München Marathon:Solange die Füße tragen

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Dauerläuferin mit Mission: Sigrid Eichner, 78, jubelt nach dem Zieleinlauf im Münchner Olympiapark mit der Flagge Tibets. (Foto: Tibet Initiative Deutschland / oh)

Sigrid Eichner will auch nach ihrem 2125. Marathon weitermachen. Die 78-Jährige ist auf einer Mission.

Von Nico Horn, München

Als Andreas Straßner, der Gewinner des München Marathons, sich im Ziel längst feiern ließ, war Sigrid Eichner noch irgendwo auf der Strecke. Vermutlich lief sie gerade durch Bogenhausen und kämpfte mit sich und ihrem Körper. Eichner hatte da noch mehr als die Hälfte der Distanz vor sich. Und trotzdem wird Straßner nicht mehr erreichen, was Sigrid Eichner bislang geschafft hat. Mehr als 1300 Marathons hat die 78-Jährige absolviert, nimmt man die noch längeren Ultraläufe hinzu, hat Eichner schon mehr als 2125 Mal (mindestens) die 42,195 Kilometer gemeistert. Manche würden das als verrückt bezeichnen - Eichner nicht: "Ohne das Laufen wäre das Leben doch langweilig", sagt die 78-Jährige.

"Früher bin ich mehr gelaufen, jetzt nur noch einen Marathon pro Wochenende", sagt sie; früher seien es schon mal 120 im Jahr gewesen. Für Normalsterbliche sind solche Dimensionen unvorstellbar. Viele haben das Ziel, einmal im Leben einen Marathon zu laufen, das reicht dann aber auch wieder. In Deutschland lässt sich dagegen kaum eine Region finden, durch die Eichner noch nicht gerannt ist. Wohl niemand hat die Entwicklung zur Ausdauersport-Nation so aktiv miterlebt wie sie. Die Frau mit den weltweit meisten Marathon- und Ultraläufen findet aber auch, dass mit dem Hype ums Laufen mittlerweile ein großes Geschäft betrieben wird: "Viele Sportartikelhersteller suggerieren ja, dass ihre Schuhe von ganz alleine laufen." Tun sie natürlich nicht, wie Eichner aus tausendfacher Erfahrung weiß.

Die gebürtige Dresdnerin hat ein Bewusstsein für die politischen Verhältnisse weltweit. Ihre Rennen sind eine Art Friedensmission. "Jeder Lauf ist auch ein Lauf unter Freunden", sagt sie. Bei jedem Marathon macht Eichner zudem auf die Situation Tibets aufmerksam. Der völkerrechtliche Status des von China annektierten Gebiets ist umstritten, Aktivisten weisen immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen hin. Eichner ist Teil der "Tibet Initiative Deutschland". Die Gruppe hatte vor einem Jahr von sich reden gemacht, als die chinesische U-20-Fußballmannschaft nach Protesten der Tibeter ein Regionalligaspiel abbrach. Es ist ein Beispiel, das Eichner recht gibt, wenn sie sagt, ihr Protest könne Aufmerksamkeit erzeugen.

Wie immer, lief Eichner also auch in München mit der tibetischen Fahne ins Ziel. Ab Kilometer 32 hatte sie Schmerzen in der Achillessehne und musste das Tempo drosseln. Sie erreichte dennoch in beeindruckenden 5:31 Stunden das Ziel. Der Lauf habe ihr gefallen, sagte sie. Nur zu viele Halbmarathonläufer seien auf der Strecke gewesen, eigentlich müsse die Veranstaltung demnach "Halbmarathon München" heißen, scherzte sie. Ans Aufhören denkt Eichner nicht. Als politische Aktivistin hat sie zudem einen Tipp für die Staatsoberhäupter dieser Welt: "Die sollten mal gemeinsam einen Marathon laufen, damit sie lernen, sich zu helfen statt zu bekriegen." Sie selbst will laufen, "solange mich die Füße tragen."

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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