Süddeutsche Zeitung

Messe Heim + Handwerk:Schöner Wohnen für Fortgeschrittene

Bei der Messe Heim + Handwerk zeigen rund 1000 Aussteller, wie man sich sein Zuhause einrichten kann - sehr individuell, sehr natürlich und sehr teuer.

Von Thomas Becker

Eigentlich war Felix Bender auf dem Weg in den Urlaub, aber an diesem alten Stück Holz konnte er nicht vorbeifahren. Schließlich ist er angestellt bei "About Stein", und da geht es - anders als der Firmenname vermuten lässt - um Holz. Altes bis sehr altes Holz. Ines und Johannes Steiner haben die Firma vor drei Jahren gegründet, weil sie selbst einen neuen Esstisch brauchten. Seitdem ist viel passiert: eigene Produktion, zig Messen und ein stetig wachsendes Team von Angestellten, die auch im Urlaub ihren Blick für Holzschätze am Wegesrand nicht ablegen.

Da steht Felix Bender also irgendwo vor Nizza und vor diesem Schatz: robuste Eiche, einst der Boden eines Güterzuges, der bis 1930 zwischen Paris und Cannes fuhr. Mit Händen, Füßen und Google-Translator verständigt er sich mit dem Besitzer: Bis zum Wochenende muss er das Trumm abholen, sonst ist es weg. Bender ist mit einem Golf unterwegs, also Anruf im Büro in Stuttgart: "Ihr müsst kommen!" Die Überstunden haben sich gelohnt: Der Esstisch "Güterzug" kostet nun 6200 Euro.

Und damit willkommen auf der Heim+Handwerk, mit mehr als tausend Ausstellern Süddeutschlands größter Messe zum Wohnen und Einrichten. Bis Sonntag können sich Besucher in Riem in sechs Messehallen Ideen für die Verwirklichung ihrer Wohnträume holen. Angesichts der geballten Vielfalt aus Design-Unikaten von Start-ups, Innovationen der großen Markenhersteller und individuellen Lösungen von Handwerkern sollte man sich als Besucher auf das eine oder andere Oberthema konzentrieren, um keinen Schwindelanfall zu erleiden.

Steht Nachwuchs ins Haus, empfiehlt sich ein Gang in Halle A3, soll es mal eine richtig schicke Küche werden, ist man in Halle A2 gut aufgehoben, Stichwort exklusives Wohnen, und wer sich als Hausbesitzer schlau machen will, wie smarte Technik den Verbrauch senkt und Wohnkomfort steigert, der ist in B2 genau richtig.

Tische mit Geschichte wie bei "About Stein", wo das verwitterte Eichenholz einer Sennhütte oder das einer alten Weinpresse zu Tischen verarbeitet wird, sind nur eines von vielen Beispielen auf dieser Messe, die sich wohltuend abheben vom Einheitsbrei des blaugelben Möbelmonopolisten, dafür aber auch nicht ganz so günstig sind.

Mehr U-Bahnen

Zur "Heim und Handwerk" und zur gleichzeitig stattfindenden "Food & Life" verstärkt die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) am Wochenende zeitweise die U-Bahnlinie U 2. Am Samstag fährt zwischen Hauptbahnhof und Messestadt Ost von 8 bis 20 Uhr die U 8, sodass ein Fünf-Minuten-Takt zur Messe entsteht. Deshalb verlässt die U 8 ihren üblichen Linienweg und verkehrt zwischen Olympiazentrum beziehungsweise Hauptbahnhof, Innsbrucker Ring und Messestadt Ost. Der Abschnitt von und nach Neuperlach Zentrum wird von der U 8 nicht bedient. Am Sonntag fahren die Züge von 7 bis 9 Uhr alle zehn Minuten, von 9 bis 11 Uhr alle fünf Minuten. Zur Heimfahrt besteht von 15 bis 19 Uhr ein Fünf-Minuten-Takt. schub

"Natürliches Holz, Stein, Metall, Keramik oder Wolle: Das Material, die Beschaffenheit und die Haptik der Einrichtung und Accessoires spielen eine große Rolle für den Look und die Atmosphäre eines Raumes. Anfassen ist ausdrücklich erwünscht", sagt Madlen Bürge, Projektleiterin der Heim+Handwerk. Bei den hypermodernen Werkhaus-Küchen in Halle A2 etwa sind die Arbeitsplatten aus bayerischem Muschelkalk, nicht quadratisch, praktisch, gut, sondern unbearbeitet und roh, wie der Steinbruch sie hergegeben hat, nur die Oberfläche geglättet - ein Handschmeichler und Hingucker.

Der Spezialist aus Raubling hat außer markanten Materialmischungen (Stein und Stahl oder ein massiver Eichenstamm samt Borke neben Edelstahl) noch einige nette Gimmicks im Angebot, zum Beispiel den Plant Cube: ein vollautomatisierter, per Wlan von unterwegs steuerbarer Kräuter- und Gewächsschrank mit Bewässerung und sensorbasierter Klimakontrolle, mit dem man zu jeder Jahreszeit Pflanzen in der eigenen Hightech-Küche anbauen kann, wenn auch ohne Vitalstoffe. Dafür aber das ganze Jahre über Feldsalat, und das innerhalb einer Woche. Kostenpunkt: 2999 Euro.

Es geht natürlich auch ein paar Nummern kleiner. Nur wenige Schritte entfernt liegt die Themenfläche "Design.Start.ups" mit hippem, urbanem Design. Junge Firmen präsentieren hier kreative Lösungen für neues Wohnen. Die Leuchte Estelle von Vanory sorgt mit dreidimensionalen Lichteffekten für eine irre Tiefenwirkung und damit für Atmosphäre im Raum. Constantin Lindner formt Wanduhren und Tablets aus Holz, Süssholz fertigt Retro-Herzerlstühle in Wunschhöhe, und die ehemaligen Maschinenbau-Studenten von Floating Office sorgen mit ihrem an dünnen Seilen hängenden und per Knopfdruck in Sekunden unter der Decke verschwindendem Schreibtisch für Freiraum in kleinen Wohnungen.

Apropos klein: Wer von der Tiny-House-Bewegung gehört hat, aber noch nie in einem drin war, sollte in Halle A3 vorbeischauen. Das Mantra der Bewegung: Ballast abwerfen und das Glück auf kleinstem Raum finden. Schon erstaunlich, was man auf ein paar Quadratmetern alles unterbringen kann, in einem der Mini-Häusl sogar eine Badewanne. Das stylishe Modell Zinipi besteht komplett aus Zirbe, die Kollegen von Tiny House Tegernsee versprechen ein individuell gestaltetes Wohlfühlhaus, auf Wunsch mit Fußbodenheizung oder Holzofen. Mit Küche, Dusche, Kompostiertoilette und drei Schlafplätzen kostet ein 7,4 Meter langes, 2,5 Meter breites und vier Meter hohes mobiles Domizil ab 79 000 Euro, egal ob als Erstwohnsitz, Laube oder Alternative zum Campingwagen. Für Familien mit Kindern ist das eher nichts.

Die können sich am Stand von Afilii Inspirationen holen, Stichwort mitwachsendes Kinderzimmer: Basiskindermöbel, die dem Alter des Kindes entsprechend neu arrangiert und umfunktioniert werden können. Das Kinderbett von Fubu schafft einen eigenen kleinen Raum, per Gurt wird ein Mantel aus Wollfilz und Fliegersperrholz um das Bett gespannt: fertig ist der kuschelige Rückzugsort.

Kostet allerdings auch 1195 Euro. Als Besucher hat man für Rückzugsorte aber kaum Zeit, es wartet schließlich auch noch der Schreinerwettbewerb "Holz aus Bayern", in diesem Jahr mit dem Motto "Möbel mit Geschichte", verheißungsvolle Themenflächen wie "The Loft" und "Weihnachtszauber" oder das Forum "Energie. Intelligent. Genutzt." Und wer noch Zeit und Lust hat, kann zum Handlettering-Workshop schauen, zum Upcycling alter, aber lieb gewonnener Sitzmöbel durch die Raumausstatter im "Wohntheater", außerdem in Halle A1, wo noch Weihnachtsgeschenke warten: kunstvolle Vasen, kuschelige Plaids, Füllfederhalter aus edlen Hölzern, Unikate wie die Gewürzmühlen von Harris/Kohl, Tischdecken und Servietten aus Leinen von Jumis aus dem Baltikum, aufwendig handbedruckte Platzsets und Geschirrtücher und und und.

Und dann ist ja noch die Tischfrage zu klären: den "Güterzug" oder doch das Modell "Berlin", ein 200-Kilo-Trumm mit dem 300 Kilo schweren Fuß aus massivem Stahl, der wie die Spitze des Matterhorns aus der Tischplatte ragt. Wobei: 12 000 Euro sind schon viel Holz für das alte Holz.

Die Heim + Handwerk ist bis Sonntag, 1. Dezember, von 9.30 bis 18 Uhr geöffnet. Infos sowie vergünstigte Tickets (13 Euro) gibt es unter heim-handwerk.de. Mit dem Ticket kann auch die parallel stattfindende Messe Food & Life besucht werden.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2019/vewo
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