Mode in München: Aus Stoffresten wird Haute Couture

Mode in München: Die Designer Adrian Runhof (links) und Johnny Talbot (in der Mitte mit Claudia Roth) haben kistenweise Stoffreste geschickt, die für das Anfertigen der Kleider verwendet wurden.

Die Designer Adrian Runhof (links) und Johnny Talbot (in der Mitte mit Claudia Roth) haben kistenweise Stoffreste geschickt, die für das Anfertigen der Kleider verwendet wurden.

(Foto: Robert Haas)

Für Bellevue Couture haben die zwei geflüchteten Schneiderinnen Mariam Monga und Sedique Mousawi edle Patchwork-Reste verarbeitet. Jetzt ist daraus eine Kollektion für Talbot Runhof entstanden.

Von Julia Schriever

Da sitzen sie also bei ihrer allerersten Modenschau. Die beiden Schneiderinnen Mariam Monga und Sedique Mousawi. Sie haben sich zwei Plätze auf der langen Sitzbank des Bellevue di Monaco in der Müllerstraße gesichert. Front Row, wenn man so will. Von hier aus haben sie alles im Blick. Die Gäste, die langsam ankommen. Das große Bussi-Bussi. Die Designer Johnny Talbot und Adrian Runhof.

Samstagnachmittag in der Isarvorstadt. Bei der Modenschau wird gleich zu sehen sein, woran Mariam Monga und Sedique Mousawi in den vergangenen Jahren gearbeitet haben. Mousawi ist 2015 aus Afghanistan geflohen, Monga kam 2016 aus dem Kongo. In ihrer Heimat wurden die beiden zu Schneiderinnen ausgebildet, in München arbeiten sie für das Atelier "Bellevue Couture", das zum Sozialprojekt Bellevue di Monaco gehört. Und seit die Designer Johnny Talbot und Adrian Runhof darauf aufmerksam wurden, sind die beiden Frauen fest angestellt. Ihr erster Job in München. Der Beginn einer Zusammenarbeit.

Und jetzt das erste große Finale. Mariam Monga und Sedique Mousawi sprechen nicht viel, sie lächeln. Dafür sprechen alle anderen umso mehr. Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist aus Berlin gekommen, sie ist schon lang mit Talbot und Runhof befreundet. Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden setzt sich dazu. Und dann ist da noch Bunte-Journalist Manfred Otzelberger, der vor ein paar Tagen unfreiwillig dafür berühmt wurde, dass Ex-CSU-Generalsekretär Stephan Mayer ihn erst am Telefon angepöbelt und ihm dann mit "Vernichtung" gedroht haben soll. Hat zwar nichts mit der Modenschau zu tun, ist aber trotzdem großes Thema in der Runde.

Die Show beginnt, Hund Cooper setzt sich auf Johnny Talbots Schoß. Alle anderen setzen sich auf Bänke und Sesselchen. Es gibt Kaffee und französische Törtchen. Dazu natürlich die Mode. Die Models bahnen sich ihren Weg zwischen den Gästen durch. Sie tragen Kleider und Röcke, Jäckchen und Mäntel. Jedes Stück ist aus Hunderten kleinen Stoff-Rechtecken gemacht. Mariam Monga und Sedique Mousawi haben die sogenannten Patchworks zusammengenäht. Die Designer Talbot und Runhof haben ihnen dafür kistenweise Stoffreste geschickt, die beim Anfertigen ihrer teuren Cocktailkleider und Abendmode übriggeblieben sind.

Mode in München: Die Models bahnen sich ihren Weg zwischen den Gästen durch.

Die Models bahnen sich ihren Weg zwischen den Gästen durch.

(Foto: Robert Haas)
Mode in München: Kleider und Röcke, Jäckchen und Mäntel: Was bei der Modenschau präsentiert wird, sind Unikate.

Kleider und Röcke, Jäckchen und Mäntel: Was bei der Modenschau präsentiert wird, sind Unikate.

(Foto: Robert Haas)
Mode in München: Die Kollektion soll in dieser Woche verkauft werden und der Erlös dem Bellevue zugute kommen.

Die Kollektion soll in dieser Woche verkauft werden und der Erlös dem Bellevue zugute kommen.

(Foto: Robert Haas)

"Die Wahrheit ist, dass sehr viele Stoffreste anfallen", sagt Adrian Runhof. "Wenn wir sehr gut sind, haben wir eine Ausnutzung von 90 Prozent. Das klingt viel, aber zehn Prozent Abfall ist auch viel." Es sind aufwendig produzierte Stoffe, gerafft und gemustert, mit Perlen oder Pailletten bestickt. Die Kostümbildnerin Kissi Baumann, die das Projekt "Bellevue Couture" leitet, überlegte sich, wie die Stoffreste kombiniert und angeordnet werden können. Mariam Monga und Sedique Mousawi schneiderten sie zusammen. Aus den Patchworks designten Talbot und Runhof dann eine Kollektion, rund 40 Stücke, die diese Woche in ihrem Geschäft in der Theatinerstraße verkauft werden sollen. Die Kleider kosten ab 1300 Euro aufwärts. Der Erlös soll wieder ins Bellevue di Monaco fließen.

Für Mariam Monga und Sedique Mousawi ist es das erste Mal, dass sie die fertigen Kleider sehen. "Ich hätte nicht daran geglaubt, dass ich die Kleider tatsächlich mal sehen könnte", sagt Mariam Monga auf Französisch, Claudia Roth dolmetscht für sie. "Es ist ein unglaubliches Gefühl."

Es ist einiges los an diesem Tag. Draußen vor dem Fenster des "Bellevue di Monaco" läuft der Afghanistan-Demonstrationszug vorbei. Zeitungen und Fernsehen sind voll vom Krieg in der Ukraine. Düstere Zeiten. Oft bekommen Talbot und Runhof den Vorwurf: In solchen Zeiten kann man doch nicht an Mode denken, was soll das denn? "Ich hab wenig Verständnis dafür", sagt Adrian Runhof. "Man muss ja auch daran denken: Hinter der Mode stehen immer Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen." Wie Mariam Monga und Sedique Mousawi.

Ihre erste Modenschau ist vorbei, die beiden Frauen sitzen noch immer auf ihren Plätzen. Sie blättern im "Lookbook", sprechen über die Kleider. Mariam Monga ist besonders stolz auf eine knallbunt-gemusterte Jacke, deren Stoff sie alleine genäht hat. Ob sie sich vorstellen kann, die Jacke selbst zu tragen? Mariam Monga lacht, dann schüttelt sie den Kopf und sagt: "Zu teuer."

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