Konzert von Milky Chance:"Warum gehen wir nicht alle zusammen ein bisschen clubben?"

Milky Chance spielen in der ausverkauften Tonhalle ein souveränes Konzert mit alten Hits und vielen Tanzeinlagen. Sänger Clemens Rehbein gibt dabei einen sympathisch-verpeilten Lehrer.

Von Anna Weiß

"Es ist wie in der Schule, nicht einfach reinrufen, man versteht ja gar nichts", sagt Clemens Rehbein mit einem Anflug von Ironie. Der Milky Chance-Sänger will am Freitagabend in der Münchner Tonhalle herausfinden, welcher von zwei zur Wahl gestellten Songs gespielt werden soll. Doch die Disziplin des aufgeheizten Publikums lässt zu wünschen übrig, es wird reingebrüllt. "Ich fühle mich gerade wie ein Lehrer vor einer ganz schön großen Klasse", sagt er. Die Umfrage soll wiederholt werden, ursprünglich fand sie bei Instagram statt: "Es passierte im Internet", leitet der notorisch verstrahlt wirkende Rehbein ein.

"Es passierte im Internet" beschreibt auch den Beginn der internationalen Erfolgsgeschichte von Milky Chance, die bis heute nicht auserzählt ist. Zehn Jahre ist es her, dass das Folktronica-Duo in Kassel gegründet wurde und von dort aus die Welt eroberte. Philipp Dausch und Clemens Rehbein waren 2012 noch Schüler, der große Durchbruch kam 2013 mit dem Song "Stolen Dance". Online veröffentlicht, erreichte er Musikliebhaber weltweit, vor allem in den USA und Kanada. Bei YouTube ist der Song 842 Millionen Mal geklickt worden.

Neben der damals neuen Art, wie das Duo Elemente aus Folk, Indie und elektronischer Musik kombiniert, wird Milky Chance von Rehbeins einzigartiger Stimme - knarzende Tür trifft auf Schmirgelpapier - und der Freundschaft zwischen ihm und Dausch getragen. "I love the way we synchronize", heißt es im ersten Song, die Gründer und ihre beiden Mitmusiker zeigen, wie gut sie harmonieren. Wie Lehrer, die denselben Unterrichtsstoff seit Jahren durchkauen, wird "Down by the River" vom Debütalbum "Sadnecessary" zackiger durchgespielt. Bei der Anmoderation von "Cocoon" wird das Klassenziel nicht erreicht, Rehbein teilt sein Publikum in Partien, versucht ihnen ein halbwegs koordiniertes "eh", "ah", "ouh" zu entlocken, vergeblich. "Also ich fand's mega schön", prustet er, beim Song können aber alle mitsingen.

"Das hier ist ein safe space, alle Emotionen sind erlaubt. Wenn ihr tanzen wollt, tanzt, wenn ihr ausrasten wollt, rastet aus", heißt es zwischendurch. Erfrischend, dass Milky Chance im positiven Sinn "woke" ist, die Band bemüht sich um klimaneutrales Touren, die Merch-Artikel sind aus Bio-Baumwolle, die charmant-albernen Ansprachen zeigen, dass "wir freuen uns, hier zu sein" keine Floskel ist.

"Warum gehen wir nicht alle zusammen ein bisschen clubben?", fragt Herr Rehbein, es folgt eine Elektro-lastige Viertelstunde, wenn alle mitmachen, gibt's eine "Eins plus mit Sternchen". Die Songs von Milky Chance klingen oft ähnlich, live wird das aufgebrochen, sie spielen Coverversionen von ihren Mixtapes (etwa "Tainted Love"). "Stolen Dance", mit reger Schülerbeteiligung, ist das letzte Lied vor der Zugabe, in der Hits von "Sadnecessary" mit hingebungsvollem Tanzen und Mundharmonika-Spiel gefeiert werden.

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