Lärm im Univiertel:Zorn in der Maxvorstadt

Party Türkenstraße

Nach dem Motto "ich bin da, weil die anderen da sind" hat sich im Univiertel, im Bild die Türkenstraße, eine Partyszene entwickelt.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Bürgerversammlung fordert wegen des nächtlichen Partybetriebs ein Verbot von Alkohol und Lautsprechern auf den Straßen des Univiertels. Aber die Schließung der dortigen Schanigärten lehnt die Mehrheit ab.

Von Julian Raff

Der anhaltende Ausnahmezustand beschert den Maxvorstädtern großen Ärger, aber auch ein kleines Privileg. Dem Ärger machten sie auf der Bürgerversammlung in Form drastischer Augen- und Ohrenzeugenberichte, Beschwerden und Anträge zum aktuellen Partybetrieb im Univiertel Luft. Das Privileg einer Bürgerversammlung im eigenen Stadtbezirk nutzten sie zahlreich, auch wenn die 156 Besucher, wegen des Abstandskonzepts über die 3000 Sitzplätze des Krone-Baus verteilt, etwas verloren wirkten.

Akustisch füllten die meisten Redebeiträge die Arena mit Leichtigkeit, vor allem die Anwohner der Türkenstraße, mit Brennpunkt am Georg-Elser-Platz, hatten vernehmlichen Zorn mitgebracht, über das Geschehen vor ihren Türen und Fenstern: "Urinierende Haufen von Leuten am Zaun", Zustände wie in der berüchtigten Schinkenstraße auf Mallorca oder "auf dem Oktoberfest - nur ohne Toiletten und Türsteher", ein "Verfall der Sitten" und Ähnliches hatten knapp zwei Drittel der 26 aktiven Versammlungsteilnehmer ans Mikrofon getrieben. Straßenreinigung und frühe Belieferung von Geschäften und Gastronomie ließen die Nachtruhe auf ein Zeitfenster von zwei bis vier Uhr früh schrumpfen - und auch das nur, wenn nicht wieder "irgendein Vollidiot" herumgröle, berichtete ein Anwohner. Das Lärm-Äquivalent eines startenden Jets, 107 Dezibel, hat ein Nachbar an der Ecke Schelling-/Amalienstraße gemessen, 87 Dezibel, der Gegenwert eines Güterzuges, seien es noch gegen ein Uhr nachts gewesen.

Stephan Funk, Leiter der Polizeiinspektion 12, hatte sich auf den Themenschwerpunkt eingestellt, war gleich mit vier Kollegen erschienen und widmete seinen Bericht fast komplett dem Problem, dessen "Intensität und Umfang" man nicht erwartet habe. Dass dennoch fast ausschließlich "Ordnungsstörungen" und kaum "Sicherheitsstörungen" registriert wurden, sei für die Anwohner natürlich ein schwacher Trost, räumte Funk ein. Ganze Straßenzüge dauerhaft zu sperren, oder gar "mit dem Gummiknüppel" zu räumen, sei "weder rechtlich, noch tatsächlich" machbar, erklärte der PI-Leiter.

Radikale Forderungen und Vorwürfe an die Beamten hatten sich allerdings auf die sozialen Medien beschränkt. Die Anwesenden bekundeten im Kontrast dazu Solidarität und Respekt für die Polizei, auch wenn sie dort in manch wilder Nacht vergeblich wegen mehr Präsenz angerufen hatten. Funk zufolge hat sich der Brennpunkt nicht durch Vertreibung vom Englischen Garten in die Türkenstraße verlagert, vielmehr hätten sich zwei unterschiedliche Szenen gebildet. Die eigentliche Ursache liege, nach dem Motto "ich bin da, weil die anderen da sind", in der Smartphone-gestützten "Schwarmintelligenz". Als Verstärker wirkten die Gastronomie und vor allem Lieferdienste, die Feiernde mit kühlem Bier zum Supermarktpreis versorgt hätten, zumindest vor dem Glasflaschen-Bann. Ein generelles Alkoholverbot für die Straßen des Univiertels bleibt die weitestgehende Forderung der Bürgerversammlung. Einen Antrag auf komplette Schließung der Schanigärten dort lehnten die Anwesenden dagegen mehrheitlich ab, während sie Bluetooth-Lautsprecher und andere Beschallungsgeräte gerne im gesamten Stadtbezirk nachts verboten sähen und für Freischankflächen eine Sperrstunde um 22 Uhr, allerspätestens um 23 Uhr fordern.

Lieferdienste verursachen im Viertel auch tagsüber Probleme: Per Video dokumentierte eine Anwohnerin Staus und Verkehrsgefährdung durch ein "Gorillas"-Auslieferungslager am Südende der Lothstraße. Linienbusse kommen nicht an den Lastern vorbei, Liefer-Radler machen sich auf den Gehsteigen breit. Die Versammlung forderte mit großer Mehrheit eine Zufahrt übers frühere Bruckmann-Grundstück an der Nymphenburger Straße. Auch sonst macht die beengte Innenstadt-Geografie den Bewohnern des St-Benno-Viertels zu schaffen. Der Forderung nach mehr Bäumen und Brunnen schlossen sie sich ebenso an wie der, die Erzgießereistraße als Fahrradstraße zu widmen, obwohl ein Vertreter des Mobilitätsreferates dies wegen der Enge dort für undurchführbar hält.

Am Rand der klassischen Verkehrs- und Planungsthemen blieb Zeit für Grundsätzliches: Ein kürzlich aus der Maxvorstadt weggezogener Münchner hatte, mit Sondergenehmigung des Bürger-Plenums, beantragt, die Stadtverwaltung möge künftig wieder "grammatikalisches und biologisches Geschlecht trennen", sich also Gendersternchen, Binnen-I und andere umstrittene Sprachregelungen verkneifen. Die Maxvorstädter und Maxvorstädterinnen lehnten dies mit großer Mehrheit ab.

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