Mordprozess ohne Leichen:"Wir sind überzeugt, dass er beide getötet hat"

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Seit Oktober saß Roman H. vor der zweiten Schwurgerichtskammer des Landgerichts München I - wegen des Vorwurfs, seine Frau und Stieftochter umgebracht zu haben. (Foto: dpa)

Seit Sommer 2019 fehlt von Maria G. und ihrer Tochter Tatiana jede Spur. Nun ist der Ehemann der Frau wegen Totschlags verurteilt worden. Es ist das Ende eines außergewöhnlichen Verfahrens.

Von Susi Wimmer

Am Ende ist die Enttäuschung sichtbar: Mordermittler, Staatsanwälte und Ehemalige, die mit dem Fall betraut waren, stehen mit gesenkten Köpfen vor dem Gerichtssaal, auch die Angehörigen hätten sich etwas anderes erwartet. Eben hat die zweite Strafkammer am Landgericht München I Roman H. zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil er seine Ehefrau und seine Stieftochter in der gemeinsamen Wohnung in Ramersdorf totgeschlagen und die Leichen an einem unbekannten Ort versteckt hat. Die Kammer sah allerdings anders als die Staatsanwaltschaft kein Mordmerkmal als erfüllt an. "Wir haben Lücken", sagte der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann, "die müssen wir zur Kenntnis nehmen." Roman H. selbst will laut seinem Verteidiger Raffael Fach in Revision gehen. "Er erwartet einen Freispruch", sagte Fach.

Damit geht nach 24 Verhandlungstagen ein in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlicher Prozess zu Ende. Zum einen stützte sich das Schwurgericht bei der Verurteilung lediglich auf Indizien. Die Leichen der beiden Frauen wurden trotz mehrfacher Absuchen im Truderinger Forst nie gefunden. Ebenso fehlte auch ein eindeutiges Motiv. Deshalb ging das Gericht nach dem Ausschlussprinzip vor und musste sich mit Fragen auseinandersetzen wie: Kann es sein, dass die Frauen abgetaucht sind und noch leben? Kann es einen anderen Täter geben? Und nicht zuletzt hatte es die Kammer mit einem Angeklagten zu tun, der jedes einzelne Blatt der Anklage kannte, Zeugen ausführlichst befragte, fordernd, pedantisch und penetrant.

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Der 46 Jahre alte Roman H. hatte selbst unterschiedliche Varianten zum Verbleib der beiden Frauen kundgetan. Nach dem Verschwinden der 41 Jahre alten Maria G. und ihrer 16-jährigen Tochter Tatiana hatte er der Polizei erzählt, man habe am 13. Juli 2019 in der Wohnung an der Ottobrunner Straße russische Maultaschen zu Mittag gegessen. Die Frauen hätten zum Shoppen ins PEP gehen wollen, er habe sich hingelegt, als er aufgewacht sei, seien die Frauen weg gewesen und nicht mehr aufgetaucht.

Die Kammer hatte den Verdacht, dass sich Roman H. nach Studium der Akten in der U-Haft für den Prozess eine andere Version zurechtgelegt haben könnte. Nämlich die, dass sich die Frauen gestritten hätten, Maria G. am Kopf und ihre Tochter aus der Nase geblutet hätte. Denn die Spurensicherung entdeckte später Blutspritzer im Gang sowie im Wohnzimmer. Außerdem fand die Polizei blutverschmierte Teppiche, fein säuberlich verschnürt, versteckt im Unterholz des Truderinger Waldes. Das dazu passende Klebeband fand sich in der Wohnung des 46-Jährigen.

Roman H. räumte ein, nach dem "Streit" der Frauen deren blutige Kleidung gewaschen, die Wohnung mehrfach geputzt und die Wände in Flur und Gang frisch gestrichen zu haben, wegen angeblicher Umzugsspuren. Dass sich Mutter und Tochter blutige Verletzungen zufügen, sich anschließend gegenseitig die Haare richten, wie H. behauptete, den Wagen in der Garage lassen und zu Fuß bei Regen ins vier Kilometer entfernte PEP laufen, "das gibt Anlass zu Zweifel", sagte Riedmann.

"Ich schreib dir gleich zurück", textete Tatiana G. am 13. Juli um 12.02 Uhr einer Freundin. Es war ihr letztes Lebenszeichen. Stunden später gingen die Handys der beiden Frauen in einer benachbarten Funkzelle nacheinander aus. Die Polizei fand in der Neubauwohnung in Ramersdorf Pässe und Reisedokumente von Mutter und Tochter, Scheckkarten, Kreditkarten, Koffer. Beide Frauen hatten auch konkrete Pläne für die Zukunft. Tatiana wollte in Frankreich Urlaub machen, Maria zu ihrem kranken Vater nach Russland reisen.

"Wir wissen nicht den Ablauf der Taten", sagte Riedmann im Urteil, "aber wir sind überzeugt, dass er beide getötet hat". Staatsanwalt Daniel Meindl hatte im Falle von Maria G. auf Totschlag und bei Tatiana auf Mord plädiert und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. Er sagte, Roman H. habe zunächst Maria G. getötet und als seine Stieftochter mittags von der russischen Schule nach Haus kam, habe er auch sie umgebracht, um die vorangegangene Tat zu verdecken. Die Kammer sah das anders. Roman H. war am Abend zuvor mit seinem Handy in der Funkzelle am Truderinger Forst eingeloggt, wo er später die blutigen Teppiche im Unterholz versteckte. Möglich, dass er die Taten geplant und Orte gesucht hatte, um die Leichen zu verstecken, erklärte die Schwurgerichtskammer. Wenn es diese Planung gab, dann könne man nicht von einem Mord mit Verdeckungsabsicht ausgehen. "Das muss offen bleiben", so Riedmann.

Die Staatsanwaltschaft überlegt, in Revision zu gehen. Nebenklageanwältin Antje Brandes will das in jedem Fall. Sie vertritt den leiblichen Vater von Tatiana. Für ihn sei es nicht nachvollziehbar, dass der Mann, der seine Tochter getötet hat, mit einer zeitigen Freiheitsstrafe davonkomme.

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