Süddeutsche Zeitung

Mordprozess in München:Ein besonderer Zerstörungswille

Ein scheinbar zurückhaltender Mann soll seine Frau in der gemeinsamen Wohnung am Nymphenburger Kanal getötet haben. Gerichtsgutachter Matthias Hollweg hat schon viele grausame Geschichten gehört - in diesem Fall ist einiges außergewöhnlich.

Von Susi Wimmer

Die Frage ist so alt wie die Menschheit selbst und treibt Polizei, Gerichte oder auch Krimiautoren stetig um: Warum wird ein Mensch zum Mörder? Roland L. muss sich derzeit vor der ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht München I verantworten. Der 37 Jahre alte Münchner Consultant lebte mit seiner Ehefrau in einer Galeriewohnung am Nymphenburger Kanal. Er wird als zuvorkommend, erfolgsorientiert, hilfsbereit und betont höflich beschrieben.

Als er im Oktober vergangenen Jahres auf dem Handy seiner Frau einen erotischen Chat mit einem anderen Mann entdeckte, soll er zum Messer gegriffen, zwölfmal auf sie eingestochen und anschließend die am Boden liegende und röchelnde Schwerstverletzte gewürgt haben, bis sie tot war. Ein außergewöhnlich "massiver Ausbruch von Aggression", sagt der forensische Psychiater Matthias Hollweg. Nur: Warum?

Matthias Hollweg befindet sich berufsbedingt meist in der Gesellschaft von Verbrechern. In Stadelheim leitet der 62-Jährige die Sozialtherapeutische Abteilung für Sexualstraftäter, dazu arbeitet er als Gutachter für die Gerichte. Hollweg hat in seiner langjährigen Berufszeit die grausamsten Geschichten gehört, erschütternde Geständnisse. Aber im Fall von Roland L., der wegen Mordes angeklagt ist, sagt Gutachter Hollweg, dass er bei diesem Delikt "viele Besonderheiten" sehe.

Eigentlich hatte L. gelernt, sich aus Schwierigkeiten heraus zu kämpfen

Roland L. nahm keine Drogen, er war auch zur Tatzeit nicht betrunken. Er galt eher als beherrscht, diszipliniert. In seiner Jugend schaffte er es sogar in den B-Kader der Jugendmannschaft für Olympia. Die Streitereien der Eltern und ihre Scheidung habe der Angeklagte als belastend empfunden, sagt der Gutachter. Aber L. habe gelernt, sich aus Schwierigkeiten heraus zu kämpfen. Mehr noch: "Sein Leben war geprägt davon."

Von der Hauptschule auf die Realschule, Lehre, dann Fachabitur und noch ein Studium. Roland L. hatte sich sogar bei der Polizei beworben, hatte eine Zusage, ging dann aber doch lieber zum Finanzamt. Er schaffte seinen Bachelor in BWL, war im Prozessmanagement und als Berater tätig. Er hatte sich nach oben gearbeitet, "er war erfolgreich", sagt Hollweg. Dann der Bruch.

Im Frühjahr 2020 sei L. in eine Depression gerutscht. Er hatte 370 000 Euro an der Börse verloren durch Corona und Wirecard. Es war zum Teil das Geld seiner Verwandten. Er war arbeitslos, hatte aber im Sommer wieder etwas gefunden und einen neuen Job begonnen. Laut Zeugen, so erzählt Hollweg, habe es Probleme in der Ehe gegeben. L. selbst behauptet, es sei alles gut gewesen.

Doch in jenem Jahr, so meint Hollweg, habe sich "die Divergenz zwischen den beiden Eheleuten nochmal verschärft". Auf der einen Seite die Ehefrau, die mehrere Millionen geerbt hatte und in deren Eigentumswohnung das Paar lebte. Auf der anderen Seite Roland L., der darum kämpfte, seinen sozialen Stand zu heben. "Möglicherweise hat sich auch die Beziehung zu einem Kampf entwickelt", sagt Hollweg. Sie sei dominant gewesen, er sozial und psychisch abhängig, konfliktscheu und aggressionsgehemmt.

Das Messer sei zufällig auf der Galerie gelegen, sagt L. - Hollweg hat da eine andere These

Hollweg bescheinigt dem Angeklagten auch eine gewisse Empfindlichkeit, Narzissmus und eine Selbstwertproblematik. Und möglicherweise, so sagt der Psychiater, "ist ihm seine Frau auch entglitten. Er ist von der Gewinnerstraße abgekommen". Möglich, dass sich in dieser Gemengelage alles "mit einem hohen Maß an Aggression" entlud.

Roland L. schilderte die Tat am ersten Verhandlungstag dergestalt, dass er den Sex-Chat auf dem Handy seiner Frau gesehen und sie zur Rede gestellt habe. Sie habe abwertend reagiert, zufällig sei oben auf der Galerie ein Messer gelegen. Sie habe sich dazu hinbewegt, er sei schneller gewesen und habe "ein-, zweimal" zugestochen. Wie das mit ihm geschehen konnte, wisse er nicht.

Hollweg stellt die These in den Raum, dass L. auch zielgerichtet und vorbereitend gehandelt haben könnte. Laut Zeugen sei es in dem ordentlichen Haushalt unwahrscheinlich gewesen, dass ein Messer im Wohnbereich lag. Selbst wenn sich die Frau zu dem Messer hinbewegt habe und er schneller gewesen sei: L. ist zwar nur 1,69 Meter groß, dafür aber durchtrainiert und kräftig. "Er war ihr körperlich überlegen." Er hätte gar nicht mehr zustechen müssen, nachdem er das Messer an sich genommen hatte. Die mutmaßlich gefährliche Situation sei ja da schon abgewendet gewesen. Insofern hielt Hollweg die Einlassung von L. für "nicht nachvollziehbar".

"Er hätte die Tat abbrechen und den Notarzt rufen können"

Neben anderen Ungereimtheiten führt Hollweg auch an, dass Roland L. bei der Exploration nur von den ein bis zwei Messerstichen gesprochen habe. Bei der Polizei hingegen äußerte er, er habe seine Frau anschließend noch gewürgt. "Ich habe ein Blinzeln in ihren Augen gesehen und sie hat geröchelt", soll er erzählt haben. Er habe gewollt, dass es vorbei sei, dass sie nicht so leiden müsse.

Tatsächlich soll L. zwölfmal mit dem Messer auf den Kopf und das Gesicht seiner Ehefrau eingestochen haben. Das Einstechen auf diese Körperpartien zeuge von einem "besonderen Zerstörungswillen". Wenn sie anschließend noch gelebt habe, "hätte er die Tat abbrechen und den Notarzt rufen können". Das tat L. aber nicht. Stattdessen soll er sie gewürgt und später die Leiche seiner Frau in einen Teppich gewickelt, akribisch geputzt und sogar die blutigen Sofabezüge gewaschen haben.

Die erste Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Michael Schönauer gab am letzten Verhandlungstag noch den rechtlichen Hinweis, dass als Tatmotiv auch noch infrage kommen könnte, dass Roland L. seinen Plan als endgültig gescheitert ansah, an dem Vermögen seiner Frau teilhaben zu können. Sie habe das Finanzielle strikt getrennt, es habe einen Ehevertrag gegeben, "er war auf ihr Wohlwollen angewiesen". In Chats sei eine "Geringschätzung seiner Person" vernehmbar, die Frau habe sich distanziert, sich einem anderen Mann zugewandt.

Ein Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet

L. antwortete, er hab nie auf Kosten von irgendjemandem gelebt. "Wenn ich mal die Zahlen eröffnen dürfte", setzte er an und rechnete seinen Nettoverdienst vor. "Auch bezugnehmend auf den zweiten Sachverhalt", redet er geschliffen weiter, "mit diesem Herren": Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass er in einer Beziehung sei, wo Fremdgehen ein Thema war.

Würde die erste Strafkammer auch Habgier neben dem Mordmerkmal der Heimtücke erkennen, so könnte sie bei einer Verurteilung wegen Mordes auch die besondere Schwere der Schuld feststellen. Dann würde der 37-jährige L. nach Verbüßung einer lebenslangen, im Durchschnitt etwa 15 Jahre andauernden Haftstrafe noch längst nicht frei kommen. Ein Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet.

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