Süddeutsche Zeitung

Skurriler Fall am Landgericht:Millionenraub ohne Zeugin

Lesezeit: 2 min

Von Andreas Salch

Es ist ein skurriler Fall: Aus den Schließfächern einer schwerreichen Russin in der Commerzbank am Promenadeplatz werden rund 4,6 Millionen Euro gestohlen. Den Mitarbeitern der Bank soll der Diebstahl erst Wochen später eher beiläufig aufgefallen sein. Und von der aus Saratow an der Wolga stammenden Russin, der das viele Geld einmal gehörte, fehlt jede Spur. Eigentlich sollte sie am Dienstag vor dem Landgericht München I in dem Verfahren gegen sechs Männer und eine Frau, die direkt oder indirekt an dem Coup beteiligt gewesen sein sollen, als Zeugin gehört werden. Doch die vermögende Kundin erschien nicht.

Je länger das am 14. Januar begonnene Verfahren vor der 8. Strafkammer dauert, desto mehr Fragen tun sich auf. Inzwischen ist sogar fraglich, ob alle der sieben Angeklagten tatsächlich irgendetwas mit dem spektakulären Diebstahl zu tun haben. Denn ein Teil von ihnen könnte am kommenden Donnerstag, dem zehnten Verhandlungstag, freigesprochen werden, wie der Vorsitzende Richter Gilbert Wolf am Dienstag feststellte. Wie es dann mit dem Verfahren weitergeht, ist noch unklar. "Wie sollen wir die Wahrheit finden, wenn die Geschädigte nicht kommt und die Bank nicht sagt, wie viel, wann und in welchem Schließfach drin war", so Wolf. Die Kammer benötige zudem weitere Sachverständigengutachten. Unter anderem eines zur Software, die den Zutritt zum Schließfachraum und den Schließfächern steuert.

Vermutlich wird der Prozess deshalb ausgesetzt und zu einem späteren Zeitpunkt gegen einen Teil der Angeklagten noch einmal neu aufgerollt. Den Haftbefehl gegen einen 27-jährigen Studenten, der Mitglied der mutmaßlichen Bande gewesen sein soll, setzte das Gericht am Dienstag unter Auflagen außer Vollzug. Die restlichen Angeklagten befinden sich ohnehin schon seit geraumer Zeit wieder auf freiem Fuß.

Von Seiten der Verteidiger gibt es massive Kritik, nicht nur an den Ermittlungen, sondern auch an den Verantwortlichen der Commerzbank am Promenadeplatz. Rechtsanwalt Sascha Petzold verlas zum Beginn des 9. Verhandlungstages eine Erklärung, in der er einem Vorgesetzten der Bank vorwirft, sie hätten versucht, "die Aussagen der Bankzeugen zu manipulieren." So habe eine Mitarbeiterin auf intensives Nachfragen seines Kollegen Andreas Schwarzer schließlich eingeräumt, dass ein "bankinternes Treffen zur Zeugenvorbereitung" stattgefunden habe. "Es ist nicht befremdend, nein rechtswidrig, dass die Commerzbank auf die Zeugenaussagen Einfluss nimmt", so Petzold.

Dass Unbekannte die Schließfächer der wohlhabenden Kundin aus Russland aufgebrochen und mit Heißkleber und einem Klebeband wieder provisorisch verschlossen hatten, war einem neuen Mitarbeiter der Bank am 10. April vergangenen Jahres aufgefallen. Er wurde an diesem Tag von einem Kollegen in die Funktionen des Schließfachraums eingewiesen. Dass die Türe eines der Schließfächer nicht mehr verschlossen war, habe er sofort gesehen, sagte der Bankmitarbeiter am Dienstag bei seiner Vernehmung. Sein älterer Kollege habe daraufhin gesagt: "Scheiße, oder so was in der Art". Mitunter, so der Zeuge weiter, sollen auch die Blenden mit den Ziffern von den Türen der Schließfächer abfallen. Das sei bis heute so.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4784629
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.