Süddeutsche Zeitung

Müll:Das kann weg!

Auf den Wertstoffhöfen werfen Menschen nicht nur ihren Müll weg, sondern entsorgen so manches auch sehr symbolisch. Zwölf Beispiele.

Von Pia Ratzesberger (Texte) und Alessandra Schellnegger (Fotos)

Der Trödel

Er entrümpelt schon seit zwei Monaten. Und ist immer noch nicht fertig. Hans Rötzer, 48, hilft gerade einer älteren Dame, ihren Keller leer zu räumen. Der ist 200 Quadratmeter groß und als er zum ersten Mal dort unten war, fand er unter anderem: einen Kohleboiler aus den Dreißigerjahren, vor Jahrzehnten eingewecktes Obst sowie 30 Kilo Kernseife. In solchen Kellern zeigt sich, wie groß die Sammelleidenschaft der Menschen ist, wie schwer es manchmal fällt, sich von Dingen zu trennen. "Du denkst ja immer, dass du das alte Waschbecken vielleicht doch noch einmal brauchen kannst", sagt Rötzer. Manche Dinge, die er in seinem Anhänger dabei hat, würden am Flohmarkt wahrscheinlich als Vintage gelten und recht hohe Preise erzielen, doch sobald Rötzer sie auf den Platz des Wertstoffhofes geladen hat, darf er sie an Interessierte nicht mehr abgeben. Der Sperrmüll gehört von dem Moment an den Abfallwirtschaftsbetrieben - und so gut erhaltene Dinge wie den Picknickkorb geben sie an die Halle 2 weiter. Ihr eigenes Second-Hand-Kaufhaus.

Die Matratze

Vor neun Jahren hat die Familie ein neues Haus gebaut, die Mutter hatte damals genaue Vorstellungen, wie das auszusehen hat. Ein vorgezogenes Treppenhaus zum Beispiel musste sein, ganz aus Glas - in dem einen das halbe Viertel morgens im Schlafanzug sehen könne, sagt die Tochter Patricia Kirschner, 19. Man hört, dass sie sich darüber nicht immer freut. Man habe dafür einen tollen Blick, entgegnet die Mutter, Doris Kirschner, 53. Die Matratze hat sie sich damals zum neuen Haus gekauft, nach neun Jahren muss jetzt eine neue her. In dem Haus aber plant sie, wohnen zu bleiben - "für immer". Warum eine Situation verändern, wenn sie gut ist. Kirschner hat sich deshalb auch die gleiche Matratze noch einmal geholt, man hat sich aneinander gewöhnt. Die Tochter wohnt mit im Haus, sie macht gerade eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Das Hotel Mama sei nun einmal günstig. Zudem schlafe man dort sehr gut, sagt sie. Auf einer bequemen Matratze.

Das Trampolin

Axel Springfeld, 61, muss ausziehen. Sein Haus wollen die Enkel des Vermieters jetzt verkaufen, die Immobilienanzeige steht schon im Internet. Er könnte sich auf jahrelange juristische Streitereien einlassen, sagt er, aber am Ende sterbe er wegen all des Stresses noch an einem Herzinfarkt. Darauf habe er keine Lust, und so hat er sich schon eine neue Bleibe gesucht, eine außergewöhnliche. Springfeld, gelernter Flugzeugbauer, wird mit seiner Freundin in einen alten Wasserturm bei Mammendorf ziehen, mit fünf Stockwerken und einem Blick bis zu den Alpen. Dort gibt es viel Platz für all die Dinge, die er in den vergangenen Jahren auf mehr als 100 Quadratmetern angehäuft hat, in seiner kleinen Werkstatt mit Drehbank zum Beispiel. Vieles sortiert er für den Umzug aber aus, viereinhalb Tonnen hat er bisher schon weggeworfen, alleine aus seinem Haushalt. Jetzt kommt noch das Trampolin aus der Physiotherapie-Praxis seiner Freundin dazu, von dem er immer dachte, dass er es noch einmal reparieren werde. Den Vorsatz hat er aufgegeben.

Die Fenster

Sie zieht jetzt weg aus Bayern. In ein altes Haus an der Weinstraße in Rheinland-Pfalz. München sei zu teuer, sagt Doris, 54. Für das Alter stelle sie sich ein anderes Leben vor, zum Beispiel eines inmitten von Weinreben und Pfirsichen, mit Blick auf das Hambacher Schloss. So wie in dem Haus an der Weinstraße eben. Wegen des Umzugs muss sie sich allerdings auch von vielen Dingen trennen, die sie früher einmal auf Reisen gesammelt hat. Ihr Mann neben ihr sagt dazu nur: "Sie hat da so eine bestimmte Eigenart." Wenn Häuser abgerissen werden zum Beispiel hält sie an und fragt nach, ob sie aus dem Schutt ein paar Sachen mitnehmen könne. Die alten, weißen Fenster hat sie bei einem Abriss in Frankreich eingepackt, im Elsass. Nicht um sie Zuhause bei sich wiedereinzubauen, sondern als Menükarten für Abendessen mit Freunden. Sie nehme alles mit, was schön ist oder zumindest wieder schön gemacht werden könne, sagt sie. Der Dachboden sei voll, die Garage auch. Das Haus an der Weinstraße aber ist noch leer. Noch.

Das Fahrrad

Das Fahrrad hat Udo Schilling, 72, damals für seinen Sohn gekauft - und beim dem durchaus etwas ausgelöst. Schilling ist selbst mehrfacher Meister im Rudern, gewann Dutzende Titel, und so versuchte er seinem Sohn die Passion für Sport weiterzugeben. Das eiserne BMX-Rad war nach dem Dreirad das erste Fahrrad des Juniors, mittlerweile ist der 40 Jahre alt und fährt vor allem Berghänge hinab. Hill biking nennt sich das, "da geht es gnadenlos steil runter", sagt Schilling. Manchmal begleitet er seinen Sohn mit auf den Berg, mindestens 2000 Meter geht es nach oben, dann nimmt der Sohn auch mal den Drachen und hebt ab. Sein Vater sagt über ihn: "Das ist ein völlig Verrückter." Mit dem kleinen Fahrrad damals begann die Begeisterung für die Extreme. Gerade will Schilling es in den Container werfen, dann aber entscheidet er sich doch noch anders. Das Rad kommt wieder mit. Sein Sohn wusste nicht, dass er es auf den Wertstoffhof gebracht hat. Wahrscheinlich wird er verärgert sein, wenn er es erfährt - aber sich freuen, dass es noch da ist.

Der Tisch

Es war nicht sein Tisch, sondern der seiner Freundin. Er sah sie zum ersten Mal im Café Mélange am Westfriedhof. Er trank dort einen Kaffee, beim Rausgehen sah Dieter Lindemann in einem Spiegel "ihr liebes Gsichtl". Er beschloss vor der Türe auf die Frau zu warten, Zeit hatte er ja. Lindemann, 84, war früher einmal Maschineninspektor für Erdbaumaschinen, seit 13 Jahren aber ist er nun im Ruhestand. Und seit jenem Tag im Café verbringt er den nicht mehr alleine. Die Frau machte im Café gerade Pause, sie war eigentlich mit ihrem Taxi unterwegs - sich was zur Rente dazuverdienen, um die Wohnung abzubezahlen. Acht Tage später traf er sie wieder, seitdem sind sie ein Paar, wohnen aber nicht zusammen. Dieter Lindemann nennt das: "Gschlampertes Verhältnis". Der Tisch stand viele Jahre bei seiner Freundin im Keller, mit einer Platte aus geschliffenem Glas. Die Freundin dachte immer, vielleicht braucht ihn einmal der Enkel, aber wie es so oft passiert, hob sie ihn fünf Jahre auf, um ihn dann doch wegzuwerfen. Ein Schreibtisch aber steht noch im Keller. Und wartet auf den Enkel, der bald aus Mexiko zurückkommt.

Das Radio

Er wohnt seit zehn Jahren in dem Haus, aber das alte Radio hat Thomas Martin erst spät entdeckt. Vielleicht gehörte es den direkten Vormietern, die hätten alles Mögliche im Keller gesammelt. Deshalb ist er mit seiner Mutter an diesem Nachmittag auch auf den Wertstoffhof gekommen, sie wollen endlich aussortieren. Martin, 15, hat das alte Radio aufgeschraubt, es schien intakt zu sein, anstecken wollte er es nicht - aus Angst, dass es kaputt geht. Eigentlich fand er das Radio auch zu schön, um es wegzuwerfen, er hatte es zum Verkauf ins Internet gestellt. Doch niemand wollte es haben. Jetzt kommt das Radio also doch auf den Müll, obwohl es eigentlich noch zu gebrauchen wäre, wie so vieles auf dem Wertstoffhof, auf einem von zwölf in der Stadt. Die Leute bringen Schallplattenspieler, Couchgarnituren, Kinderwägen und Topfpflanzen. 84 139 Tonnen werden jedes Jahr auf den Münchner Wertstoffhöfen gesammelt. Davon sind um die 4000 Tonnen "Elektronikschrott" - Waschmaschinen oder Kühlschränke ausgenommen. Einer der Mitarbeiter erzählt, neulich habe ein Mann ein teures Soundsystem vom Hersteller Bose hergebracht. Ein ganz neues.

Der Hometrainer

Sie macht, was man in ihrem Alter nun eben machen muss, sagt Liane Simmel, 52. Der Vater ist verstorben, die Mutter lebt im Seniorenheim - und sie kümmert sich nun um das Haus sowie alles, was darin übrig geblieben ist. Zum Beispiel um den Home Trainer aus den Siebzigerjahren. Mit dem hatte sich der Vater immer vorgenommen abzunehmen, letztendlich aber stand das Ding doch nur im Partykeller. Ungenutzt. "Ich dachte, irgendwann habe ich die Zeit, die Sachen zu verkaufen", sagt Simmel, aber man nehme sie sich eben doch nie. Zuletzt hat Simmel selbst geschneiderte Stücke der Schwester zur Kleidersammlung gegeben. Einen Seidenanzug wie aus dem Film Pretty Woman zum Beispiel, genau nachgeschneidert. Die Schwester arbeitet als Schnittdirektrice und nähte ihr zu jedem Anlass ein neues Teil. In ihrem eigenen Haus wiederum hat Liane Simmel mittlerweile einen neuen Crosstrainer stehen - den hat ein Freund dort untergestellt, der ebenfalls ein Haus ausräumen musste und keinen Platz dafür hatte. Mit dem könne sie ja öfter einmal trainieren, sagte er. Seitdem steht der Crosstrainer dort. Ungenutzt.

Das Sofa

Seine Frau hatte das Sofa vor sechs Monaten gekauft. Allerdings nicht für sie beide gemeinsam, sondern für sich alleine. Und nun bringt es Udo Klingl, 61, also doch noch in einem kleinen Laster zum Wertstoffhof. Für ihn ist dieses Sofa ein Symbol. "Für die Revidierung unserer Trennung", sagt er. Seit fast vierzig Jahren ist er mit seiner Frau verheiratet, gemeinsam hatten sie überlegt, sich wieder einmal ein neues Sofa zu kaufen, auch schon eines ausgesucht. Dann aber zog die Frau aus - und Klingl ließ sein altes Sofa stattdessen neu beziehen. Seine Frau wiederum kaufte sich eine günstigere Version des Designersofas, das sie zusammen kaufen wollten. Das graue Eckteil, das er nun aus dem Laster lädt. Die Leidtragende, sagt Klingl, sei am Ende seine Schwiegermutter gewesen, die das graue Sofa bezahlen musste. Jetzt kommt das Sofa weg, die Ehefrau ist wieder da. Ob sie sich noch gemeinsam das Modell kaufen werden, das sie sich ursprünglich ausgesucht hatten? Udo Klingl überlegt, dann antwortet er: Wenn, dann vielleicht in zehn Jahren.

Die Gitarren

Der Mann zieht zwei kleine Plastikgitarren aus seinem Kofferraum, die hätten ihn manchmal an seine nervlichen Grenzen gebracht, sagt Andreas Schober, 36. Sonntagmorgen, sieben Uhr und die beiden Kinder mimten im Schlafzimmer der Eltern Rockstars. Er selbst hat auch einmal Gitarre gespielt, zu Lagerfeuerzeiten, Songs von den Rolling Stones. Lange her. Seine Familie und er ziehen jetzt um in eine größere Wohnung mit fünf Zimmern, näher zu den Eltern. Auch wenn sie dort mehr Platz haben werden, sei es an der Zeit, sich von vielen Dingen zu trennen. Von einem alten Sofa zum Beispiel, von einem alten Sandkasten. Seit Wochen kommt Schober her und karrt altes Zeug weg. Was sich in vier Leben so ansammelt, ohne dass man es merkt. Den Gitarren werden die Rockstars ohnehin nicht nachtrauern, sagt Schober. Die Tochter und der Sohn sind älter geworden, sieben und acht Jahre alt sind sie mittlerweile - im Gegensatz zu den Rolling Stones haben sie beschlossen ihre Karriere in höherem Alter nicht weiter zu verfolgen. Der Vater kann damit gut leben.

Der Ast

Abends sitzt er oft auf seinem Bankerl im Garten. Neben dem Haselnussbaum. Er hat den Baum nicht gepflanzt, sondern irgendwann ist der rübergewachsen, vom Nachbarn. Walter Brandl, 55, ist in dem Garten aufgewachsen. Seine Urgroßmutter hatte das Grundstück gekauft, seine Eltern haben manchmal zwischen den Bäumen gearbeitet bis es dunkel war. Eine große Fichte steht dort neben Lärchen und Apfelbäumen, fast 25 Meter hoch. Der große Bruder hatte die den Eltern im Jahr 1977 zur silbernen Hochzeit geschenkt. Brandl hat noch zwei weitere Geschwister; niemand von ihnen aber lebt in Untermenzing, und so übernahm er das Grundstück der Eltern. Vor sechzehn Jahren riss er das alte Haus ab und baute neu. Der rübergewachsene Haselnussbaum nahm jetzt zu viel Licht weg, deshalb stutzte ihn Brandl zurecht. Von kaum etwas anderem bringen die Menschen in München so viel auf die Wertstoffhöfe wie von den Gartenabfällen. 13 173 Tonnen waren es zuletzt in einem Jahr. Nur Altholz sammeln die Wertstoffhöfe noch mehr, 22 974 Tonnen im Jahr.

Die Auflagen

Eleonore Schmidbauer schiebt gerade die Sitzkissen zum Container, gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter. Sie wohnen unter einem Dach. Als Schmidbauer vor vielen Jahren ihren Mann heiratete, zog sie in sein Elternhaus in Obermenzing mit ein - mit großem Garten und einem mittlerweile beträchtlichen Bestand an Gartenmöbeln. Vierzehn Auflagen bringt Schmidbauer gerade weg, zwölf Stühle haben sie draußen stehen. Für die vielen Feiern. Erst gestern sei wieder eine Freundin da gewesen, sagt Schmidbauer, man besuche sich spontan, zum Essen, zum Plaudern, manchmal bis spät am Abend. Auf den bunten Kissen allerdings könne jetzt niemand mehr sitzen, denn in die hatten sich Mäuse eingenistet, den Stoff angefressen. Die Auflagen kommen nun in einen der Container für Textilien - 961 Tonnen sammelten die Münchner Wertstoffhöfe zuletzt in einem Jahr ein. Sollten die Mäuse wieder kommen, hofft Eleonore Schmidbauer auf die Katze der Nachbarn.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018/imei
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