Fachkräftemangel:Welcher Arbeitnehmer kann sich München noch leisten?

Fachkräftemangel: Lieferdienste klagen über zu schlechte Bezahlung bei anstrengender Arbeit und reichlich Stress.

Lieferdienste klagen über zu schlechte Bezahlung bei anstrengender Arbeit und reichlich Stress.

(Foto: Florian Peljak)

Die Gewerkschaften schlagen Alarm: Von dem, was sie verdienen, können immer weniger in der teuren Stadt überleben. Sie wandern ab und verschärfen damit die Notlage am Arbeitsmarkt.

Von Andrea Schlaier

Zum Beispiel der DHL-Fahrer, der bis zum Autoreifen alles wie bestellt bis vor die Wohnungstür im vierten Stock in Schwabing liefert. Immer unter Zeitdruck. Am Monatsende bleiben ihm 1800 Euro netto. Genauso viel wie dem Abfertiger am Flughafen München; allein 400 Arbeitskräfte werden für diesen Job derzeit gesucht. 80 Realschullehrerinnen haben zuletzt pro Jahr in München gekündigt und sind weggezogen. Das Phänomen ist branchenübergreifend: Die Anforderungen in den Jobs steigen, der Verdienst nicht. Er reicht vielen Menschen hinten und vorne nicht, um im teuren München zu überleben.

Zugleich bietet die boomende Stadt immer mehr Arbeitsplätze. Allein im Bereich "Information und Kommunikation" ist die Zahl 2022 im Vergleich zum Vorjahr um knapp 8500 angestiegen und hat damit den einstigen Spitzenreiter, das verarbeitende Gewerbe, überholt. Die Gesamtzahl der Beschäftigten steigt zwar, hinkt aber dem eigentlichen Bedarf "dramatisch" hinterher. So skizzieren es Münchner Gewerkschaftsvertreterinnen am Mittwoch bei einer Pressekonferenz und schlagen wegen des steigenden Arbeitskräftemangels in der Stadt Alarm.

Im Sommer 2022 zählte die Statistik an die 940 000 Beschäftigte an der Isar. Simone Burger, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München, referiert die Zahlen. Knapp 80 000 Münchner Beschäftigte müssten sich einen Nebenjob suchen, um sich überhaupt über Wasser halten zu können. An die 450 000 pendelten vom mitunter bezahlbareren Umland in die Stadt. Reicht aber nicht.

Die Agentur für Arbeit meldet aktuell 10 000 offene Stellen

"Es gibt keine Branche, die kein Problem hat, Leute zu finden", sagt Burger. Dafür stünden die 10 000 offenen Stellen, die die Agentur für Arbeit aktuell melde. Allein 4000 sind es bei der Landeshauptstadt. "Die, die noch da sind", müssten den Mangel oftmals kompensieren. Durch "teilweise krasse Arbeitsverdichtung und hohe Produktivität".

Für die IG Metall erklärt Sibylle Wankel, dass selbst BMW, MAN und Siemens Mobility sich viel mit "Leiharbeitskräften" helfen müssten, "weil selbst die in München kaum jemanden finden". Bei qualifizierten Berufen sei das bei BMW noch kein großes Thema, "da zieht die Marke". Dafür finde sich im Lkw-Bereich bei schweren körperlichen Tätigkeiten kaum jemand.

Im Baugewerbe, spielt Gewerkschafter Harald Wulf auf die "paradoxe Situation" an, dass es "in der Hauptstadt der Kräne" immer schwieriger werde, Spezialisten zu finden, etwa im Bereich Umweltschutz. "Die Qualifizierung stagniert - auch, weil wir keinen Nachwuchs kriegen." Deshalb sei auch für Auszubildende eine "anständige Bezahlung" elementar.

Rente mit 70? "Gehen Sie mal auf die Baustelle. Die lachen sie aus"

Im Pflegebereich verpflichteten sich inzwischen so viele Arbeitnehmerinnen bei Leiharbeitsfirmen wie sonst nirgends. Claudia Weber von Verdi weiß auch warum: "Da haben sie eine kalkulierbare Arbeitszeit." Arbeitszeiterfassung im Lehrdienst und ihre Einhaltung fordert Gewerkschafter Alexander Lungmus, damit die Leute nicht weiter davonlaufen.

Um dem Mangel an Busfahrern, Lokführern und Facharbeitern in Werkstätten beizukommen, werde inzwischen bis in Ägypten nach Beschäftigten gesucht, berichtet Gewerkschaftsvertreter Isidoro Peronace. Das Loch in der Personaldecke im Gastro- und Hotelbereich hat Fachvertreter Tim Lünnemann zufolge die Pandemie gerissen. Auch hier die Forderung nach besserer Bezahlung. Rente mit 70 ist in der Runde für niemanden eine Option. "Gehen sie mal auf die Baustelle", sagt Wulf, "die lachen sie aus. Dachdecker und Gerüstbauer sind mit 60 durch."

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