Munich Mash:Die Aufhebung der Schwerkraft

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Große Sprünge beim Munich Mash: Die Extremsportveranstaltung fand an diesem Wochenende im Olympiapark statt. (Foto: Florian Peljak)

Bei der Extremsportveranstaltung im Olympiapark gibt’s viele Adrenalinschübe und ein Wiedersehen mit einem Skateboard-Pionier. Die weltbesten Athleten finden Anlagen, die ihnen nicht oft unter die Rollen und Räder kommen. Andere reiten Gummienten.

Von Thomas Becker

Als er die Wakeboarder wie von Geisterhand gezogen über den Olympiasee zischen sieht, versteht Kalle die Welt nicht mehr – und bellt alles raus, was der zottelige Riesenleib hergibt. „Der denkt, das sind Rehe im Wasser“, sagt sein Herrchen über den Altdeutschen Hütehund, der völlig aus dem Häuschen ist: „Der hat ein bisschen zu viel bunte Knete im Kopf.“ Macht ja nix, schließlich sind wir hier bei einem Sport-Festival, bei dem so einige Gesetze der Schwerkraft ganz offensichtlich keine Gültigkeit mehr haben: beim Munich Mash im Olympiapark

To mash something bedeutet: etwas vermischen, und das haben sie im Olympiapark nun schon zum zehnten Mal getan: Spektakuläre Action-Sportarten wie Wakeboard, BMX, Skateboard und Streetdance auf engstem Raum zu einem Adrenalin-Fest der besonderen Art zu vereinen, vor der immer wieder atemberaubenden Kulisse des Olympiaparks, und das alles, ohne auch nur einen Cent Eintritt zu verlangen. Hut ab! Als hier 2013 zum ersten Mal die sagenumwobenen X-Games Station machten, aber 2014 nicht wiederkommen wollten, ließ sich das Team um Veranstalter Frank Seipp nicht unterkriegen und rief eben den Mash ins Leben. „Wir sind schon sehr stolz, dass wir jedes Jahr immer einen Tick drauflegen konnten“, sagte Seipp vor der Jubiläumsausgabe an diesem Wochenende und meinte damit nicht nur die Zahl der Besucher (im Vorjahr wurden insgesamt 92 000 gezählt), sondern auch die gebotenen sportlichen Attraktionen.

In zwei Foto-Containern vor dem Eingang zur Olympia-Schwimmhalle kann man die Mash-Historie noch einmal Revue passieren lassen: die Premiere mit dem Mountainbike-Looping und den auf schwimmenden Pontons über den Olympiasee fliegenden Freestyle-Motocrossern vor 52 000 Zuschauern, den Einstieg der Skate- und Wakeboarder in den Jahren darauf, die riesige BMX-Spine, den 300 Meter langen und zwölf Meter hohen Rollercoaster samt Looping für die Skater, und nach zwei Jahren Corona-Zwangspause das stimmungsvolle Debüt der Streetdancer im Vorjahr. Ein Jahr spektakulärer als das andere. Und auch im zehnten Jahr gab es einen ganz besonderen Hingucker: den Red Bull Pool Drop, eine 900 Quadratmeter große Spielwiese im Freibad-Look, wie sie selbst die weltbesten Athleten nicht alle Tage unter die Rollen bekommen. 

Der Red Bull Pool Drop im Freibad-Look. (Foto: Florian Peljak)
Zuschauer am Hügel verfolgen die Tricks und Sprünge. (Foto: Florian Peljak)
Da ist man besser schwindelfrei. (Foto: Florian Peljak)

Das Schöne am Mash ist jedoch, dass es neben all den zu bewundernden sportlichen Extremen auch ein maximal niederschwelliges Mitmach-Fest ist. Einige Minis an der Kletterwand des Deutschen Alpenvereins, auf dem Trampolin, beim Jonglieren, Freestyle-Frisbee, Eishockey-Torwandschießen, Gummiente-Reiten oder beim Skateboard-, Fahrrad- und Ninja-Parcours sind noch nicht mal im Grundschulalter, können aber offenbar gar nicht schnell genug das ausprobieren, was sie gerade bei den Spektakel-Profis gesehen haben.

Fortgeschrittene trauen sich mit dem Skateboard in die Mini-Halfpipe vor dem Eingang Ost der Olympiahalle oder spielen beim 3x3-Basketball-Turnier vor dem Eingang West mit. Eher zum Zuschauen und Staunen sind dagegen die zirkusreifen Tricks an der Reckstange der muskulösen Parkour- und Freestyle-Athleten vom „Erlebniskraftwerk“, die sonst in der ersten gemeinnützigen Parkourhalle in der Piusstraße am Ostbahnhof zu Hause sind. Für die sogenannte Active Area nahe des Tretboot-Verleihs hat sich das städtische Referat für Bildung und Sport folgendes Motto ausgedacht: Mitmachen, Ausprobieren, Spaß Haben – vier Großbuchstaben, die zusammen den Begriff Mash ergeben. 

Vom Jedermann-Sport zur Weltklasse-Performance sind es nur ein paar Schritte. Zu Füßen des Olympiaturms, wo sonst Enten und Gänse ihre Bahnen ziehen, haben an diesem Wochenende die Wakeboarder ihre Liftanlage und Wasserschanzen aufgebaut. Im Schatten auf der Picknickdecke liegend oder in der Caipi-Bar sitzend, verfolgen die Münchner die Kunststücke der Boarder, haben sich an einem der vielen Stände mit Donut-Bällchen, Frappe Ice Coffee oder ähnlichem eingedeckt – es gibt schlimmere Schicksale. Dass die deutschen Athleten Nico von Lerchenfeld, Nils Ritzmann und Felix Georgii frühzeitig ausschieden und das Finale am Sonntagabend verpassen? Geschenkt. In einer Olympia-Pause kann man die deutsche Brille ja mal abnehmen. 

Übung macht den Meister, auch auf dem Wakeboard. (Foto: Florian Peljak)
Skateboard-Pionier Karl Heinz „Lullu“ Magnus. (Foto: Marcel Lämmerhirt)

Wer hoch zum zentralen Hans-Jochen-Vogel-Platz schlendert, sieht schon von Weitem die nächste Attraktion: durch die Luft segelnde BMX-Fahrer. Auf 20-Zoll-Rädern katapultieren sich die Besten ihres Fachs über eine 2,50 Meter hohe, Spine genannte Steilschanze in der Mitte einer sechs Meter hohen Halfpipe, angetrieben von einem maximal motivierten Moderator: „Ein Banger nach dem anderen! Das wird richtig fett! Leute, habt ihr Bock oder wat?!“ Die Leute haben Bock, logisch. Dass auch beim BMX die Deutschen Paul Thölen und Lennox Zimmermann das Finale verpassen? Stört niemanden – außer vielleicht Thölen und Zimmermann. Den Best-Trick-Contest sichert sich jedenfalls am Samstag Nick Bruce mit einem Flair Windshield Wiper – sagen wir’s mal so: Lässt sich ohne BMX-Expertise schwer erklären, muss man gesehen haben.

Das gilt auch für die Damen und Herren eine Etage tiefer. Unterhalb der seit dem jüngsten Ansturm der Fußball- und Swiftie-Fans reichlich runtergewohnten Liegewiese mit Blick auf den Olympiaberg zelebrieren die Skateboarder ihre Kunst auf den vier Rollen – für den Laien schwer nachvollziehbare Manöver, die die Fachleute aber ins Schwärmen bringen. Die deutsche Bundestrainerin Lea Schairer, eine Münchnerin, macht in dem sehr anspruchsvollen Kurs diesmal als Teilnehmerin mit, schafft es aber nicht ins Finale. Anders als Landsmann Jost Arens: Der dreifache deutsche Meister qualifiziert sich zwar für die Runde der Besten, kommt aber auch aufgrund von Knieproblemen und einem Sturz bei seinem letzten Trick nicht über Platz acht hinaus. Es gewinnt ein blonder Japaner namens Kairi Netsuke. Bei den Frauen siegt Miyu Ito, ebenfalls aus Japan. 

Die Siegertrophäen – überdimensionierte Eisbecher – überreicht ein älterer Herr: Karl Heinz „Lullu“ Magnus. Im September wird er 75, vergangene Woche wurde der im Münchner Stadtteil Kleinhadern aufgewachsene Senior in die Hall of Fame der World Freestyle Association aufgenommen, als ein Pionier des Skateboardens in Deutschland. Anfang der 70er-Jahre hatte er in Bad Tölz einen GI aus der nahen US-Kaserne auf diesem Brett mit Rollen gesehen, sich als Sport-Scheck-Skilehrer in diesen irren Sommersport verliebt und bei dem Ami gleich ein paar Exemplare bestellt. Seine Trainingsstrecke: die Brücke von der U-Bahnstation Olympiazentrum rüber zum Olympiaturm, abfälliges Gelände, ideal zum Slalomfahren. Begeisterte Zuschauer hatte er schnell, und so kam es, dass Lullu 1977 im Olympiapark die ersten bayerischen Meisterschaften veranstaltete, in den Disziplinen Freestyle, Hochsprung, Slalom. Schirmherr: ein gewisser Franz Josef Strauß – Magnus hatte einige CSUler im Skikurs gehabt.

Fortan tourt er mit einer Show-Gruppe durch Deutschland, tritt im Showprogramm von Sechstagerennen auf, landet in einer TV-Sendung mit Roberto Blanco, gründet den Dachverband Deutscher Skateboarder, stellt in Santa Monica einen Weltrekord in 360-Grad-Drehungen auf und begeistert 20 000 Fans im Theatron mit einer bunten Skate-Show. Noch heute, mit fast 75, gibt er Skate- und Scooter-Kurse, für die Volkshochschule in Beilngries im oberbayerischen Landkreis Eichstätt. Als er den gewaltigen Mash-Parcours der Skateboarder sieht, sagt er nur: „Wahnsinn! Wir mussten damals kämpfen, dass wir irgendwo fahren können. Uns haben sie aus der Tiefgarage verjagt.“ Tempi passati, zum Glück.

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