Maxvorstadt:"Schonungslose Gentrifizierung": Wenn selbst Baulücken satte Gewinne bringen

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2007 wurde das Doppelanwesen Türkenstraße 52/54 verkauft und später abgerissen - der Bodenrichtwert stieg seitdem um 370 Prozent. Doch die Stadt kann den Eigentümer derzeit nicht zum Bauen zwingen.

Von Thomas Kronewiter, Maxvorstadt

Auch wenn eine Neubebauung auf dem Areal des Doppelanwesens Türkenstraße 52/54 in der Maxvorstadt nun seit dem ersten Verkauf 2007 auf sich warten lässt, und die Bodenwertsteigerung in diesen 13 Jahren durch bloßen Verstreichen von Zeit immerhin 370 Prozent beträgt, sind der städtischen Verwaltung im Kampf gegen Spekulanten die Hände gebunden. Dies gesteht Stadtbaurätin Elisabeth Merk in einem zehnseitigen Antwortschreiben auf eine im März eingereichte Anfrage von Stadträtin Brigitte Wolf (Die Linke) ein. Das städtische Planungsreferat sieht nach einem erneuten Eigentümerwechsel im Jahr 2018 und angesichts eines komplexen Bauprojekts keine Chance, derzeit etwa die Bebauung per Baugebot anzuordnen. Und auch das Abschöpfen von Bodenwertsteigerungen zugunsten der Allgemeinheit, wie sie etwa in der Bayerischen Verfassung verankert ist, halten die Experten im konkreten Einzelfall "bei bestehenden Baurechten" für unmöglich.

Die Adresse Türkenstraße 52/54 ist weit über Münchens Grenzen hinaus als Beispiel für anhaltenden Streit zwischen Mietern und Investoren bekannt, im Spannungsfeld mitunter trügerischer Schutzmechanismen etwa durch Denkmalschutz oder Erhaltungssatzung. Eine "schonungslose Gentrifizierung" hat Brigitte Wolf anhand dieses Anwesens in ihrer Anfrage konstatiert. Vom ehemals lückenlos aneinander gebauten Ensemble mit Vorder- und Rückgebäuden steht nur noch das einzige vom Denkmalschutz gesicherte Vordergebäude an Nummer 54, etliche Mieter der Häuser mussten sich im Laufe der Jahre eine neue Bleibe suchen. Der Abbruch, so bestätigt nun die Stadtbaurätin, sei dennoch nicht zu verhindern und damit rechtmäßig gewesen - zumal das Anwesen nicht im Umgriff einer Erhaltungssatzung liegt.

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Kleine Läden, verwunschene Hinterhöfe, vertraute Gesichter: Das ist es, was Bewohnern an der Türkenstraße gefällt. Doch auch hier merkt man, wie sich die Stadt verändert.

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Die bisher letzte Baugenehmigung aus dem Jahr 2019 sieht ein Wohn- und Geschäftshaus mit Läden in der Erdgeschosszone vor. Da dies nach Art und Maß der Nutzung der prägenden Bebauung entlang der Türkenstraße entspreche, habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gehabt. Die neue Bauherrin will laut Merk die leer stehenden Einheiten im erhaltenen Vordergebäude während der Bauzeit nicht vermieten. "Andernfalls", heißt es, "würde man die potenziellen Mieter den Lärmbelastungen aussetzen, die von dem geplanten Neubau ausgehen".

Ewig lang soll sich das Projekt auch nicht mehr hinziehen. Das städtische Planungsreferat rechnet mit dem Abschluss der Arbeiten bis 2022/23. Wie es letztlich eigentumsrechtlich mit dem Vorderhaus an der Türkenstraße 54 weitergeht, ist noch nicht endgültig klar. Allerdings sei noch keine Abgeschlossenheitsbescheinigung beantragt, welche die Voraussetzung für eine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist.

Die Stadtbaurätin sieht bei den derzeit schmerzlich vermissten Instrumenten, etwa preiswerten geförderten Wohnraum und soziale Infrastruktur einfordern zu können, den Bundesgesetzgeber in der Pflicht. Zwar gebe es Beratungen zu einem "Baulandmobilisierungsgesetz", doch lösten auch sogenannte sektorale Bebauungspläne das Problem des fehlenden sozialen Wohnraums nur unzureichend. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) setze sich für umfassendere Regelungen ein, der Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens sei indes "zum jetzigen Zeitpunkt offen".

Die Initiativen der Stadt sieht Merk nicht zuletzt begründet in den enormen Bodenwertsteigerungen, wobei die grobe Schätzung des Bewertungsamts einen Bodenwert von 1470 Euro pro Quadratmeter Geschossfläche im Jahr 2007 und 6930 Euro im Jahr 2020 zugrunde legt. Gleichwohl geht man im Planungsreferat zunächst nicht davon aus, dass der neue Eigentümer sein Eigentumsrecht missbraucht. Man erwartet, dass dieser "nach einer durchaus als positiv zu bewertenden Überplanung unter Verzicht auf maximale Geschossfläche nun die Planungen umsetzen wird".

© SZ vom 27.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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