Cold Case nach 25 Jahren vor Gericht:Mutter von vier Kindern erwürgt und aufgehängt

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Der angeklagte Hayati Ö. mit seinen Anwälten im Saal des Landgerichts (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Hayati Ö. soll vor fast 25 Jahren seine Ehefrau getötet haben, weil sie sich von ihm getrennt und die Scheidung eingereicht hatte. Bereits am ersten Verhandlungstag muss der Prozess abgebrochen werden.

Von Susi Wimmer

Fast 25 Jahre sind seit dem gewaltsamen Tod der vierfachen Mutter Seher Ö. vergangen. Ihre Leiche wurde im Jahr 2000 in ihrer Wohnung im Hasenbergl gefunden, aufgeknüpft am Türknauf eines Kleiderschranks. Nun sollte ihrem mutmaßlichen Mörder vor dem Landgericht München I der Prozess gemacht werden: Auf der Anklagebank sitzt Hayati Ö., der Ehemann von Seher Ö., von dem sie sich getrennt hatte. Doch dort sitzt der 57-Jährige nicht lange. Denn der Prozess platzt, weil die Verteidigung moniert, dass der seit 40 Jahren in Deutschland lebende Ö. die Anklageschrift nicht in seine Heimatsprache Türkisch übersetzt bekommen habe.

Hayati Ö. trägt eine Beinschiene und wird im Rollstuhl in den Gerichtssaal gefahren. Er wirkt hager und mit den kurz geschorenen grauen Haaren wesentlich älter als 57. Geht es nach den Ermittlungen der Polizei, die vor einem Jahr in einer Pressekonferenz präsentiert wurden, so ist Ö. ein herrschsüchtiger und brutaler Mann, der die damals 28-jährige Seher Ö. getötet haben soll, weil sie die Scheidung wollte, was mit der Ehre der türkischstämmigen Familie laut Polizei nicht vereinbar gewesen sei. Wobei das Wort „Ehre“ in Zusammenhang mit Misshandlungen und einem mutmaßlichen Mord völlig deplatziert wirkt.

Hayati Ö. war bereits nach der Tat ins Visier der Ermittler geraten und saß vier Wochen in Untersuchungshaft. Mangels Beweisen kam er wieder frei. Der Fall ruhte – bis sich 2023 ein Zeuge meldete, der sich entschieden habe, „auszupacken“, so die Polizei.

Rechtsanwalt Adam Ahmed, der mit Ömer Sahinci die Verteidigung übernommen hat, rügt noch vor Verlesung der Anklage unter anderem, dass kein Dolmetscher anwesend und die Anklageschrift nicht übersetzt worden sei. Sein Mandant spreche nicht so gut Deutsch, dass er der Verhandlung folgen könne. „Er war zwölf Jahre bei BMW und hat als Taxifahrer gearbeitet und kann kein Deutsch?“, fragt der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann. Und Staatsanwalt Daniel Meindl ergänzt, dass Hayati Ö. bei ersten Vernehmungen im Jahr 2000 auch ohne Dolmetscher zurechtgekommen sei.

Die Sitzung wird unterbrochen, eine Dolmetscherin organisiert. Die erklärt, dass sie etwa drei Wochen benötigen würde, um die 207 Seiten umfassende Anklage zu übersetzen. Die Kammer verkündet, dass die Verhandlung bis 21. Januar ausgesetzt wird. Für den Angeklagten bedeutet das, dass er über fünf weitere Wochen auf den Beginn seines Prozesses warten muss.

Seher Ö. war gerade einmal 15 Jahre alt, als sie von ihrer erzkonservativen Familie in der Türkei mit ihrem 20-jährigen Cousin Hayati Ö. verheiratet wurde. Ein Jahr später musste sie zu ihm und seiner ebenfalls erzkonservativen Familie nach Deutschland ziehen. Der Pass soll ihr abgenommen worden sein, sie soll kaum das Haus verlassen haben – und nach Erkenntnissen der Polizei wurde sie in der Wohnung wie eine Sklavin gehalten. Sie bekam vier Kinder, musste für Hayati Ö.s Familie kochen und putzen. Er sowie seine Familie sollen sie misshandelt und geschlagen haben. Nachdem Ö. den Kopf einer seiner Töchter mehrfach auf den Boden geschlagen haben soll, soll Seher Ö. ihre Flucht geplant haben.

Wie die Polizei vor einem Jahr bekanntgab, lebte Seher Ö. zunächst in einem Frauenhaus, bezog dann eine eigene Wohnung, holte ihre Töchter zu sich und beantragte das alleinige Sorgerecht. Sie reichte die Scheidung ein – und lernte einen neuen Mann kennen. Hayati Ö., der ein Umgangsrecht hatte, soll jedoch ihre neue Wohnadresse ausspioniert haben.

Als die Mutter von Ö. am 18. Februar 2000 die Kinder an der dadurch bekannt gewordenen Adresse für das Wochenende abholte, soll sie die älteste Tochter instruiert haben, einen Wohnungsschlüssel mitzunehmen. Als Seher Ö. gegen 19.50 Uhr mit ihrem Freund telefonierte, soll die Wohnungstüre aufgesperrt worden sein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Hayati Ö. und eine bislang unbekannte zweite Person die junge Frau erwürgt und die Leiche an den Türknauf gehängt haben, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen.

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