Süddeutsche Zeitung

Münchner Innenstadt:Ein weiteres Traditionsgeschäft muss aufgeben

Nach 117 Jahren schließt Hans Nahr, eine Münchner Institution, die für ihre erlesenen Messer weit über Deutschland hinaus bekannt ist. Der lange Umbau des Ruffinihauses, Corona und der Ukraine-Krieg - "das war zu viel", sagt die Chefin.

Von Catherine Hoffmann

Es gibt Leute, die sagen, früher war alles besser. In den meisten Fällen ist das ja Blödsinn. Wenn es aber um die Zahl der inhabergeführten Fachgeschäfte in der Münchner Innenstadt geht, ist der Gedanke zutreffend, denn sie werden von Jahr zu Jahr weniger. Nun schließt eine weitere kleine Institution im Handel nach 117 Jahren: Hans Nahr, ein in ganz Deutschland und darüber hinaus bekanntes Spezialgeschäft für erlesene und teure Messer.

"Bevor ich alles verliere, höre ich im Ruffinihaus lieber auf", sagt Inhaberin Antonia Tanzer. "Früher habe ich fast jedes Jahr einen schönen Gewinn gemacht, heute ist es ein Riesenverlust." Sie ist seit 1957 Mieterin im Ruffinihaus, ihr Geschäft liegt gleich neben dem Modehaus Konen, das heute Breuninger gehört. Doch nun hat Tanzer mit Hilfe eines Anwalts einen Aufhebungsvertrag mit der Stadt München geschlossen, die Vermieterin ist.

"Der langwierige Umbau des Ruffinihauses, Baustellen, Corona und der Krieg in der Ukraine, das war zu viel", sagt Tanzer. Das Ruffinihaus, das Gabriel von Seidl Anfang des 20. Jahrhunderts am Rindermarkt errichten ließ, wurde von 2018 bis 2020 aufwendig renoviert. Die Mieter wurden während dieser Zeit ausquartiert. Tanzer zog mit ihrem Messergeschäft unter die Arkaden auf der Nordseite des Stadtmuseums, wo es kaum Publikumsverkehr gibt. Ihr Umsatz sei um 60 bis 80 Prozent eingebrochen.

Doch mit dem Wiedereinzug ins historische Ruffinihaus kam nicht etwa die erhoffte Erholung. Im Gegenteil machten die Pandemie und die wechselnden Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung den Einzelhändlern das Leben schwer. Trotzdem sei die Stadt weder bei der Miete noch bei den Auflagen für den Mietvertrag besonders entgegenkommend gewesen. Auch sonst hakte es: "Wir haben alles versucht, dass Antonia Tanzer Corona-Hilfen bekommt, doch geklappt hat es nicht", sagt Wolfgang Fischer, Geschäftsführer der City-Partner München, eines Verbands der Innenstadthändler. Das Geschäft war durch den Umzug schon vor der Pandemie so stark eingebrochen, dass sie keinen Anspruch auf Geld hatte; eine Härtefallregelung gab es nicht.

Davon hat sich Hans Nahr, das "Rasier-, Elektro- und Messerfachgeschäft im Herzen von München", wie es auf der Homepage heißt, nie erholt. Tanzer hat den traditionsreichen Namen nie geändert. "Man glaubt es nicht, aber in dem kleinen Laden haben arabische Scheichs eingekauft", sagt Fischer. Doch vor allem diese betuchte Kundschaft aus den Arabischen Emiraten und Russland, die einst für gut zwei Drittel des Umsatzes sorgte, fehlt jetzt. Auch die Münchner Stammkundschaft macht sich mitunter rar. "Ich habe alte Kunden, die sagen, sie waren seit vier Jahren nicht mehr in der Stadt. Das Schlimmste ist: Wer doch kommt, dem gefällt die Innenstadt nicht mehr, zu viele Baustellen, rüde Radler und achtlose E-Roller-Fahrer", erzählt die Geschäftsfrau, die selbst schon zwei Mal mit den elektrischen Gefährten kollidierte.

Hinzu kommt: Investieren Köchinnen und Köche ein Mal Geld in ein wirklich gutes Messer, brauchen sie so schnell kein neues. "Wer zum Beispiel ein Nesmuk-Messer kauft, der hat es für sein Leben und kann es sogar noch vererben", sagt Tanzer. Solche Qualität hat natürlich ihren Preis: Für ein Kochmesser müssen Interessierte zumindest 500 Euro ausgeben, es können aber auch 5000 sein. Nesmuk fertigt in seiner Manufaktur in Solingen Damastmesser von extremer Schärfe. "Wer es einmal in der Hand hatte, will es nicht mehr hergeben", sagt Tanzer.

Schon immer ging es exklusiv zu bei Hans Nahr. Als das Geschäft 1906 gegründet wurde, verkauften die Gebrüder Nahr an der Westenriederstraße hinter dem Viktualienmarkt Fahrräder, sie waren damals das Fortbewegungsmittel schlechthin, das Geschäft lief hervorragend. Nach dem Ersten Weltkrieg schwenkten die Nahrs auf Musikautomaten und Grammophone um, später kamen Radios und Plattenspieler dazu. Nach dem Zweiten Weltkrieg verkauften sie die damals neuen und begehrten Fernseher.

Tanzer hat den Namen Hans Nahr nicht geändert, als sie 1995 die Geschäfte übernahm. "Anfangs habe ich noch Batterien, Glühlampen und Rasierer verkauft", erzählt sie. "Älteren Damen habe ich schon mal die Batterien in den Wecker eingesetzt." Aber diese einfachen Dinge seien heute weitgehend ausgelistet. Firmen wie Braun und Philips hätten kein Interesse, ihre Rasierapparate und Bartschneider an kleine Geschäfte zu verkaufen und verlangten von ihnen - im Einkauf - Verkaufspreise. Sie setzten lieber auf Saturn und Media Markt.

Für Tanzers Fachgeschäft blieb die Spezialisierung auf ganz besondere Messer. "Ich führe weltweit die größte Auswahl von Forge de Laguiole, die ihre Messer noch heute in eigener Schmiede komplett von Hand herstellen." Im Ruffinihaus bekommt man sogar Einzelstücke, die nach Tanzers Entwürfen und Zeichnungen gefertigt worden sind. Dasselbe gelte für Laguiole Village und Dozorme. Nicht zu vergessen: Nesmuk! "Nur bei mir gibt es Griffe aus Wacholderholz, Pappel, Maulbeere oder Pistazie", sagt Tanzer. Das Wacholderholz etwa beziehe sie aus Frankreich, wo es bis zu 500 Jahre alte Bäume gebe. Die "Kantel", wie sie die Holzstäbe von erlesener Qualität nennt, schicke sie dann zu Nesmuk, wo der Griff extra für sie und ihre Kunden gefertigt werde.

Es ist ein kleines, feines Geschäft mit Werkzeugen, die sich nicht jeder leisten mag und kann. Ein Geschäft, das vor allem vom Service und der Fachkenntnis seiner Inhaberin lebt - und ihrem schier unermüdlichen Einsatz. "Ich führe das Geschäft jetzt seit 28 Jahren und habe nach 23 Jahren im September das erste Mal Urlaub gemacht", erzählt Tanzer. Sie ist alleinige Geschäftsführerin - "vernünftiges Personal findet man seit Jahren nicht", sagt sie. Also kümmert sich die 65-Jährige um Einkauf, Verkauf, Buchhaltung, Inventur, Steuerberater und ihren Internetauftritt, der noch einige Verschönerungsarbeit brauche.

Aber jetzt macht Tanzer erst einmal Inventur. Vom 10. Januar bis zum 4. Februar ist Abverkauf. Und danach muss noch renoviert werden. Am 28. Februar ist dann endgültig Schluss mit Hans Nahr in der Sendlinger Straße. Aber Tanzer will weiter ihre scharfe Ware verkaufen, online und auf Ausstellungen. So manchen Koch wird sie auch in Zukunft persönlich in seiner Küche besuchen - mit einer Auswahl bester Messer.

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