Süddeutsche Zeitung

Kritik:Ankunftsmusik

Bevor die Münchner Philharmoniker vom Gasteig in die Isarphilharmonie ziehen, stellen sie sich mit Nachbarschaftskonzerten in Sendling vor.

Von Sarah Maderer, München

Ganz nah und zwanglos präsentieren sich die Münchner Philharmoniker am vergangenen Samstagabend ihren neuen Nachbarn, als wollten sie nur mal kurz klingeln und "Hallo" sagen. "Bevor wir im Herbst vom Gasteig in die Isarphilharmonie umziehen, wollten wir erstmal im Viertel aufschlagen und Locations bespielen, die man nicht unbedingt mit klassischer Musik assoziieren würde", sagt Pressesprecher Christian Beuke. In den unterschiedlichsten Kammermusik-Formationen verteilen sich die Orchestermitglieder auf vier Spielorte: Alte Sendlinger Kirche, Stemmerhof, Kulturzentrum Luise und Impact Hub Munich. Dieses Konzept schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe; publikumsnah und doch Corona-konform, ein dezentrales Meet & Greet sozusagen. Beuke zufolge habe man ursprünglich noch mehr Orte einbeziehen wollen, damit eine Art musikalischer Viertel-Rundgang entstehen kann - ein Wunsch, der sich in der post-pandemischen Zukunft realisieren lässt, nachdem die Nachbarschaftskonzerte zum jährlichen Fixpunkt im Programm der Philharmoniker werden sollen.

Um Programmgestaltung und Ensemble-Bildung kümmern sich die Musikerinnen und Musiker bei den Nachbarschaftskonzerten selbst, dementsprechend bunt fällt das Angebot aus: Vom Klarinettenquintett bis zum Schlagzeug-Trio, von Broadway-Pop bis zu chinesischer Programmmusik. Pro Ticket werden den Besuchern zwei Minikonzerte an zwei Locations geboten, deren Distanz fußläufig leicht zu bewältigen ist. Sehr kinderfreundlich, diese Kombination aus kurzweiligen Konzerthälften und erfrischenden Spazierpausen, merkt eine Besucherin an, während sie ihre Tochter mit einer Kugel Eis vom Stemmerhof fürs Durchhaltevermögen belohnt.

Meist ohne schwarze Konzertkluft und überhaupt ohne übermäßige Formalität führen die Ensemblemitglieder selbst durchs Programm, so auch Schlagzeuger Sebastian Förschl. Passend zur urban-kreativen Atmosphäre des Impact Hub Munich betrommeln er und seine Schlagzeug-Kollegen Jörg Hannabach und Michael Leopold unkonventionelle Oberflächen, darunter Tischplatten und Leitersprossen. "Experimentellere Instrumente landen immer erstmal bei uns im Schlagwerk", witzelt Förschl, ehe das Trio perfekt aufeinander eingespielt einen präzisen und synchronen Pulsschlag beweist, ganz unabhängig von der Schlagoberfläche und mit sichtlich viel Spaß an der gemeinsamen Jamsession.

Ähnlich viel Leidenschaft und Professionalität transportiert das Streichquintett um den stellvertretenden Konzertmeister Iason Keramidis bei einem der Abschlusskonzerte des Abends. Als eines der ersten Ensembles, das die neue Bühne des Kulturzentrums Luise einweihen darf, schöpfen die fünf Musikerinnen und Musiker mit Brahms' Streichquintett in G-Dur den Raum klanglich voll aus. Bemerkenswert ist, wie stimmig sich hier die Klangfarben der fünf Instrumente zusammenfügen und wie aufmerksam und respektvoll jeder Part dem anderen lauscht, als ob ein fünfköpfiges Liebespaar die Sätze des jeweils anderen beendet - ein ausdrucksstarker Abschluss für dieses intime Konzerterlebnis, mit dem der erste Eindruck der Philharmoniker bei ihren neuen Nachbarn links der Isar geglückt sein dürfte.

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