München:Eigentümer kündigt neun Mietparteien - wegen Eigenbedarfs

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Neun Wohnungen sind im Gebäude an der Ecke Claude-Lorrain- und Sommerstraße. (Foto: Sebastian Gabriel)
  • Der neue Eigentümer eines Hauses an der Ecke Claude-Lorrain-/Sommerstraße will das Gebäude ausbauen und sanieren.
  • Der Investor erwarb das Gebäude mit neun Wohnungen im Oktober 2018 und plant hier ein "Mehrgenerationenhaus" für sich und seine vier Kinder.
  • Allen Mietern wurde gekündigt - doch die Rechtslage ist unklar.

Von Julian Raff, Untergiesing

Seit fast drei Jahrzehnten soll eine Erhaltungssatzung für die Au und Untergiesing die Vertreibung der angestammten Klientel durch Luxussanierungen verhindern, doch längst nicht alle Mieter zwischen Mariahilf- und Candidplatz können auf den Schutz dieses Regelwerks zählen: Den Mietern eines Hauses an der Ecke Claude-Lorrain-/Sommerstraße droht die Verdrängung aus ihren Wohnungen, da der neue Eigentümer das Gebäude mit Genehmigung der Lokalbaukommission (LBK) ausbauen und sanieren will.

Der Investor erwarb das Gebäude mit neun Wohnungen im Oktober 2018 und plant hier nach eigenem Bekunden ein "Mehrgenerationenhaus" für sich und seine vier Kinder. Die Mieter haben Eigenbedarfskündigungen erhalten, einige haben Abfindungs- und Alternativangebote angenommen. Mit den verbliebenen Parteien, die Widerspruch eingelegt haben, stehe man laut Vermieter-Anwalt Georg Schildberg "in gutem Kontakt" über einen "nicht juristischen Mediator". Näher erläutern wollte der Bauherr seine Pläne der SZ nicht.

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Bekannt ist, dass die LBK die Aufstockung und nordseitige Erweiterung des Gebäudes genehmigt hat und der Bestand von neun auf 14 Wohnungen ausgebaut werden soll. Die Rechtmäßigkeit des Eigenbedarfs bleibt vorerst strittig. Außerdem gibt es Härtefälle, etwa im Fall eines betagten langjährigen Mieters, einer Bewohnerin mit Behinderung oder eines Familienvaters mit drei kleineren Kindern. Dessen Anwalt geht von einer reinen "Vorratskündigung" aus.

Auf sein Projekt eines "Mehrgenerationenhauses" wird sich der Vermieter bei der rechtlichen Durchsetzung seiner Pläne wohl kaum berufen können: Diese öffentlich geförderte Wohnform meint ausdrücklich ein Zusammenleben nicht verwandter Menschen. Auf jeden Fall kann der Eigentümer sämtliche Wohnungen verkaufen, auch einzeln: Der Vorbesitzer, ein Münchner Notar, hatte die Teilung des Eigentums beantragt, sie ist im Grundbuch seit Oktober 1990 eingetragen. Nur zweieinhalb Monate nach dem Eintrag trat die Erhaltungssatzung "Untere Au/Birkenau" in Kraft. Ob der Eigentümer damals wirklich einzeln verkaufen oder die Satzungsvorgaben durch die Teilung umgehen wollte, spielt inzwischen keine Rolle mehr: Seit 2001 ist das Gebiet zwischen der unteren Weidenstraße im Norden und der Bahnlinie im Süden, die sogenannte Birkenau, aus der Erhaltungssatzung herausgefallen. Hausverkäufe müssen hier also nicht mehr der Stadt gemeldet werden, die dann ihr Vorkaufsrecht ausüben kann.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Teilquartier mit seinen 900 Bewohnern kaum vom übrigen Satzungsgebiet. Einen besonderen Akzent setzen allerdings die niedrigen Herbergs- und Kutscherhäuschen an der Straße "Birkenau" und der Oberen Weidenstraße, einst bewohnt von kleinen Handwerkern und armen Tagelöhnern. Um den Denkmalschutz ging es allerdings nicht bei der Entscheidung, das Gebiet 2001 aus der Satzung "Untere Au/Birkenau" zu streichen und diese mit der Untergiesinger Erhaltungssatzung zum Schutzgebiet "Untere Au/Untergiesing" zu fusionieren. Umgekehrt könnte man sagen, dass nicht zuletzt die pittoreske Nachbarschaft die Bewohner der Claude-Lorrain-Straße den Schutz gekostet hat: Anstelle einer alteingesessenen Mieterklientel war in den geduckten Häuschen und den Hinterhöfen der Nachbarstraßen eher Kleingewerbe und Handwerk daheim. Viele der Häuschen standen leer und verfielen. Andere, durchaus noch intakt, mussten Neubauten weichen, etwa einem umstrittenen Wohnblock in der Birkenau 10 und 12. Andere Herbergen, vor allem in der Oberen Weidenstraße wurden saniert, wobei auch neuer Wohnraum entstand.

Eine Stadtratsvorlage von 2011 fasst die Gründe zusammen, warum das Gebiet auch bei der damaligen Neubewertung nicht wieder in die Satzung aufgenommen wurde, obwohl Bezirksausschuss und Bürgerversammlung darauf gedrängt hatten. Unter anderem ist von erheblichem "Instandhaltungsrückstau" im "heterogenen" Gebäudebestand die Rede. Zudem liege die durchschnittliche Haushaltsgröße mit 1,5 Personen weit unter dem Standard des restlichen Gebiets, ebenso wie die durchschnittliche Wohndauer und der Anteil an Kindern und Jugendlichen einerseits, Senioren über 74 Jahren andererseits. Das Gebiet weise also zu wenige dort verwurzelte Familien und Senioren als schutzwürdige Klientel auf. "Negative städtebauliche Folgen im Sinne einer Umverteilung der Auslastung sozialer Infrastruktureinrichtungen drohen daher hier nur in unzureichendem Umfang", lautete das Fazit. Nicht erfassen könne eine Erhaltungssatzung dabei die Veränderungen in Kleingewerbe und Gastronomie.

Man könne in diesem Fall wohl nur noch "über vergossene Milch klagen", resümiert SPD-Stadtrat Christian Müller. Er hatte den Mietern politische Unterstützung zugesagt. Auf diesem Weg sei aber nichts mehr zu machen, sagt er. Den Mietern kann Müller nur empfehlen, den Eigenbedarf anzufechten, zumal hierfür wohl auch entferntere Verwandte eingespannt worden seien. Das, so Müller, habe "schon ein G'schmäckle" und halte einer gerichtlichen Prüfung vielleicht nicht stand.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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