Schüler als Richter:Ich verurteile dich zu ...

Schüler als Richter: Josefina Proske (links), Annelie Tauber und Amar Ikanovic machen mit beim "Munich Teen Court".

Josefina Proske (links), Annelie Tauber und Amar Ikanovic machen mit beim "Munich Teen Court".

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Projekt "The Munich Teen Court" bringt junge Straftäter mit Gleichaltrigen zusammen, die gemeinsam erzieherische Maßnahmen beschließen. Kann das funktionieren?

Von Melanie Strobl

Welche Strafe ist wohl die richtige? Handy-Entzug? Oder Sozialstunden? Oder soll der Beschuldigte lieber ein Referat in der Schule halten? Josefina Proske ist Schülerrichterin, 15 Jahre alt, und seit vergangenem Jahr setzt sie sich ehrenamtlich mit Straftaten von gleichaltrigen Jugendlichen auseinander. Urteile spricht sie keine, aber sie vereinbart gemeinsam mit zwei weiteren Schülerrichtern und dem Beschuldigten eine erzieherische Maßnahme, um die Tat aufzuarbeiten. "Local Voices - The Munich Teen Court", so lautet der Name des Projekts, bei dem Schüler zu Richter werden.

Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Staatsanwaltschaft, der Jugendhilfe-Organisation "Brücke" und sieben Münchner Schulen. Das Ziel: einen Dialog auf Augenhöhe ermöglichen zwischen straffälligen Jugendlichen und den Teilnehmenden beim Schülergericht. So können beide Seiten etwas lernen: Die Schülerrichter übernehmen Verantwortung, und die Beschuldigten reflektieren ihre Tat im Gespräch mit Gleichaltrigen. Am Erasmus-Grasser-Gymnasium wurde am Montag das zweijährige Bestehen des Projekts gefeiert. Auch der bayerische Justizminister Georg Eisenreich kam vorbei, lobte die Arbeit der Schülerrichter und übergab Zeugnisse.

Er habe sich im vergangenen Jahr mit etwa zehn Fällen beschäftigt, berichtet Amar Ikanovic von der Maria-Probst-Realschule. Meist habe es sich um Diebstähle gehandelt. Die härteste Maßnahme seien Sozialstunden gewesen. Der Beschuldigte habe im Gespräch erklärt, dass er sich von seinen Freunden distanziert habe. Somit erschienen Sozialstunden eine geeignete Maßnahme, sagt Schülerrichter Ikanovic, denn so könne der Beschuldigte in Kontakt mit anderen Menschen kommen.

Zerda Kilic vom Erasmus-Grasser-Gymnasium erinnert sich an einen Fall, bei dem eine Jugendliche ebenfalls wegen Diebstahls zum Schülergericht kam. Da der Vater sehr enttäuscht von ihr gewesen sei, erhielt die Beschuldigte die Aufgabe, einen Brief an ihn zu schreiben, in dem sie ihre Tat reflektiert. "Ich fühle mich stolz und erleichtert, wenn ich eine geeignete Maßnahme entwickelt habe", sagt die 17-jährige Kilic.

Ladendiebstahl, Beleidigung oder leichte Körperverletzung: Solche Fälle landen vor den Schülerrichtern

Am "Munich Teen Court" können Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 20 Jahren teilnehmen - und dieselbe Altersspanne gilt für die Beschuldigten. Den Ablauf kann man sich in etwa so vorstellen: Die Staatsanwaltschaft München I leitet geeignete Justizfälle an die Schülerrichter weiter. Dabei handelt es sich ausschließlich um leichte bis mittelschwere Delikte, zum Beispiel Ladendiebstahl, Beleidigung oder leichte Körperverletzung. Die von der Jugendhilfe geschulten Schülerrichter informieren dann die Beschuldigten über den Ablauf der Sitzung. Mit dabei ist immer eine pädagogische Fachkraft, die bei Schwierigkeiten eingreifen kann.

In der Regel werde aber nicht eingegriffen, sagt Sozialpädagogin Lena Braun von der "Brücke München". "Die machen das so gut, das läuft von selbst." Bei der Sitzung besprechen Richter und Beschuldigte die Hintergründe der Tat und erarbeiten eine erzieherische Maßnahme. Dass die dann auch durchgeführt wird, überprüfen die Schülerrichter. Wenn das nicht der Fall ist, kann die Staatsanwaltschaft Anklage erheben.

Das Projekt kommt an. "Wir werden mit Anmeldungen überrannt", sagt Lena Braun. Die Schülerrichter haben nach Angaben des bayerischen Justizministers bisher mehr als 110 Fälle verhandelt. Und die Rückfallquote der Beschuldigten sei niedrig, so Eisenreich.

Die 15-jährige Josefina Proske möchte nach ihrer Schulzeit Jura studieren. Ihr habe die Arbeit als Schülerrichterin extrem viel Spaß gemacht, sagt sie. "Ich möchte es im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder machen."

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