Es wäre ein Gebäude, das jeden Tag sehr viele Menschen sehen würden. Nicht allein wegen der Höhe von 51 Metern und wegen der besonderen, geschwungenen Fassade. Es ist vor allem die Lage, die dieses Projekt exponiert: direkt am Mittleren Ring, dort wo dieser durch den Englischen Garten führt.
Doch ob dieses Gebäude am Isarring 11 in Schwabing-Freimann mit den geplanten 49 Wohnungen, an dem ein Investor und seine Architekten seit vier Jahren arbeiten, tatsächlich in dieser Form entstehen kann, das ist seit einer Sitzung der Stadtgestaltungskommission am Dienstagabend ungewiss. Und es liegt an der Geschichte des Ortes und der Frage, ob dieses Vorhaben angemessen damit umgeht.
Denn das Wohnhochhaus soll auf einem seit 2024 denkmalgeschützten ehemaligen Fabrikgebäude aufgesetzt werden. Es handelt sich um einen Teil der früheren Hesselberger Leder- und Treibriemenfabrik. Die Familie Hesselberger war jüdischen Glaubens. Ihr Vermögen ging aber „nach Beginn der NS-Herrschaft durch mehr oder weniger unverhüllte räuberische Erpressung nach und nach in ‚arischen‘ Besitz über“, schreibt das NS-Dokumentationszentrum. Ilse Hesselberger, die das Hauptopfer dieser Erpressungen war, wurde im November 1941 mit dem ersten Transport von Jüdinnen und Juden nach Kaunas deportiert und dort ermordet.

Diese Geschichte war ein wesentlicher Grund, warum die ehemalige Fabrikhalle und das benachbarte Verwaltungsgebäude unter Denkmalschutz gestellt wurden. Und sie begleitet das aktuelle Projekt, hinter dem als Bauherr der Immobilienunternehmer und ehemalige Autorennfahrer Bernhard Laber steckt.
Als Fabian Ochs vom Büro Ochs Schmidhuber Architekten die Pläne seines Büros der Kommission vorstellt, betont er gleich zu Beginn: „Die jüdische Gemeinde kennt das Gesamtprojekt.“ Auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk sagt, sie sei mit deren höchster Vertreterin „im Gespräch“ gewesen, gemeint ist Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern.
Ochs schildert auch, dass man unten am Fußweg einen neuen, breiteren öffentlichen Durchgang schaffen wolle, „in dem an die Familie Hesselberger erinnert wird, auch das passiert in Abstimmung mit der IKG“.
Dennoch dringen Ochs und sein Kollege Florian Schmidhuber mit ihren Argumenten in der Stadtgestaltungskommission, die Politik und Verwaltung zu bedeutenden Bauvorhaben in München berät, nicht durch. Marc Jumpers vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege geht auf die architektonische Qualität des geplanten Hochhauses gar nicht ein. Es geht ihm um etwas Anderes: „Der sehr expressive Solitär macht das Denkmal zur Manschette am Fuß des Hochhauses.“
Das heiße nicht, so erläutert Jumpers, dass die alte Fabrikhalle, die derzeit an verschiedene Unternehmen vermietet ist, eine „ausschließliche Gedenkstätte sein muss. Aber die Dominanz und prägende Wirkung des historischen Orts müssen erhalten bleiben“. Sein Fazit: „Denkmalfachlich ist die Planung grundsätzlich abzulehnen.“
Der Architekt Peter Brückner spricht von „zwei Herzen“, die ihn ihm schlügen: „Einerseits ist der Hochpunkt an dieser Stelle städtebaulich möglich“. Er könne sich das Gebäude „in der Form vorstellen“, ergänzt Brückner, um dann einzuschränken: „wenn da andererseits nicht schon dieses Gebäude wäre. So ist mein Gefühl, dass das nicht so richtig zusammengeht.“
Seine Kollegin Rita Ahlers argumentiert ähnlich, auch sie habe ein „Problem“ mit dieser Kombination aus Denkmal und Aufbau, „den ich mir frei stehend super vorstellen könnte“. Vielleicht, so Ahlers, müsse „noch eine andere Form von Diskussion geführt werden“, sagt sie, etwa mit einem Architekturwettbewerb, „so dass man noch ein breiteres Spektrum für den Ort bekommt“.
Baurechtlich grundsätzliche Fragen sind weiter offen
Es ist am Ende an Stadtbaurätin Merk, aus der Diskussion einen Vorschlag für das weitere Vorgehen zu entwickeln. Sie weiß nun, dass es mit dem Projekt so vorerst nicht weitergeht.
Denn neben den Fragen der Erinnerungskultur und des Denkmalschutzes sind auch baurechtlich grundsätzliche Fragen ungeklärt: Es gibt für das Grundstück einen rechtsverbindlichen Bebauungsplan, der eine andere Nutzung und auch eine viel geringere Baudichte vorschreibt. Um dieses Projekt zu genehmigen, müsste die Lokalbaukommission (LBK) umfassende Befreiungen vom Bebauungsplan zulassen. Es ist fraglich, ob das in der Form zu vertreten wäre. Das könnte nicht nur vor Gericht landen, sondern auch Begehrlichkeiten bei anderen Bauherrinnen und Bauherren wecken.
Merk entwickelte aus dieser Gemengelage zwei Szenarien: Der Investor und die Architekten könnten eine neue Planung ohne Hochpunkt und im Rahmen des bisherigen Baurechts entwickeln, die noch einmal in der Kommission vorgestellt würde. Die zweite Variante wäre aus Merks Sicht, am kleinen Hochhaus festzuhalten, dann aber zwingend mit einem Wettbewerbsverfahren. Zudem regt Merk an, mit dem Stadtrat, dem Denkmalschutz, der IKG und dem Bezirksausschuss Schwabing-Freimann, der die nun verworfene Planung übrigens mehrheitlich begrüßt hatte, öffentlich zu diskutieren, „wie man mit dem historischen Ort umgeht“.
Der Bauherr Laber weiß nun, dass die Entwicklung des Grundstücks noch einige Zeit und Ressourcen brauchen wird. Aber er lässt sich offenbar nicht entmutigen. „Wir wollen das Projekt weiter verfolgen“, sagt er am Mittwochnachmittag. Man werde den Hinweis auf einen Wettbewerb aufnehmen.

