Promi-Fotografin:Die ewige Mamarazza

Marianne Fürstin zu Sayn Wittgenstein vor ihren Fotos von Prinz Charles neben Eliette von Karajan und Carlos de Bestegu mit Vicomtesse Jaqueline de Ribes in der Galerie Kronsbein.

Marianne zu Sayn-Wittgenstein-Sayn wurde bekannt als Manni mit dem Fotoapparat, Caroline von Monaco nannte sie deshalb "Mamarazza".

(Foto: Florian Peljak)

Marianne zu Sayn-Wittgenstein-Sayn hat von Romy Schneider bis zu Luciano Pavarotti alle abgelichtet und dabei nicht immer nur dekadenten Jetset erlebt. Am Montag wird sie 100 Jahre alt. Was ist ihr Geheimnis?

Von Philipp Crone

Wie man Prinz Charles weinselig lächelnd ablichtet? Oder Margaret Thatcher mit dem Aga Khan in einem gemütlichen Gartengespräch? Genscher lachend am Telefon (mit Schnur), oder Sean Connery in Bodybuilder-Pose am Strand? Diese Frage, wie es Marianne zu Sayn-Wittgenstein-Sayn geschafft hat, quasi alle Prominenten der vergangenen Jahrzehnte in oft privaten Situationen zu fotografieren, ist gar nicht die drängendste Ende November bei der Vorstellung ihrer Werke in der Galerie Kronsbein. Auch nicht die nach dem Geheimnis ihres hohen Alters, am Montag wird Sayn-Wittgenstein-Sayn hundert. Beide Fragen kann sie beantworten. Aber warum diese urfröhliche Frau auf einmal so oft betrübt verstummt, nur noch mit "Keine Ahnung" antwortet, wo sie früher draufloserzählt hätte, das ist neu und irritierend. Um die letzte Frage klären zu können, muss man zunächst die beiden ersten beantworten.

Sayn-Wittgenstein-Sayn entstammt einer Adelsfamilie und hat in eine ebensolche hineingeheiratet. Ihre Eltern waren der Meinung, dass sie als älteste von neun Geschwistern schon früh im Schloss des Onkels in der Steiermark die Sommerferien verbringen konnte, wenn die jüngeren Geschwister noch von Gouvernanten bespaßt wurden. In der Zeit, also Ende der Zwanzigerjahre, beschäftigte sie sich mit den dort vorhandenen Fotoalben. Das Mädchen Marianne war fasziniert und wollte eine Kamera haben. Mit zehn bekam sie eine. Seitdem hat sie fotografiert, bis vor Kurzem.

Sayn-Wittgenstein-Sayns Sohn Peter sitzt in der Galerie hinter seiner Mutter. Die wurde von ihren Freunden später "Manni" gerufen, der Sohn sagt "Mami". Er ist Adlatus und Anekdotenarchivar. Wann immer der Mutter eine Geschichte nicht mehr genau einfällt, referiert der Sohn. Bis heute hat sie etwa 300 000 Bilder gemacht, beschriftet und katalogisiert. Vom ersten Bild an, "ein schiefes Familienbild an Ostern". Nach dem Abitur ging Sayn-Wittgenstein-Sayn in München an die Blocherer Kunstschule, studierte und lernte ihren späteren Mann Ludwig Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Sayn kennen, als der ein paar Tage auf Heimaturlaub war. Die beiden verlobten sich sofort. Als ihre Eltern davon erfuhren, "musste ich mich am gleichen Tag von der Kunstschule ab- und an der Kochschule anmelden". Ihr Mann richtete ihr im heruntergekommenen Schloss Sayn in der Nähe von Bonn einige Zimmer ein. Das erste Kind kam 1942 zur Welt. Die Familie durchlebte - wie so viele - eine harte Zeit während des Krieges; auf der Einladung zur Hochzeit stand, man möge die Lebensmittelkarte und 50 Gramm Fleisch mitbringen.

Sayn-Wittgenstein-Sayn nippt an diesem Novembermittag in der Galerie an der Maximilianstraße an einem Glas Weinschorle und hört ihrem Sohn zu, der sie immer wieder verbessert. Manches erinnert sie nicht mehr ganz genau und schaut dann während der Ergänzung ihres Sohnes auf die plakatgroßen Abzüge ihrer späteren Party-Fotos, mit grimmigen Falten über der Nase. Es scheint sie zu ärgern, dass ihr Gedächtnis sie im Stich lässt. Kein Wunder, sie weiß ja, wie gut sie erzählen kann. Etwa von der Brückensprengung des Schlosses.

Ein Wehrmachtssoldat habe da kurz vor Kriegsende noch auf der Brücke gestanden "und wollte die in die Luft sprengen, eine Minibrücke über einen Bach". Sie sei strategisch wichtig, hieß es. "Er sprengte die Brücke, durch die Explosion ist das Gebäude zerstört worden." Fünf Minuten später sei der erste amerikanische Panzer angerollt gekommen und habe den Soldaten erschossen. Da lag das Schloss in Trümmern, sämtliche Fenster zerstört, der Dachstuhl eingestürzt. Mühsam baute die junge Familie das Gebäude wieder auf.

Zunächst lebte die Familie davon, Totenkränze zu verkaufen. Zur Kartoffelernte 1948 fotografierte Sayn-Wittgenstein-Sayn erstmals wieder. Die Karriere der Fotografin startete dann mit den alten Adelsverbindungen. Freunde der in Salzburg geborenen Sayn-Wittgenstein-Sayn waren österreichische Diplomaten in Bonn. Da ist das Ehepaar Sayn-Wittgenstein-Sayn dann mit dem dreirädrigen Lieferwagen hingefahren. Sie hatte sich das Abendkleid aus Vorhängen genäht und traf dann mit ihrer fröhlich mädchenhaften Art auf die Gesellschaft, die sie seit nun fast hundert Jahren pflegt.

Sayn-Wittgenstein-Sayns Stimme springt gern hoch, wenn sie etwa in der Galerie ruft: "Huch, ich falle!" Stimmt natürlich nicht, sie sitzt sicher in einem Sessel, aber das ist es, das neckisch Mädchenhafte. Und bei den Botschafterempfängen ging es dann los. Sie hatte ja immer ihren Fotoapparat dabei, und ihren Namen. "Der Adel fühlt sich untereinander immer verwandt", hat sie mal im Interview mit der SZ gesagt. Der Name, der Apparat und die unbeschwerte Art des Daraufzugehens ebneten den Weg. Und dass sie den fotografierten Menschen immer einen Abzug zuschickte. "Die haben die Bilder gemocht, ich habe scheinbar gute gemacht", sagt sie in der Galerie. Also wurde die Fotografin weiter eingeladen, mal zur Jagd beim Adel, mal zur Politik, bald zu allem. Denn klar war auch: Die Bilder wurden nicht veröffentlicht, erst deutlich später in einigen Bildbänden.

"Ich danke Gott jeden Morgen, dass er mir diesen Tag schenkt"

Sayn-Wittgenstein-Sayn wurde bekannt als Manni mit dem Fotoapparat, Caroline von Monaco nannte sie "Mamarazza", die Mama als Paparazzo. Später lud sie selbst ein. Auf ihr Anwesen in Fuschl während der Salzburger Festspiele. Und sie beherzigte die wichtigste Exklusiv-Regel: kleiner Kreis. Bald wollten alle hin. So entstanden Bilder von Sean Connery und Margaret Thatcher, die im Garten von Fuschl ratschen, daneben Dirigent James Levine mit Regisseur Johannes Schaaf ("Momo").

Für Sayn-Wittgenstein-Sayn lächelte Audrey Hepburn 1973 ganz herzlich unter ihrem roséfarbenen Hut, Elton John schaute erstaunt in New York. Leonard Bernstein, "ach, der Lenny", ein München-Liebhaber, feierte seinen Geburtstag 1987 in Fuschl und schaute grimmig über seine Schokoladentorte. Maria Callas hatte 1966 beim Schnorcheln vor der Insel Skorpios einen weißen Pudel auf der Schulter, Placido Domingo 1990 in Salzburg Helmut Fischer an seiner Seite. Der einzige, der wirklich posierte, war Salvador Dalì, 1978 unter einer Treppe an der Costa Brava. Die junge Uschi Glas schmachtete Curd Jürgens an, Designer Valentino mit einem Mops auf dem Schoss in New York 1991 und Prinz Charles 2003 rangen um das bierseligste Gesicht. Bis vor einigen Jahren war sie auch in München regelmäßig auf Feiern zu Gast. Ob ihre eigene Ausstellungseröffnung in der Galerie Bernheimer oder eine traditionelle München-Einladung wie das Fischessen im Franziskaner am Aschermittwoch.

Sayn-Wittgenstein-Sayn hat den dekadentesten Jetset erlebt und großen Erfolg, ihre Bildbände sind zum Teil vergriffen und nur noch für 2500 Dollar in den USA zu kriegen, aber auch Armut und Hunger, gegen den manchmal nur Mohnnudeln halfen, die grässlich schmeckten. Und sie hat ihren Mann verloren, als sie 42 war, 1962 bei einem Autounfall. Sayn-Wittgenstein-Sayn war von da an alleine mit den fünf Kindern. Sämtliche Lebensausschläge nach oben oder unten haben diese Frau nicht beeindruckt. Sie fotografierte weiter, lud nach Fuschl ein, bis vor fünf Jahren.

Wenn man sie mit ihrem Rollator und fast 100 Jahren durch die Galerie gehen sieht, ein glockenhohes "Hallo!" auf den Lippen, dann kann man ihr den Satz wohl glauben, den sie schon vor Jahren sagte: "Ich danke Gott jeden Morgen, dass er mir diesen Tag schenkt." Was vielleicht die zweite Frage beantwortet, wie man so alt wird. Es hilft sicher, grundfröhlich und zuversichtlich zu sein.

Marianne zu Sayn-Wittgenstein-Sayn hat ihr Leben lang kommuniziert. Als Kind mit neun jüngeren Geschwistern, als junge Frau im großen München, als Ehefrau im Totenkranzgeschäft, als Gesellschaftsdame mit Adel und anderen Außergewöhnlichen. Ihre Bilder sind auch deshalb so gelungen, weil man den Menschen darauf die Wärme ansieht, die sie der Fotografin entgegenbringen. Sie erzählt gerne den Satz ihres Freundes Gunter Sachs: "Die Manni hat keine Ahnung vom Fotografieren, aber immer im richtigen Moment draufgedrückt." Den richtigen Moment muss man spüren. Indem man zuhört, gut beobachtet, wartet, aufmerksam ist.

Nun wird Sayn-Wittgenstein-Sayn am Montag 100 Jahre alt. Sie trägt eine Lupe um den Hals und sagt mit ihrer hohen Mädchenstimme: "Ich bin total blind!" Stimmt nicht, sie erkennt ihre Bilder schon noch. Das Gedächtnis lässt nach. Außerdem hört sie schlecht. Auf Fragen sagt sie so oft "Keine Ahnung", weil sie die Frage auch beim zweiten Mal nicht hört. Es muss schrecklich sein für jemanden, der so viel kommuniziert hat, als Gastgeberin, Gesellschaftsdame oder einfach nur Grand Dame mit Grandezza. Wahrscheinlich leidet ihre Laune unter den nachlassenden Sinnen.

Aber am Ende des Gesprächs in der Galerie, auf die Frage, wie es ihr geht, da kommt in einem Satz noch einmal das zum Vorschein, wofür sie all ihre schillernden und nicht so schillernden Gäste und Wegbegleiter so gemocht haben und mögen. Diese Grundfröhlichkeit und Zuversicht. Die Aura der Positivistin, sie ist noch da. Sayn-Wittgenstein-Sayn sagt: "Danke, lieber Gott, es tut mir nichts weh."

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