Süddeutsche Zeitung

München Marathon:Schritt für Schritt in die Normalität

Erstmals seit zwei Jahren findet mit dem München Marathon wieder ein großes Lauf-Ereignis statt. Für die rund 10 000 Sportler wird es an manchen Stellen aber ziemlich eng. Zeit und Platzierung sind aber gar nicht so wichtig - an diesem Sonntag geht es um mehr.

Von Christoph Leischwitz

Schon bewundernswert, wenn sich eine Dreiergruppe Halbmarathonläufer bei Kilometer 13 noch ganz entspannt darüber unterhalten kann, dass sie als Kind bei den Bundesjugendspielen immer nur Siegerurkunden gewonnen hätten. Selbst hat man als Läufer zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genug Puste, um zu überholen, geschweige denn während des Rennens zu reden. Aber Zeit und Platzierung sind auch gar nicht so wichtig, an diesem Sonntagvormittag geht es darum, endlich wieder diesen Sportlerblick auf die Stadt zu haben, bleibende Momente zu erleben. Ohne Maske fremden Leuten zuzulachen, jubelnde und feiernde Menschen zu sehen, im Olympiastadion, am Siegestor.

"Mei, so ein herrlicher Tag", sagt ein Mann zu einer blonden Läuferin, als er sie gerade überholt. Die junge Dame nickt verdutzt, aber er hat ja Recht! Am Start des 35. München Marathons ist es noch ein bisschen frisch im Olympiastadion, das diesmal Start und Ziel zugleich ist. Doch dafür ist das Ambiente für Selfies und Gruppenfotos mit Olympiaturm und blauem Himmel atemberaubend. Man fragte sich ohnehin vorab, ob alles nicht noch ein bisschen besonderer ist als sonst in diesem Jahr. Immerhin ist es der erste große Lauf in München seit zwei Jahren.

In der Früh wird in der Parkharfe schnell klar, dass einige von weiter her angereist sind, um hier dabei sein zu können. Die Autos kommen aus ganz Süddeutschland, vereinzelt aus der Schweiz und Österreich. Für viele Läufer ist der diesjährige München Marathon ein bisschen das, was für die Nachtschwärmer die Club-Eröffnung eine Woche zuvor war: ein Schritt zurück in die Normalität. Oder besser gesagt: ungefähr 21 000 oder 42 000 Schritte.

Die Kulisse dafür ist ganz unterschiedlich: kreischend und mit Bässen dröhnend an der Leopoldstraße, fast schon meditativ im Englischen Garten, auf den Kilometern hin zum Aumeister, wenn man nur das dumpfe Fußgetrappel der anderen hört.

Bei einem der Blockstarts - die Läufer konnten sich selbst nach geschätzter Laufzeit einteilen - klatschen einmal auf der Tartanbahn mehrere Hundert Startbereite zusammen auf "I'm gonna be (500 miles)" von den Proclaimers. Mit den Händen über den Köpfen, das sieht kurz aus wie bei einem Rock-Konzert. Ansonsten ist die Stimmung aber dann auch nicht euphorischer als früher, es geht herrlich normal zu. Die Veranstalter waren ein bisschen stolz, dass sie eine fünfstellige Teilnehmerzahl erreicht hatten, für alle Läufe zusammengenommen. Allerdings waren es beim letzten Marathon 2019 noch rund 10 000 mehr gewesen. Damals hatte es geheißen, der München Marathon soll den Lokalkolorit behalten, aber auch eine sportliche Aufwertung erfahren, mit jeweils mindestens fünf Läuferinnen und Läufern aus den Top 300 der Welt. Corona hat den Marathon ausgebremst, aber zumindest wurde wieder um die deutsche Meisterschaft gekämpft.

Offiziell gibt es nur einige Zuschauerinseln, für die man sich anmelden muss

An manchen Stellen geht es beim Laufen am Sonntag dann arg eng zu, immer wieder abbremsen, beschleunigen, Lücken suchen. Die Streckenführung ist wohl auch dem Hygienekonzept geschuldet. Vergleichsweise sehr spät war erst klar gewesen, dass der Lauf überhaupt stattfinden kann, es war lange verhandelt worden zwischen Stadt und Veranstalter. Und so gab es zumindest offiziell nur einige Zuschauerinseln, für die man sich anmelden musste, und selbst im Freien herrschte oft Maskenpflicht, etwa beim Abholen der Startnummern am Freitag und Samstag im Stadion, ebenso bis unmittelbar vor dem Start im Stadion.

Bei aller Anstrengung ist beim Marathon an der Strecke aber auch Platz für Klamauk. Zwischen Leopoldstraße und Englischem Garten taucht ein junger Mann auf, der in einem roten Gewand und mit Österreich-Schärpe staatsmännisch die anfeuernden Zuschauer grüßt. Bei Kilometer dreizehn dann ein älterer Herr im Babykostüm und mit Schnuller, gerade wenn die Beine einem erstmals sagen: Es ist langsam Zeit fürs Bett.

Kurz hinter dem roten 14-Kilometer-Schild dann wilde Pfiffe von hinten, Fahrräder zischen vorbei: Der erste Marathonläufer überrundet die Gruppe, ein paar Minuten später wird die Nummer 132 Deutscher Meister sein. An der Stelle, an der Alexander Hirschhäuser vorbeizieht, ist es besonders eng. Weil sich Marathon- und Halbmarathonläufer die Strecke teilen, treffen die besonders Ehrgeizigen an manchen Stellen auf die besonders Erschöpften. Vor allem auf dem vorletzten Kilometer, auf der Ackermannstraße, fällt es den Marathonläufern mit einer ungefähren Laufzeit von 2:30 Stunden schwer, die Halbmarathonläufer zu überholen, sie müssen teilweise sogar in den Gegenverkehr ausweichen. Aber so hat man wenigstens eine Ausrede, wenn man seine angepeilte Wunschzeit nicht erreicht.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2021/mo
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