Süddeutsche Zeitung

Keramik-Label "Motel a Miio":Ein Mitbringsel aus dem Urlaub

Anna von Hellberg und Laura Castien haben vor fünf Jahren angefangen, Keramik aus Portugal zu verkaufen. Dort, bei einem gemeinsamen Abendessen, entstand auch ihre Geschäftsidee. Inzwischen haben sie europaweit 20 "Motel a Miio"- Läden.

Von Sabine Buchwald

Laura Castien kommt mit einer Schale und einer Vase die Treppe hoch. Unter ihrem Arm klemmen Blumen: eine roséfarbene Protea und ein Zweig mit dunkelblauen Beeren, der perfekt zum Tüpfchen-Dekor der mitgebrachten Vase passt. Wie die Schale, ist sie ein Stück aus der eigenen Keramik-Kollektion. Sie drückt Anna von Hellberg den Strauß in die Hand und sagt: Sie habe sich jetzt einfach in die Einfahrt gestellt und den Warnblinker angemacht. "Das passt schon", antwortet Hellberg, die hier mit Mann und Kindern wohnt. "Wir behalten die Straße einfach im Auge."

Von dem ovalen Esstisch aus, an den sich Castien zu Hellberg setzt, geht das ganz gut. Und Castien wird in den nächsten Stunden immer wieder ihren Kopf recken und durch die Doppelfenster der Altbauwohnung ihrer Freundin nach unten schauen. Einen Parkplatz mitten in Schwabing zu finden, ist Glückssache, auch an einem gewöhnlichen Dienstagvormittag. Über zu wenig Glück können sich Castien und Hellberg ansonsten nicht beschweren.

Vor ziemlich genau fünf Jahren fing alles an mit ihrem Keramik-Label Motel a Miio. Sie haben jetzt ein kleines Jubiläum, vor allem aber richtig großen Erfolg. 14 eigene Läden in Deutschland, zwei in Österreich, drei in der Schweiz konnten sie seit 2016 eröffnen. Erst vor wenigen Tagen kam noch ein Geschäft in der Amsterdamer Huidenstraat dazu. Vielleicht derzeit eine der schönsten Einkaufsgegenden Europas. Extrem hip, mit vielen kleinen Läden.

20 Motel-a-Miio-Geschäfte gibt es also jetzt, weitere sind geplant. Die Münchner Firmengründerinnen denken an Frankreich, an die Benelux-Länder, an England. Castien träumt von einer Dependance in New York. Sie hat vier Jahre lang dort gelebt, an der Parsons School of Design studiert und dann gearbeitet.

Die beiden Frauen kennen sich, seit sie 18 sind. Die eine (Castien) ist braunhaarig und überragt die andere, die blonde (Hellberg), um fast einen halben Kopf. Sie sind Freundinnen, die sich respektvoll ausreden lassen und ziemlich offen und oft in die Augen sehen. Sie lachen viel. "Wir ergänzen uns so gut, das ist wahrscheinlich die Erklärung für unseren Erfolg", sagt Castien. "Wir haben dieselben Werte", sagt Hellberg.

Familienleben ist ihnen wichtig, Essen und gesellig sein, ein Weinchen trinken, gemeinsam reisen, Kultur. Beide haben Grafik-Design studiert. Aber das ist schon eine Weile her. Castien und Hellberg sind jetzt 40, verheiratet und Mütter von je zwei Kindern. In Hellbergs Wohnzimmer steht ein XXL-Sofa, auf dem sich vier Erwachsene und vier Kinder lümmeln können.

Die Betonung dieser gemeinsamen Werte ist Teil ihrer Geschichte, denn die Business-Idee entstand in einem Familienurlaub in Portugal. Im Meer baden, Sandburgen bauen, gemeinsam Lokale ausprobieren, so haben sie die Tage damals verlebt. Eines Abends werden die Fische, der Salat, die Oliven auf vielen verschiedenen Keramiktellern gebracht. Die Frauen sind begeistert, fragen beim Kellner nach und gehen am nächsten Tag in den Laden, in dem das Restaurant sein Geschirr bezieht. "Wir sind völlig ausgerastet, wir waren im Pottery-Heaven", sagt Hellberg und schwärmt von den Farben, den Formen, von dem robusten und doch gleichzeitig eleganten Material der Stücke.

Zurück in München planten sie einen Pop-up-Sale in der Hans-Sachs-Straße mit der schönen Ware, die sie aus Portugal kommen lassen. Jede Familie investierte damals 2000 Euro. "Wir dachten, schlimmstenfalls müssen wir die Sachen halt auf Flohmärkten verscherbeln", sagt Castien. "Ich habe kurz davor noch total gehadert mit der Idee", sagt Hellberg. 2000 Euro, das sei schon ziemlich viel Geld für sie gewesen, zu viel, um die Summe in den Sand zu setzen. Und dann ging innerhalb eines Tages fast alles weg. Als eine Kundin nachfragte, ob sie denn noch mehr von diesen tollen Tassen und Tellern bekämen, antworteten die beiden Freundinnen spontan: ja. "Ein Pop-up-Sale, bei dem die Leute Schlange stehen, das ist schon ein Proof of Concept", sagt Hellberg. Ein Beweis jedenfalls für das richtige Gespür für einen Trend.

Nach diesem ersten Erfolg fingen die beiden Frauen an zu recherchieren, wo in Portugal diese Art von Keramik hergestellt wird. Sie überlegten sich eigene Formen und Farben. Viel mit Mint, Blau- und Rosatönen. Dann sind sie mit ihren Männern und den damals nur drei Kindern zu den Manufakturen gereist. "Wir hatten keine Ahnung, wie so ein Geschirr gemacht wird", sagt Hellberg. "Wir mussten viel lernen." Manche Tassen werden gegossen, manche Teller und Schüsseln auf der Töpferscheibe gedreht. Die Glasur macht sie so besonders: Die hellen Farbtöne mit ihren Sprenkeln und Unregelmäßigkeiten, die dicken Streifen, die durch verschiedene Farbbäder entstehen. Jedes Teil kommt ein bisschen anders aus dem Ofen. Und doch passt alles irgendwie zusammen.

Im Winter 2016/17 starteten sie ihre eigene Produktion unter dem Namen Motel a Miio. Auf der Rückseite jedes Stückes ist das Logo gestempelt. Das M mit den nachfolgenden Is schwungvoll verbunden. Das soll Wellen symbolisieren, das Wasser der Algarve. Und was bedeutet Motel a Miio? "Ein Mitbringsel aus dem Urlaub, von mir für dich", erklärt Hellberg.

Es ist ein Kunstwort. Auch wenn es sich so anhört, es ist nicht Portugiesisch. Ihnen habe einfach der Klang gefallen. Jede Farbe, jede Form hat einen Namen: Nuno ist die bauchige Vase, Farol, die kleine Stehlampe, die türkisfarbene Serie mit dem lebendigen Innenmuster heißt Alcachofra. In der Sendlinger Straße, wo es einen der Münchner Läden gibt, hat ein Hotel unter dem Namen Mio aufgemacht. "Wir hatten uns nichts dabei gedacht, als sie uns fragten", sagt Hellberg. Inzwischen sind sie es ein bisschen leid, Zimmerbestellungen abweisen zu müssen.

Das Geschirr passt perfekt zu mediterraner Küche, ebenso wie zu asiatischer. Tapas sehen genauso wertig darauf aus wie Sushi oder Salat mit Papaya-Streifen. Gastronomen, die trendig und individuell wirken wollen, setzen schon seit längerem nicht mehr auf weißes Porzellan. Zumindest ergänzen sie mit farbiger Keramik. Beispielsweise in den Münchner Lokalen Hey Luigi oder im Café Kranich findet man das Wellen-Logo auf der Rückseite des Geschirrs. Es passt zu Lokalen, die Bowls auf ihrer Speisekarte stehen haben, Dhal, Hummus und lauwarmen-Bratkartoffelsalat. Für jeden Geschmack also etwas. "Ich glaube, wir schaffen es, dieses erste Gefühl, das wir damals in Portugal spürten, mit dem Geschirr zu vermitteln", sagt Castien.

An dieser Stimmung von Urlaub und Wohlfühlen arbeiten sie auch ganz geschickt. Auf der Webseite sieht man die beiden Frauen am Strand, fröhlich und unbeschwert. "Am Anfang haben wir uns gar nicht so viele Gedanken gemacht, sondern sind einen Schritt nach dem anderen gegangen", sagt Castien noch und Hellberg ergänzt: "Wir haben aus einem verstaubten Oma-Thema ein Life-Style-Produkt geschaffen." Ein Geschirr, das Individualität betont, zu Holztischen und zu zusammengesammelten Stühlen, zu Baumwollkleidern und dicken Fischerpullis.

Mittlerweile sind auch die Ehemänner in die Firma eingestiegen. Der eine bringt Know-how in Betriebswirtschaft mit, der andere Ideen aus dem Kreativbereich. Hellberg war die einzige der vier, die eine Festanstellung aufgegeben hat. Sie war zehn Jahre Art-Direktorin bei einer großen internationalen Wäsche-Firma. "Wir kommen nicht aus Gründerfamilien. Das ist alles Neuland für uns", sagt sie. Sie teilen sich die Kinderbetreuung, auch die Omas stehen an manchen Nachmittagen vor den Schulen oder der Krippe.

Fast 200 Mitarbeiter hat Motel a Miio inzwischen und es gibt noch einige Stellen zu besetzen. Das Label ist enorm schnell gewachsen. Trotz Corona und obwohl die Läden wochenlang schließen mussten. Der Online-Handel hat diese Zeit überbrückt. Wahrscheinlich hat die Rückbesinnung aufs Zuhause, aufs Kochen für kleine Runden dem Unternehmen sogar kräftig geholfen. Die Stücke liegen in einer Preisspanne, die nicht geschenkt, aber für viele doch erschwinglich sind. Pastateller kosten zum Beispiel um die 24 Euro.

Von ihrer Zentrale in Allach aus verschicken sie weltweit. 2021 lag der Brutto-Umsatz bei 15 Millionen Euro, in diesem Jahr dürften es 50 Prozent mehr sein, schätzt Hellberg. Seit April haben sie einen Investor an Bord. "Wir waren an einem Punkt, wo klar war: Entweder geben wir Vollgas, oder wir werden irgendwann überholt", sagt Laura Castien und holt tief Luft. Nach einer kleinen Pause sagt Anna von Hellberg dann: "Die Konkurrenz schläft nicht." Und beide lachen.

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