Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Achtung, hier kommt kein Karton!

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Mietroller eröffnen viele neue Transportmöglichkeiten. Für alles sind die Gefährte dann aber doch nicht geeignet.

Glosse von Stephan Handel

Neulich auf dem Weg zur Arbeit: Die Fahrgäste in der Linie 19 können an der Lautensackstraße eine junge Frau beobachten, die versucht, mit einem Mietroller ein Paket zu transportieren. Das Paket ist ungefähr von der Größe eines Langspielplatten-Covers (wenn das noch jemandem etwas sagt), vor allem aber ist es eins: widerspenstig.

Die Frau auf dem Trottoir versucht, das Paket hochkant auf das Trittbrett des Rollers zu stellen. Das funktioniert nicht, denn Paket und Trittbrett haben ungefähr die gleiche Länge - es bleibt also kein Platz für die Füße der Frau und die würde sie wahrscheinlich schon gerne mitnehmen. Nun schiebt sie das hintere Bein unter das Paket. Dadurch bleibt vorne ein bisschen mehr Platz, allerdings nur auf Kosten einer Drehung des vorderen Fußes, die extrem nach Meniskusschaden aussieht.

Mittlerweile sind weitere Tramfahrer auf das Drama am Straßenrand aufmerksam geworden. Die Kommentare reichen von aufmunternd-anfeuernd ("Na, de werd's gscheid auf d'Schnauzn haun") bis zu fachmännisch-vermessen ("Des gehd doch nia"). Glücklicherweise kann die Frau die Kommentare nicht hören, ihre Wut und ihre Verzweiflung würden wahrscheinlich noch mal ansteigen.

Nächster Versuch: Das Paket hochkant, die Füße aber links und rechts davon auf gleicher Höhe darunter geschoben. Das verleiht der Dame eine etwas o-beinige Figur und jeder Fuß hat nur wenige Zentimeter Standfläche. Aber immerhin: Sie fährt! Allerdings nur einen Meter, dann muss ein Bein zum Ausbalancieren das Trittbrett verlassen und schon wieder liegt das Paket im Dreck.

Warum besteht sie überhaupt darauf, mit dem Roller zu fahren? Will sie hinüber ins Nymphenburgische, da nützt ihr die Tram nichts, die biegt hier rechts ab. Ist der Weg zu weit zum Gehen? Schwer sieht das Paket nicht aus, sie kann es offensichtlich leicht mit einer Hand heben. Nun drapiert sie es mal flach auf dem Roller, aber wie soll das denn gehen? Platz für die Füße hätte sie jetzt, aber das Packerl rutscht natürlich bei der kleinsten Neigung vom Trittbrett.

Es ist ein packendes Stück, das die Fahrgäste der Linie 19 an diesem Morgen erleben, leider mit unbekanntem Ausgang. Denn irgendwann entscheidet der Trambahnfahrer, dass es jetzt weiterzugehen habe, nächste Haltestelle: Am Lokschuppen. Die Frau in ihrem Kampf bleibt allein zurück. Kurze Notiz ins Handy: Geschäftsidee - E-Lastenroller zum Mieten.

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