Süddeutsche Zeitung

München:Theaterstück "Vögel" wird doch nicht wieder aufgeführt

Die Rechteinhaber bestehen darauf, dass das Werk von Wajdi Mouawad nach den Antisemitismus-Debatten nur ohne Änderungen gezeigt wird. Warum das Metropoltheater dies ablehnt.

Von René Hofmann

Nächste Wendung in Münchens großer Kulturdebatte: Das Theaterstück "Vögel" wird am Metropoltheater nun doch nicht wieder zu sehen sein. Die Inhaber der internationalen Rechte an dem Stück von Wajdi Mouawad bestehen darauf, dass das Werk nach den Debatten in München vollständig aufgeführt wird. Jochen Schölch, der Intendant des Metropoltheaters, der bei der dortigen Inszenierung auch Regie führt, hält das für "in keinster Weise leistbar".

Das Theater hätte das Stück am Sonntag, 26. März, wieder in seinen Spielplan aufnehmen wollen. Bis Ende April waren insgesamt zwölf Aufführungen geplant. Im November 2022 hatte das Theater eine erste Aufführungsreihe ausgesetzt, nachdem der Verband jüdischer Studenten in Bayern und die Jüdische Studierendenunion Deutschland Antisemitismus-Vorwürfe erhoben hatten.

Wajdi Mouawad wurde 1968 im Libanon geboren. In dem Stück "Vögel" führt die Liebesbeziehung zwischen dem jüdischen Genetiker Eitan und der arabischstämmigen Wahida dazu, dass in Eitans Familie Identitätskonflikte aufbrechen, die vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern verhandelt werden.

Entstanden ist das Stück 2017 unter Mitwirkung jüdisch-israelischer Schauspieler am Pariser Théâtre national de la Colline, wo es im gleichen Jahr auch uraufgeführt wurde. Die deutsche Erstaufführung fand 2018 am Staatstheater Stuttgart statt. In diesem Jahr wurde es in Deutschland bereits in Lüneburg gezeigt, am Thalia Theater in Hamburg und am Berliner Ensemble.

Die internationalen Rechte liegen bei der Agentur Simard Agence Artistique in Kanada, die Mouawad vertritt. Die deutsche Übersetzung gibt der Verlag der Autoren mit Sitz in Frankfurt am Main heraus. Diesem wurde von der Agentur nun schriftlich mitgeteilt, dass aufgrund der Ausnahmesituation, in der sich die Aufführungen in München befinden, Kürzungen oder Änderungen, auch kleinerer Art, untersagt werden. Dies soll, wie es heißt, dazu beitragen, dass das Stück "durch ungerechtfertigte Antisemitismusvorwürfe und eine aufgeheizte Debatte in München nicht weiter beschädigt" wird.

An zwei Stellen waren Änderungen vorgesehen

In der Originalversion sprachen die Figuren alle in ihrer jeweiligen Muttersprache, womit im Stück Englisch, Arabisch, Hebräisch und Deutsch gesprochen wird. Der vollständige Text des Stückes umfasst in der deutschen Übersetzung 106 DIN-A5-Seiten. Die in München ursprünglich aufgeführte Bühnenfassung hatte zweieinhalb Stunden gedauert. Den Text vollständig vorzutragen wäre wesentlich umfangreicher - und aufwendiger.

In München sprachen alle Figuren Deutsch. Regisseur Jochen Schölch begründete diesen Schritt mit dramaturgischen Überlegungen: Aufgrund der Länge der vorgetragenen Dialoge sei es dem Publikum so leichter, der Handlung und der Vortragsweise der Schauspielerinnen und Schauspieler zu folgen.

Für die Wiederaufnahme des Stückes waren an zwei Stellen Änderungen vorgesehen. So sagt der jüdische Genetiker Eitan zu seinem Großvater: "Wenn Traumata Spuren in den Genen hinterließen, die wir unseren Kindern vererben, glaubst du, unser Volk ließe dann heute ein anderes die Unterdrückung erleiden, die es selbst erlitten hat?" Diese Aussage ist wissenschaftlich nicht haltbar - Traumata lassen sich in den Genen ablesen - und kann als Gleichsetzung der Behandlung der Palästinenser mit dem Holocaust verstanden werden. Zudem sollte ein Dialog verändert werden, in dem die Großmutter bedauert, dass ihr Mann im Konzentrationslager nicht gestorben sei - denn dann würde sie ihn nicht mehr ertragen müssen.

Auf die entsprechende Ankündigung des Metropoltheaters hatte der Verlag der Autoren mit dem Hinweis reagiert, dass keine "überarbeitete Fassung" präsentiert werde: "Vielmehr sind Theater und Verlag übereingekommen, dass zwei in der ursprünglichen Inszenierung gegenüber dem Originaltext vorgenommene Streichungen rückgängig gemacht werden, um auf diese Weise den Kontext klarer zu fassen und möglichen falschen Interpretationen vorzubeugen." Insgesamt hatte der Verlag die Wiederaufnahme aber begrüßt. Ebenso hatte sich Stefanie Schüler-Springorum, die Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, geäußert.

"Wir haben es für unbedingt nötig erachtet, unsere Aufführung wieder zu spielen, deshalb bedauern wir diese Entwicklung zutiefst", sagt Theaterintendant Jochen Schölch. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag (Grüne) äußerte in einer Stellungnahme, dass durch den Vorgang der Kultur in München Schaden zugefügt wurde. "Den Scherbenhaufen aufkehren können nun diejenigen, die sich nicht umgehend schützend vor das Theater gestellt haben und zugelassen haben, dass Debatten um Mittelstreichungen, Aufführungsverbote und Zensurmaßnahmen durch selbsternannte Oberantisemitismusaufseher ins Kraut schossen."

Seiner Meinung nach sind dies "die Stadtratsfraktionen, zuallererst die Grünen, aber auch das Kulturreferat und der Oberbürgermeister". Diese sollten sich nun "besinnen, dass man die notwendige Auseinandersetzung mit menschenfeindlichem Antisemitismus nicht dadurch führt, dass man jeder Anschuldigung angeblichen Antisemitismus vorbehaltlos Glauben schenkt".

Der Landtagsabgeordnete Wolfgang Heubisch (FDP), von 2008 bis 2013 bayerischer Kunstminister, sieht für die Absetzung diejenigen verantwortlich, "die das Stück in die Nähe von Antisemitismus rücken wollten", "bis hin zur kaschierten Forderung nach einer zukünftigen Vorabzensur": "Der Verlierer in diesem Drama sind Kunst und Kultur."

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