Süddeutsche Zeitung

Vermisste Schülerin:Knochenfund im Wald: Sonja Engelbrecht ist tot

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Vor 26 Jahren verschwand eine 19-jährige Münchnerin nach einer Party spurlos. Jetzt fand ein Waldarbeiter Überreste - weit weg von München. Die Polizei sucht das Gebiet inzwischen mit einem Großaufgebot ab.

Von Martin Bernstein

Sie wäre inzwischen 45 Jahre alt: Sonja Engelbrecht aus München. In der Nacht vom 10. auf den 11. April 1995 verschwand die Fachoberschülerin eine Woche nach ihrem 19. Geburtstag spurlos. Die Eltern suchten seither verzweifelt nach ihr, die Mordkommission der Münchner Polizei ermittelte - vergeblich. Jetzt steht fest: Sonja Engelbrecht ist tot. Ein Forstarbeiter fand bereits im Sommer 2020 im dichten Wald nordwestlich des oberbayerischen Orts Kipfenberg (Landkreis Eichstätt) einen menschlichen Oberschenkelknochen, der nach einer kürzlich vorgenommenen erneuten DNA-Typisierung zweifelsfrei der verschwundenen Münchnerin zugeordnet werden konnte.

Seit Dienstvormittag durchsucht die Polizei das mehr als zehn Quadratkilometer umfassende Waldstück im Altmühltal zwischen Kipfenberg, Pfahldorf und Kinding. Hundeführer sind ebenso im Einsatz wie die Bereitschaftspolizei, insgesamt etwa hundert Beamte. Aus Kroatien hat man Suchhunde kommen lassen, die auf das Aufspüren von Gebeinen spezialisiert sind, die bereits lange im Boden liegen. Die Suche soll auch in den nächsten Tagen fortgesetzt werden, ehe am Freitag der von Meteorologen angekündigte Schneefall einsetzt. Der Fundort des vermutlich von einem Tier ausgegrabenen und verschleppten Knochens liegt nur etwa 1,5 Kilometer entfernt von der Autobahn A 9, die von München nach Nürnberg führt. Die nächstgelegenen Ausfahrten sind Denkendorf und Kinding.

Die 19-Jährige aus Laim soll am 11. April 1995 mit ihrem Begleiter, einem zwei Jahre jüngeren Schulfreund, zunächst in das damalige Lokal "Zum Vollmond" an der Schleißheimer Straße 82 gegangen sein und dort zwei Freunde ihres Begleiters getroffen haben. Nach einer gemeinsamen Party in deren nahe gelegener Wohnung an der Schellingstraße soll sie kurz nach 2 Uhr zusammen mit ihrem Begleiter aufgebrochen sein. Beim Austreten in einem Gebüsch habe sich Sonja auf dem Weg beobachtet gefühlt, gab ihr Begleiter später zu Protokoll. Sie habe am Stiglmaierplatz von einer Telefonzelle aus ihre Schwester anzurufen versucht, berichtete ihr Schulfreund, er selbst sei mit der Trambahn weggefahren.

Die Familie hatte Zweifel an den Aussagen über den Verlauf der Nacht

Sonjas Schwester habe aber in dieser Nacht keinen Anruf erhalten, so die Familie. Das sei auch nicht üblich gewesen. Auf diese und andere offene Fragen weist die Familie seit Jahren hin. Sie bezweifelt, dass Sonja überhaupt zum Stiglmaierplatz ging: Sowohl Telefonzellen als auch Tram-Haltestellen hätte es schon vorher auf dem Weg gegeben. Auf einer vor vier Jahren erstellten Homepage ebenso wie bei Medienauftritten ließ die Familie wenig Zweifel daran, dass sie den Aussagen über den Ablauf der Nacht nicht traut.

Die Polizei dagegen hielt die Schilderungen für glaubhaft. Das Rätsel um das Verschwinden der jungen Frau blieb: Serienmörder? Anhalter? Beziehungstat? Hunderte Spuren wurden verfolgt, mehr als 100 Zeugen vernommen. Die Familie der Verschwundenen verlor viel Geld an betrügerische Trittbrettfahrer, die ihr vorgaukelten, etwas über den Verbleib ihrer Tochter zu wissen. "Eine Mutter hofft immer", sagte Sonjas Mutter vor Jahren im Fernsehen. Die Familie glaubte, Sonja sei verschleppt worden, schaltete einen Privatdetektiv ein.

Nach mehreren Fernsehsendungen waren zuvor bereits Hinweise bei der Mordkommission eingegangen. Es hätten sich mehrere Frauen gemeldet, die in der Tatnacht von einem Mann angesprochen worden seien. 2003 zeigte sich der damalige Leiter der Mordkommission noch zuversichtlich, "den Fall Engelbrecht in ein oder zwei Monaten abschließen" zu können. Jetzt, nach 26 Jahren, steht fest: Sonja Engelbrecht ist tot. Doch was in der Karwoche des Jahres 1995 in der Maxvorstadt genau geschah, ist noch immer ein Rätsel.

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