Stadtpolitik:Mann mit starken Nerven

Stadtpolitik: Georg Dunkel.

Georg Dunkel.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mehr Raum für Radler, eine autofreie Altstadt, immer mehr Pendler - die Verkehrswende in München wird heiß diskutiert. Als künftiger Mobilitätsreferent wird Georg Dunkel viele Interessen ausgleichen müssen

Von Anna Hoben

Er ist an diesem Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen, ausnahmsweise, muss man sagen, denn sonst nimmt er fast immer das Rad, um zur Arbeit zu fahren. Es ist aber auch kein gewöhnlicher Arbeitstag für Georg Dunkel. Um neun Uhr ist die Versammlung losgegangen, er hat dann ganz schön lange warten müssen im riesigen Festsaal des Löwenbräukellers am Stiglmaierplatz, in dem der Stadtrat an diesem Mittwoch tagt. Mehr als zwei Stunden hat es gedauert, bis Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagt, "so, wie bei der Bundeswehr, Freiwillige vor". Tagesordnungspunkt 2, Wahl der Leitung des Mobilitätsreferats, es braucht einen Wahlausschuss. Eine Viertelstunde später haben alle Stadträtinnen und Stadträte ihre Stimmen abgegeben, kurz darauf ist ausgezählt. Mit 47 Stimmen ist Georg Dunkel zum neuen Mobilitätsreferenten der Stadt gewählt worden.

Es ist ja so eine Sache mit dem Warten, wenn man ohnehin schon nervös ist. Ja, er sei aufgeregt gewesen, sagt Dunkel nach der Wahl. Obwohl er zu jenen Menschen gehört, denen man so etwas nicht ansieht, weil sie eine Grundruhe ausstrahlen. Er ist aber auch gut abgelenkt gewesen. Gleich zu Beginn der Sitzung hatte es einen Dringlichkeitsantrag gegeben zu den sogenannten Pop-up-Radwegen, die demnächst wieder verschwinden sollen. Und so war Georg Dunkel gleich in etliche fachliche Gespräche verwickelt: "Es wurde im Hintergrund heiß diskutiert." So habe sich direkt die "Brisanz" des Jobs gezeigt, den er von Januar an ausführen wird, wenn das neue Mobilitätsreferat gegründet wird. "Fachlich gute Vorschläge machen und diese auch vermitteln", das wird künftig von ihm erwartet werden - noch mehr als bisher.

Seit fast vier Jahren leitet Dunkel, 47, die Abteilung Verkehrsplanung im Planungsreferat. Als solcher hat er sich im Bewerbungsverfahren durchgesetzt gegen zunächst mehr als 30, in der Endrunde dann fünf Mitbewerber, vier externe und einen aus der Stadtverwaltung. Als neuer Stadtminister wird er für ein Thema zuständig sein, das in München noch emotionaler diskutiert wird als der Dauerbrenner Wohnen: die Gegenwart und Zukunft des Verkehrs. Die Verkehrswende, zu der sich der Stadtrat bekannt hat, und mit ihr die Neuaufteilung des Straßenraums. Fahrradfahrer wollen mehr Platz, Autofahrer wollen keinen Platz hergeben, die öffentlichen Verkehrsmittel sind überfüllt, und dazu kommt, dass die Stadt wächst, also immer mehr Menschen unterwegs sind.

Dass diese Themen an Bedeutung gewinnen werden, "dass es eine Veränderung im Mobilitätsverhalten geben muss", war Georg Dunkel schon während seines Studiums klar. Und auch, dass die Kommunen dabei eine wichtige Rolle spielen. In der nördlichen Eifel aufgewachsen, zwischen Köln und Aachen, ging er zum Studium - Bauingenieurwesen mit Schwerpunkt Verkehrswesen und Raumplanung - nach Aachen. Die Kombination passte, ihn faszinierte die breite Themenpalette; Mathematik, Physik und Geografie waren in der Schule seine Fächer gewesen. Die Studenten mit der Vertiefung Verkehrswesen seien eher Exoten gewesen, erinnert er sich. Während des Studiums arbeitete er als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl und Institut für Stadtbauwesen.

Tatsächlich zog es ihn damals schon in die öffentliche Verwaltung. Er habe das Glück gehabt, sagt er, direkt nach dem Studium bei der Stadt München anfangen zu können. Das war im Jahr 2000, als Verkehrsplaner im Rahmen des Forschungsprojektes Mobinet. Damals habe er die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Wissenschaft und Industrie kennen gelernt, die für die Ausarbeitung, Weiterentwicklung und Umsetzung von Mobilitätsstrategien eine wichtige Grundlage bilde. Dass er 20 Jahre später immer noch bei der Stadt München sein würde, sei damals nicht absehbar gewesen, sagt Dunkel und lacht. "Aber ich habe es nie bereut."

Später betreute er die Verkehrsplanung im Münchner Norden und Westen, mit einem Fokus auf der Planung zur Allianz Arena und auf den Vorbereitungen für das neue Stadtviertel Freiham. 2015 übernahm er die Bereichsleitung für Grundsatzfragen der Verkehrsplanung, 2017 die Abteilungsleitung. Dort ist er verantwortlich für 68 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Mobilitätsreferat wird deutlich größer: Etwa 300 Personen werden dort tätig sein, sie kommen vorwiegend aus den bestehenden Referaten, in denen die Verkehrsthemen bisher angesiedelt waren.

Die vergangenen Monate waren anstrengend: die Vorbereitung des neuen Referats, das im Januar wohl erst einmal an drei verschiedenen Standorten starten wird. Erst im Laufe des kommenden Jahres werden alle Mitarbeiter an den neuen Behördenstandort in der Implerstraße ziehen können. "Das macht das Zusammenwachsen nicht einfacher." Was es freilich auch nicht einfacher macht, ist Corona. Man habe sich viele Gedanken gemacht zum Start des neuen Referats, Change Management, Teamentwicklung, solche Dinge. Jetzt ist alles anders, und Georg Dunkel wird in seiner Rolle deutlich flexibler agieren müssen. "Leider ist niemand Experte darin, wie man das macht mit Corona." Dafür seien sie mittlerweile Experten im Videokonferieren. Seine eigene Abteilung habe schon im Frühjahr komplett auf Homeoffice umgestellt. Zurzeit arbeite mehr als die Hälfte von zu Hause aus.

Seinen Führungsstil beschreibt Georg Dunkel als kooperativ, er sei Freund davon, viel zu delegieren. "Ich verlasse mich gerne und gut auf andere und gebe die notwendige Rückendeckung, wenn es problematisch wird." Und er will zugänglich sein - wenn seine Tür offen stehe, könne jeder reinkommen. In letzter Zeit sei die Tür zwar häufiger geschlossen gewesen, wegen Corona und wegen der aufwendigen Vorbereitungen für das neue Referat. Grundsätzlich wolle er diese Offenheit aber auch in Zukunft beibehalten, sagt Dunkel. Was ihn außerdem auszeichnet: seine sehr sachliche, ruhige, fast zurückhaltende Art. Er habe erst lernen müssen, sagt er, dass diese Ruhe auch eine Qualität sei. Es ist ja so: "Die Verkehrsdiskussionen sind ohnehin so emotional." Was bringt es, wenn er sich dann auch noch aufregt?

Als sich vor etwa einem Jahr abzeichnete, dass es ein Mobilitätsreferat geben wird und er sich überlegte, dass er, "wenn ich ehrlich bin", für die Leitung qualifiziert sei, habe er immer wieder mit seiner Familie darüber gesprochen. "Es ist ja eine gravierende Entscheidung." Er wird mehr in der Öffentlichkeit stehen, wahrscheinlich weniger Zeit für die Familie haben. Am Ende hätten sie gemeinsam entschieden, dass er sich bewirbt. Mit seiner Frau, einer Tochter, 17, und einem Sohn, 14, wohnt Georg Dunkel am Ackermannbogen. Dort haben sie eine Wohnung in einer Baugemeinschaft, in der auch ein weiterer nicht unbedeutender Mitarbeiter der Stadtverwaltung wohnt - Cornelius Mager, der Leiter der Lokalbaukommission.

Wie Mager hat auch Dunkel im September 2019 an einer Stadtratsreise nach Wien teilgenommen. Die österreichische Hauptstadt gilt als Vorbild, wenn es um Wohnen und günstige Mieten geht, aber auch beim Thema Verkehr. "Für mich ist Wien aber nur beim öffentlichen Verkehr ein Vorbild", sagt Dunkel. "Beim Radverkehr sind wir in München schon deutlich besser." Die Reisenden waren damals in Wien überrascht, dass auf den Straßen kaum Radfahrer zu sehen waren. Ja, räumten die Herren im dortigen Rathaus ein, in Sachen Fahrrad sei Wien noch Entwicklungsland. Dafür machen sie dort eben sehr viel richtig, wenn es um den öffentlichen Verkehr geht. Für den neuen Stadtteil Seestadt Aspern etwa wurde als erstes eine U-Bahn gebaut. Und was kann München von weiteren Städten lernen? Kopenhagen, Amsterdam? Dunkel sieht das eher so: "Die eine Stadt ist gut beim öffentlichen Nahverkehr, die andere beim Radverkehr. Wir müssen für München die beste Lösung finden."

Doch wie sieht die aus? Was sind nun seine Pläne? Was will er in den kommenden Jahren in München verändern? Da lehnt sich Georg Dunkel zurück und atmet tief ein. Der eine Plan im Kopf, sagt er, das klinge immer so groß. "Es gibt aber nicht die eine Schlüsselmaßnahme." Was es stattdessen gebe: viele Stellschrauben. Die drängendsten Themen für ihn: die Umsetzung des Radentscheids, eine weitgehend autofreie Altstadt und der Pendlerverkehr. Bei Letzterem werde man "mit Freistaat und Kommunen eine neue Form der Zusammenarbeit finden müssen".

Diese Vorstellungen von einer Verkehrswende waren es, die die Grünen überzeugt haben. Sie hatten das Vorschlagsrecht für den Posten, durften also de facto über die Besetzung entscheiden. Die SPD hat sich verpflichtet, mit ihren Stimmen die Mehrheit zu schaffen. Er selbst habe nie in eine Partei eintreten wollen, sagt Dunkel, "das war eine bewusste Entscheidung". Er bewerte die Themen privat, wolle aber in seinem Amt "ein möglichst neutraler Berater sein für die Politik", mit dem Fokus auf Veränderungen, die "der Zeitgeist und die Fachwelt vorgeben". Wenn es um den Klimaschutz gehe, müsse der Verkehrssektor eben einen großen Beitrag leisten.

Fragt man ihn nach seinem eigenen Verkehrsverhalten, räumt er ein, das sei "durchaus unterschiedlich". Zu 90 Prozent benutze er in der Stadt das Fahrrad, "wir besitzen als Familie aber auch ein Auto, das leugne ich nicht". Es werde allerdings immer weniger genutzt, vor allem noch für Ausflüge am Wochenende oder Fahrten in die alte Heimat. Der Familienurlaub ist dieses Jahr ausgefallen, geplant war eine Rundreise durch Skandinavien.

Am Montagnachmittag kam der entscheidende Anruf von Grünen-Fraktionschef Florian Roth: Man habe sich für ihn entschieden und werde ihn dem Stadtrat zur Wahl vorschlagen. Das habe er abends dann schon ein bisschen gefeiert, sagt Dunkel. Die große Erleichterung stellte sich aber erst am Mittwochvormittag im Löwenbräukeller ein, im Festsaal mit den blauweiß-karierten Tischdecken, an jedem Tisch ein Stadtrat. Er freue sich sehr, Dunkel vorzuschlagen, sagt Roth, der "wie kaum jemand in München erfahren in Verkehrsfragen" sei und dazu "verbindlich und sympathisch". Nach der Auszählung der Stimmen wird gratuliert, mit Faustgruß statt Handschlag, mit Blumen. Dunkel, randlose Brille, grauer Anzug, schwarze Maske, die er jetzt in schneller Wechsel auf-, ab- und wieder aufsetzt, hält sich kurz: Er nehme die Wahl gerne an, er freue sich auf die Aufgaben und danke für die Unterstützung. Dann geht es raus, die Fotografen warten. Am Stiglmaierplatz rauschen Autos vorbei, eine Trambahn wartet, an der U-Bahn-Station reichen die Fahrradparkplätze nicht aus. Es gibt viel zu tun.

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