein bisschen an Anne Clark.
Anderes wie das leicht spukhafte „Ideonella“ hat Hörspielcharakter. Beim Outro „For All That Fall“ hört man wieder Bienen. Und vielleicht einen Besen? Hinter sich hat man da jedenfalls eine faszinierende, herausfordernde Klangreise, die noch eine ganze Ecke experimenteller als die ersten beiden Alben ausgefallen ist. Das kann an den Bienen liegen, oder den Erfahrungen mit Alligator Gozaimasu. In der kollektiven Ausstellung bekommt man das Album übrigens auf Vinyl, sonst bei Optimal Records in München und online über a-musik.com. Digital ist es auf beisspony.bandcamp.com erhältlich.