Doch, der Friedhof ist der richtige Ort für dieses Gespräch. Agnes Wich sitzt auf einer der Bänke, irgendwann schaut sie nach rechts oben, in die große Mauer, und sieht eine Aussparung, die nicht vom Efeu zugewachsen ist. Dahinter blauer Himmel. "Wie ein Fenster ins Leben", sagt sie. Sie ist gerne hier, im Alten Südfriedhof, wo so viel Leben ist. Die Bäume, die Vögel, das Zwitschern. Agnes Wich hat ein dickes Buch neben sich gelegt. Es ist vor Kurzem erschienen, sein Einband ist unscheinbar, der Titel sperrig. Von ihr sind zwei Texte abgedruckt, ganz vorne ein Gedicht, es heißt "Blütentränen", und ein Aufsatz über ihr Leben. Sie schreibt über sich in der dritten Person, und so beginnt sie:
Missbrauch in der katholischen Kirche:"Irgendwas in mir wollte einfach leben"
Im Alter von neun Jahren wurde Agnes Wich von einem katholischen Pfarrer missbraucht, heute gehört sie zu den wenigen Betroffenen, die offen darüber sprechen. Immer wieder wird sie enttäuscht von den Männern, die Aufarbeitung versprechen - und kämpft doch weiter.
Von Bernd Kastner
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