Szenario:Zeit, neue Allianzen zu schmieden

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Mirjam Zadoff mit ihrem Mann Noam Zadoff (links) und Thomas Hacker, Präsident der Thomas-Dehler-Stiftung. (Foto: Robert Haas)

Bei der Verleihung des Thomas-Dehler-Preises an Mirjam Zadoff, die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, machen sich die Anwesenden gegenseitig Mut. In diesen schwierigen Zeiten sei „radikale Zuversicht“ gefragt, so die Geehrte.

Von Martina Scherf

Hoffnung liegt über diesem Abend. Hoffnung, dass die Freiheit stärker ist als alle ihre Feinde. Die FDP-nahe Thomas-Dehler-Stiftung hat am Dienstag ins Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz geladen, um Mirjam Zadoff, die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, zu ehren. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann ist aus Berlin angereist, um der engagierten Streiterin für Toleranz den Preis zu überreichen.

Hoffnung bis zuletzt hatte wohl auch Ilse Weber. Mit zwei Liedern der 1944 im Konzentrationslager Auschwitz getöteten Dichterin beginnt dieser nachdenkliche Abend, vorgetragen vom Ensemble Musica Libera, das aus Stipendiatinnen der Stiftung besteht. „In Zeiten großen Leids kann Musik Trost spenden“, begrüßt Thomas Hacker (FDP) als Präsident der Stiftung die Gäste. Er erinnert an Dehler, der mit einer Jüdin verheiratet war, vom NS-Hetzblatt Der Stürmer als „Judenanwalt“ geschmäht wurde, aber „bis zuletzt Rückgrat bewiesen hat“. Nach dem Krieg war er Mitbegründer der bayerischen FDP und habe als erster Justizminister im Kabinett Adenauer den Rechtsstaat mit aufgebaut.

Was hätte dieser aufrechte Liberale uns heute zu sagen, fragt anschließend Marco Buschmann. Er sei ein streitbarer Mann gewesen, einer, „der bei Diskussionen ganz schön in die Klaviatur gegriffen hat“. Aber der Respekt vor der Meinung anderer habe ihn genauso ausgezeichnet. Einmal sei er mit seiner Jagdflinte zu einer SPD-Versammlung gekommen – nicht, um die „Sozis“ zu erschießen, sondern um sie gegen ihre extremistischen Gegner zu verteidigen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann mahnte zur Verteidigung der Demokratie. (Foto: Robert Haas)

Als Dehler nach dem Krieg auf Herrenchiemsee an der Verfassung des Grundgesetzes mitschrieb, „war das Land moralisch bankrott, es hatte geschätzt zwei Millionen Vergewaltigungen gegeben, Mütter hatten Angst, weil sie nicht wussten, wie sie das Essen für ihre Kinder besorgen sollten“, erinnert Buschmann. In dieser Situation hätten Menschen die Kraft gefunden, für die Demokratie zu kämpfen – „dann sollte uns das erst recht gelingen“. Jeder sei aufgefordert, „friedlich mit Nachbarn, Freunden, Kollegen zu streiten – das sollte man auch den Kindern in den Schulen beibringen“.

Mirjam Zadoff trete für diesen freiheitlichen Diskurs ein wie nur wenige andere, betont Wolfgang Heubisch (FDP), ehemaliger bayerischer Wissenschaftsminister, in seiner Laudatio. Die Historikerin und Judaistin, 1974 in Innsbruck geboren, sei eine herausragende Wissenschaftlerin und Kulturvermittlerin. Seit 2018 leitet sie das NS-Dokumentationszentrum, sie habe dort ein Ausstellungs- und Bildungsprogramm entwickelt, „das weit über München hinausstrahlt“. Durch ihr „permanentes Engagement für eine tolerante und gerechte Gesellschaft“ bereichere sie die Stadtgesellschaft. „Ihre Stimme wird gehört und geschätzt“, wendet er sich an die Preisträgerin und schließt mit einer Bitte: Frau Zadoff möge darin nicht nachlassen.

Das ist kaum zu befürchten. Zadoff tritt ans Mikrofon, leise, elegant in einem nachtblauen Anzug, in der ersten Reihe sitzen ihr Mann, der Historiker Noam Zadoff, und ihre beiden Kinder. Mit einer so klugen wie emotionalen Rede gibt sie eine Vorstellung davon, was sie unter Toleranz versteht. Dass sie hier stehe, sagt sie, habe sie auch den vier Müttern des Grundgesetzes zu verdanken, die damals, vor 75 Jahren, dafür kämpften, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen Verfassungsrang erhielt. Sie erwähnt frühere Preisträgerinnen wie die Holocaust-Überlebende Simone Veil, die als französische Feministin für das Recht auf Abtreibung kämpfte. Und betont, dass die Auszeichnung viele Menschen einschließe: ihre Mitarbeiterinnen, Künstler und Künstlerinnen, die im Museum ausstellten und neue Formen der Erinnerungskultur fanden. Sie denke auch an ihre Eltern, die ihr Empathie und Menschlichkeit mitgegeben hätten, „und den Glauben daran, dass eine Veränderung immer möglich ist“. Radikale Zuversicht könne man es nennen, „und es ist die beste Form der Radikalität“. Das Zusammenleben sei fragiler geworden. Ja, erwidert sie Buschmann, unser Staat sei vergleichsweise stabil. „Aber Thomas Dehler wäre vermutlich nervös gewesen, zu sehen, dass Rechtsradikale in den Parlamenten und öffentlichen Ämtern sitzen.“

Imam Benjamin Idriz und Wolfgang Heubisch (FDP) sind sich einig: Es braucht mehr Verständigung über kulturelle oder politische Grenzen hinweg. (Foto: Robert Haas)

Jede und jeder seien jetzt gefragt, Gleichgesinnte zu suchen, „mögen sie auch in anderen Parteien verortet sein oder andere Herkünfte haben“. Sie selbst gibt dafür das beste Beispiel. Sie ist neben vielen anderen Gremien auch im Beirat des Münchner Forums für Islam. Dessen Imam Benjamin Idriz ist unter den Gästen. Beim anschließenden Empfang sind sie sich einig: „Wir sind gefragt, neu zu denken, in Allianzen zu denken“, wie Zadoff formuliert. „Aufgeben ist keine Option.“

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