Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Münchner Seiten:Hofmaler der Reichen und Armen

Johann Georg Edlinger war um das Jahr 1800 einer der gefragtesten Porträtisten in München. Für eine "Galerie merkwürdiger Bayern" schuf er auch Bilder von Handwerkern, Tagelöhnern und Bettlern.

Von Wolfgang Görl

Aber hallo, denkt man, den Typen hab ich doch schon mal gesehen. Und die Frau da, die kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Die sind einem alle schon mal über den Weg gelaufen. Doch nein, das kann ja nicht sein. Zwischen diesen Menschen, die, in Öl gemalt, aus dem Bilderrahmen blicken und den Münchnern des Coronajahres 2021 liegen mehr als zwei Jahrhunderte. Und richtig, bei genauem Hinsehen bemerkt man die nach unserem Maßstäben doch recht antiquierte Kleidung und die mitunter sonderbaren Frisuren.

Aber die Gesichter: Sehen die nicht aus wie die Menschen heute? Ja, das tun sie, wenngleich die Züge der Porträtierten vielleicht etwas markanter sind und eine mitunter knorrige Originalität ausstrahlen. Es ist als wären sie, anders als die hippen Stadtmenschen der Gegenwart, nicht sonderlich daran interessiert, anderen zu gefallen. Wie auch immer: Verdammt lebendig wirken sie, so als ob jeden Moment damit zu rechnen sei, dass einer der auf die Leinwand gepinselten Charakterköpfe dem Betrachter kurz mal zublinzelte.

Porträtiert hat diese Menschen der Maler Johann Georg Edlinger. Der aus der Steiermark stammende Künstler ist um 1770 nach München gekommen, und er sollte, so schreibt die Historikerin Brigitte Huber, "schon bald zu einem gefragten Porträtisten werden, der wegen der physiognomischen Präzision seiner Bilder zu Lebzeiten einen hervorragenden Ruf weit über München hinaus genoss und auch aus heutiger Sicht den Vergleich mit den großen Porträtmalern seiner Zeit nicht zu scheuen braucht". Mehr als 300 Porträts hat Edlinger gemalt, und diese Gesichter, so Thomas Weidner, der Sammlungsdirektor des Stadtmuseums, "bewahren sozusagen die Erzphysiognomie Münchens".

Edlinger hat nicht nur die Aristokratie gemalt, sondern auch Bürger, Geistliche und Bettler

Weidners Befund steht im Vorwort des soeben erschienenen Buchs "Johann Georg Edlinger - Porträts ohne Schmeichelei", das Brigitte Huber geschrieben hat. Die Historikerin, die im Stadtarchiv arbeitet, beschäftigt sich seit Jahren mit Edlinger, und das dabei erworbene Wissen, aber auch ihr Gespür für die Besonderheit dieses Künstlers prägen das Buch in herausragender Weise. Neben einer ausführlichen Biografie Edlingers sowie Erläuterungen zur soziokulturellen und politischen Situation Münchens um 1800 bietet Huber Kurzbiografien jener Menschen, die der Meister porträtiert hat. Diese Lebenswege zu rekonstruieren, muss eine Heidenarbeit gewesen sein, denn Edlinger hat nicht nur die Spitzen der Aristokratie gemalt, sondern auch Bürger, Geistliche, Handwerker, arme Leute und Bettler, mithin Menschen, die schwer zu findende oder gar keine Spuren hinterlassen haben.

Liest man diese Biografien, dann entsteht das Bild einer komplexen Lebenswelt, in der Erfolg und Untergang oft nahe beieinander lagen. Gewissermaßen erzählt Huber Geschichte mittels kleiner Geschichten. Ist das schon verdienstvoll, so ist es die Präsentation des Edlinger'schen Werks erst recht. Seine Porträts liefern ein realistisches, ungeschöntes Abbild der Münchner Einwohnerschaft dieser Epoche. So ist das Buch wie eine Galerie, die nicht nur für Kunstliebhaber interessant ist. Wer darin blättert, kann sich ohne viel Mühe der Illusion hingeben, Personen aus allen Schichten des damaligen Münchens zu Gast zu haben.

Edlinger, geboren 1741 in Graz, studierte Malerei an der Wiener Akademie, ehe er nach München übersiedelte, wo er rasch Fuß fasste und eine Familie gründete. Seine Anfangszeit fiel mit den letzten Jahren der Regentschaft des beliebten Kurfürsten Maximilian III. Joseph zusammen, eines Herrschers, der Wissenschaften und Künste förderte. Nach dessen Tod Ende 1777 trat der Pfälzer Kurfürst Karl Theodor die Nachfolge an, der eher unwillig von Mannheim nach München wechselte. Er brachte seinen 2500 Personen umfassenden Hofstaat mit an die Isar, und offenbar kam Edlinger mit den Mannheimern gut zurecht. Jedenfalls erhielt er den Auftrag, die Kurfürstin Elisabeth Auguste zu malen, deren Ehe mit Karl Theodor allerdings zerrüttet war und die sich deshalb nur selten in München blicken ließ. Edlinger schuf ein großformatiges Standesporträt, das die Fürstin in traditioneller Weise in prachtvoller Garderobe auf einem vergoldeten Sessel zeigt. Unübersehbar thront hier eine Dame von höchstem Rang. Das Bild gefiel so gut, dass man Edlinger zum Hofmaler ernannte.

Der Hofmaler-Titel brachte dem Meister aus Graz lukrative Aufträge des Adels ein, aber auch Künstlerkollegen und das bessere Bürgertum wollten sich von ihm porträtieren lassen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass er wie viele Maler seiner Zeit Abschied genommen hatte von der traditionellen Porträtkunst, in welcher der Dargestellte idealisiert und mitunter glorifiziert wurde. Im Zuge der Aufklärung sollte die Kunst nunmehr der "Wahrheit" dienen. Edlinger, schreibt Brigitte Huber, schien jede Idealisierung zuwider gewesen zu sein; stattdessen konzentrierte er sich auf das Gesicht der Darzustellenden, so wie es tatsächlich aussah. "Ihn interessierte deren Physiognomie, die er häufig mit geradezu provokantem Realismus wiedergab." Damit vergraulte er auch manchen Kunden. Der Geistliche Johann Michael Sailer etwa beklagte sich, dass Edlinger ihn älter gemalt habe, als er tatsächlich sei. Somit ist es kein Wunder, dass der Künstler mangels gut dotierter Aufträge vor allem in seinen späten Jahren stetig von Geldsorgen geplagt war.

Dass es heute Porträts von armen oder alten Münchnern aus der Zeit um 1800 gibt, haben wir Edlinger zu verdanken

Angesichts dessen war es ein Segen, dass Edlinger mit dem Buchhändler und Verleger Johann Baptist Strobl zusammenkam. Strobl war ein Freund der Aufklärung und der Französischen Revolution, zudem war er leidenschaftlicher Kunstsammler, der in seinem Geschäft in der Kaufingerstraße eine für jedermann zugängliche Bildergalerie einrichtete. In dieser Galerie waberte sozusagen der Geist der Französischen Revolution, denn Strobl präsentierte nicht nur Porträts hochgestellter Persönlichkeiten, sondern auch Menschen aus den unteren Schichten. Dafür war Edlinger genau der Richtige. Der Hofmaler lieferte zahllose Abbilder der "kleinen Leute", seien es Handwerker, Tagelöhner oder Mittellose aus dem von Graf Rumford gegründeten Armeninstitut. Edlingers Porträts dienten überdies als Vorlage für eine Sammlung von Kupferstichen, die Strobl unter dem Titel "Galerie merkwürdiger Bayern" unter die Leute bringen wollte. Das Projekt kam über einige vielversprechende Ansätze jedoch nicht hinaus.

Nicht zuletzt diesem Vorhaben verdanken wir, dass es heute Porträts von armen oder alten Münchnern aus der Zeit um 1800 gibt. Überhaupt war die damalige Stadtgesellschaft alles andere als homogen. Von den etwa 38000 Einwohnern besaßen nur 1500 das städtische Bürgerrecht, daneben gab es die große Gruppe der Hofbediensteten, den Klerus, das Militär und die ebenfalls beträchtliche Schar der Tagelöhner und Bettler. Es war das Zeitalter der Revolution und der Koalitionskriege, das aufklärerische und republikanische Denken fand auch in München Anklang. Es fällt auf, dass viele der Männer, die Edlinger porträtierte, von der Aufklärung und der Französischen Revolution geprägt waren. Manche waren Freimaurer oder gehörten dem Illuminatenorden an. Man kann deshalb konstatieren, resümiert Huber, "dass Edlinger sowohl die modern denkende geistige Elite als auch die als Zielgruppe der angestrebten Veränderungen betroffenen Menschen malte". Mithin ist dieses großartige Buch nicht nur ein kunstgeschichtliches Werk, sondern ebenso ein Beitrag zur Sozial-, Geistes- und Regionalgeschichte.

Brigitte Huber: Johann Georg Edlinger - Porträts ohne Schmeicheleien. Hg. Historischer Verein von Oberbayern, Münchner Stadtmuseum, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München. Hirmer Verlag, 192 Seiten mit 280 Abbildungen in Farbe; 39,90 Euro.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2021
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