Süddeutsche Zeitung

Mieterschutz in München:Erhaltungssatzung darf nicht stadtweit gelten

  • Die Stadtverwaltung plädiert für eine unbefristete Gültigkeit von Erhaltungssatzungen.
  • Eine Ausweitung der Gebiete auf das gesamte Stadtgebiet ist jedoch nicht zulässig.
  • Die Erhaltungssatzung ist beinahe das einzige Instrument, mit dem die Behörden Einfluss auf den freien Wohnungsmarkt nehmen können.

Von Anna Hoben

Erhaltungssatzungen sollen in München künftig unbefristet erlassen werden. Das hat der Planungsausschuss des Stadtrats am Donnerstag beschlossen. Dies heißt jedoch nicht, dass die Satzung automatisch für immer gilt; auch künftig wird alle fünf Jahre überprüft werden müssen, ob die Kriterien für den Erlass in dem jeweiligen Gebiet weiterhin zutreffen. Die Stadträte folgten mit ihrem Beschluss einem Vorschlag der Verwaltung - einzig die FDP stimmte dagegen.

Zugleich hat das Planungsreferat jedoch dem Willen von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) eine Absage erteilt - er hätte die Satzung gern auf das ganze Stadtgebiet ausgeweitet. Dies ist laut Verwaltung rechtlich nicht möglich; hierfür müsste das Baugesetzbuch geändert werden. Reiter hatte jüngst immer wieder gefordert, dass die Erhaltungssatzung vom Milieuschutz-Instrument zum echten Mieterschutz-Instrument werden müsse. Doch es wird nun vorerst so bleiben, dass nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung davon profitiert. 281 000 Menschen wohnen in den aktuell 23 Münchner Gebieten.

Das Instrument der Erhaltungssatzung soll dem Schutz der angestammten Bevölkerung vor Luxussanierungen, Gentrifizierung und Vertreibung dienen. Investoren werden in diesen Gebieten beim Kauf von Mietshäusern mit diversen Auflagen sozial in die Pflicht genommen. Die Stadt hat ein Vorkaufsrecht, und es gibt einen Genehmigungsvorbehalt bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum.

Seit mehr als einem Jahr schraubt die Stadt immer wieder an der Erhaltungssatzung, um ihre Wirkung zu verbessern - sie ist eines der wenigen Instrumente, mit denen Kommunen tatsächlich Einfluss auf den freien Wohnungsmarkt nehmen können. So hat der Stadtrat im vergangenen Sommer eine Verschärfung der sogenannten Abwendungserklärung beschlossen, mit der Investoren das Vorkaufsrecht der Stadt "stechen" können. Für Investoren gelten seitdem noch strengere Auflagen, etwa ein Mietpreisdeckel bei Neuvermietung - mit der Folge, dass Käufer abgeschreckt werden und die Stadt ihr Vorkaufsrecht ausüben muss. Das hat sie allein im Jahr 2018 etwa 230 Millionen Euro gekostet. Die Stadt gibt also viel Geld für den Kauf von teuren Bestandswohnungen aus, das sie auch in die Schaffung von neuem Wohnraum stecken könnte. Seit April gilt die Satzung zudem auch für unbebaute Flächen. Auch ein Investor, der durch Nachverdichtung Wohnraum schafft, kann damit nun nicht beliebig umgehen.

Auch die Einführung eines Vorkaufsrechts wäre möglich - aber teuer

Zur Weiterentwicklung der Erhaltungssatzung gehört künftig auch ein neues Indikatorenset für das sogenannte Aufwertungspotenzial. Hierzu wird unter anderem eine Kategorie "Gentrifizierungsdynamik" eingeführt. Seit einigen Jahren ist nicht mehr nur der klassische gründerzeitliche Altbaubestand von Umbau und Umwandlung betroffen, sondern auch der Wohnungsbestand der 1950er- bis 1980er-Jahre rückt zunehmend in den Fokus von Investoren. Neben Haushalten mit geringen Einkommen sollen künftig auch solche mit mittleren Einkommen als verdrängungsgefährdet angesehen werden. Auch zusätzliche "Attraktivitätsfaktoren" sollen eine Rolle spielen, etwa eine sehr gute öffentliche Verkehrsanbindung oder besondere Naturqualitäten. Mit diesen neuen Kriterien sollen nun zunächst vier potenzielle Gebiete geprüft werden: Schleißheimer Straße, Thalkirchen, der Stadtbezirk Ramersdorf-Perlach und Pasing.

Von der Satzung profitieren könnten künftig auch Genossenschaften, deren Erbbaurechte zeitnah auslaufen. Auch solche Gebiete sollen dann bei der Prüfung berücksichtigt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Eisenbahnergenossenschaft Neuhausen mit ihren Wohnungen in der Donnersberger-, Schlör-, Schluder- und Sedlmayrstraße. Unter dem Strich werden künftig mehr Kriterien berücksichtigt; das erhöht die Chancen, dass für ein Gebiet eine Erhaltungssatzung beschlossen wird.

"Gut, dass die Mittelschicht nun auch Berücksichtigung findet", kommentierte Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Habenschaden. Auch der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christian Müller, äußerte sich wohlwollend zu den Änderungen. "Wir sind an zwei Punkten definitiv weitergekommen." Dass eine Ausweitung auf die ganze Stadt rechtlich nicht möglich ist, davon sei man schon ausgegangen. Es müsse nun jedoch alles dafür unternommen werden, dass die Voraussetzungen hierfür geschaffen werden. Deutliche Kritik übte Michael Mattar (FDP). Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei viel zu teuer, die Ausweitung der Erhaltungssatzung führe wohnungspolitisch keinen Schritt weiter. "Und diejenigen, die vor 20 Jahren gentrifiziert haben, sagen jetzt, es dürfen keine neuen Leute mehr kommen."

Laut Einschätzung der Stadtverwaltung wäre zudem auch ein stadtweiter Vorbehalt für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen - wie sie bisher in Erhaltungssatzungsgebieten schon gilt - zulässig. Die SPD-Fraktion will sich nun dafür einsetzen, dass die Gesetzgeber in Bund und Land eine entsprechende Regelung schaffen. Auch ein preislimitiertes, flächendeckendes Vorkaufsrecht für die Stadt wäre möglich - auch hier solle der Bundesgesetzgeber die Länder ermächtigen, eine solche Regelung zu erlassen.

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SZ vom 19.07.2019/lfr
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