Kriminalität:Die Artefakte der Mafia

Valley of the Temples Agrigento UNESCO World Heritage Site Sicily Italy Europe PUBLICATIONxINxG

Auch von der Weltkulturerbestätte Agrigent sollen Kunstschätze illegal ausgegraben und mit gefälschten Zertifikaten auf den Kunstmarkt gebracht worden sein.

(Foto: imago/robertharding)
  • Im Rahmen der Anti-Mafia-Operation "Demeter" sind nun auch zwei Münchner Auktionshäuser ins Visier der Ermittler geraten.
  • Hintergrund der Operation sind illegale Geschäfte mit Ausgrabungen bei Caltanissetta und an der Weltkulturerbestätte Agrigent.
  • Nach Angaben italienischer Ermittler wurden antike Vasen, Keramiken, Münzen und Statuetten heimlich nach Deutschland gebracht, mit fiktiven Herkunftsnachweisen versehen und auf den legalen Kunstmarkt gebracht.

Von Martin Bernstein

Es handelt sich um antike Kunstschätze von größtem kulturellen und wissenschaftlichen Wert. Sizilianische Kriminelle haben sie unter anderem an der Weltkulturerbestätte Agrigent illegal ausgegraben und dann mit gefälschten Zertifikaten in den Kunsthandel eingespeist - via München. Gegen zwei Münchner Auktionshäuser wurden deshalb Ermittlungen eingeleitet. Das geht aus dem jüngsten Anti-Mafia-Bericht hervor, den das italienische Innenministerium in halbjährlichem Abstand dem Parlament in Rom vorlegt. Die Staatsanwaltschaft München I will "aus ermittlungstaktischen Gründen und aus Gründen der internationalen Zuständigkeit" keine nähere Auskunft geben.

Die Ermittlungen in München basieren auf einem italienischen Rechtshilfeersuchen im Rahmen der "operazione Demetra", der Anti-Mafia-Operation Demeter. Nach Angaben der zuständigen Direzione Investigativa Antimafia (DIA) schlugen die Beamten des Kulturerbeschutzkommandos bereits am 4. Juli vergangenen Jahres zu. Zunächst hatte es laut italienischem Kulturgüterministerium so ausgesehen, als sei man einer nur in Italien operierenden Gruppe auf der Spur, die schon seit Jahrzehnten archäologische Ausgrabungsstätten bei Caltanissetta und Agrigent plünderte und die Funde an wohlhabende Sammler in Norditalien verkaufte, die sich der illegalen Herkunft der Waren bewusst gewesen seien. Seit 2014 war die Spezialeinheit hinter der Bande her.

Doch nach und nach wurde die internationale Dimension des Falles deutlich. Eine von London aus gesteuerte kriminelle Holding habe "dank eines komplexen logistisch-operativen Netzwerks zwischen Italien, Spanien und Deutschland ... beträchtliche Mengen des archäologischen Erbes Siziliens" außer Landes geschafft. Die Rede ist von mehr als 20 000 archäologischen Objekten mit einem Marktwert von mehr als 40 Millionen Euro.

Kuriere brachten die antiken Vasen, Keramiken, Münzen und Statuetten heimlich nach Deutschland, dort wurden sie nach offiziellen italienischen Angaben durch fiktive Herkunftsnachweise "gewaschen" und auf den legalen Kunstmarkt gebracht. Und zwar, so der Vorwurf der Ermittler, durch in München tätige Auktionshäuser. Um die Gewinne weiter zu steigern, gehörten zu der in der sizilianischen Provinz Caltanissetta beheimateten Mafia-Bande auch Fälscher mit eigenen Werkstätten bei Catania und Riesi. Das heißt: Offenbar gelangten so nicht nur illegal ausgebuddelte, sondern auch nachgemachte Antiken in den Kunsthandel.

Neben zahlreichen Haftbefehlen und Hausarresten, die auf Sizilien vollstreckt wurden, ließen die italienischen Behörden auch drei Personen mit Europäischem Haftbefehl festnehmen, darunter einen im baden-württembergischen Ehingen lebenden Sizilianer. Dort wurden im Rahmen eines Europäischen Ermittlungsbefehls 30 000 Euro in bar sichergestellt. Koordiniert wurde die Aktion von den EU-Sicherheitsbehörden Europol und Eurojust. Die Ermittler, so das italienische Kulturministerium weiter, hätten zahlreiche archäologische Funde sichergestellt, unter anderem römische Silbermünzen, die einer der Festgenommenen noch in der Tasche hatte. "In zwei großen Münchner Auktionshäusern" seien Untersuchungen angelaufen, so das Kulturgüterministerium über die Aktion vor einem Jahr.

München, ein Hotspot für den Kunsthandel

Das Tal der Tempel von Agrigent gehört seit mehr als zwanzig Jahren zum Weltkulturerbe. Das Ensemble von rund einem Dutzend griechischer Tempel gilt laut Unesco als "eines der herausragendsten Denkmäler für die griechische Kunst und Kultur". Die Anti-Mafia-Aktion, an der Hunderte Ermittler in Italien, Deutschland, England und Spanien beteiligt waren, ist nach dem 2500 Jahre alten Tempel der Erdgöttin Demeter benannt.

Ermittlungen im Antikenhandel sind für die Münchner Staatsanwaltschaft nicht neu. Auch in eigener Regie führe man "immer wieder Verfahren gegen verschiedene Auktionshäuser als Betroffene", bestätigt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Es gebe zahlreiche weitere Fälle, denn es handle sich um ein weit verbreitetes Phänomen. Überdies sei München mit seinen zahlungskräftigen Kunden und seinen zahlreichen Auktionshäusern "deutschlandweit ein Hotspot für den Kunsthandel". Eine einzige bemalte griechische Vase mit Herkunftsnachweis kann in München schon mal bis zu 25 000 Euro einbringen. Die Abgrenzung zwischen legalem und illegalem Kunsthandel ist für die Strafverfolgungsbehörden nach Leidings Angaben "sehr schwierig". Es gebe einen großen Graubereich und oft widersprüchliche Expertenmeinungen.

Sizilien ist nach Angaben aus dem italienischen Kulturgüterministerium "Gegenstand einer unaufhörlichen und intensiven Plünderung von Funden, die für den Schwarzmarkt bestimmt sind". Die internationale justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit in der Operation Demeter habe es ermöglicht, "die gesamte Handelskette auch über die nationalen Grenzen hinaus zu rekonstruieren". Die Plünderung des kulturellen Erbes und der Antikenschmuggel sind neben dem Rauschgifthandel eine der Haupteinnahmequellen der Mafia in Deutschland.

"Die Mafia ist überall dort, wo es Geld zu verdienen gibt", sagt Sandro Mattioli, der Vorsitzende des auch in München aktiven Vereins "Mafia? Nein, danke!". Und es geht um viel Geld. Das Polizeipräsidium München führte im vergangenen Jahr insgesamt 16 Verfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK). Durch die dabei erfassten Straftaten entstand ein dokumentierter Schaden in Höhe von knapp vier Millionen Euro. Bayernweit rechnet der Verfassungsschutz derzeit mehr als 130 Personen den vier großen italienischen Mafia-Syndikaten zu.

Neben der Operation Demeter gab es vergangenes Jahr zwei weitere Anti-Mafia-Razzien in München, die ebenfalls im aktuellen italienischen DIA-Bericht Erwähnung finden. Beide Aktionen richteten sich gegen die 'Ndrangheta. Der kalabrische Clan Pelle-Vottari stand im Dezember im Mittelpunkt der bislang größten europäisch koordinierten Durchsuchungs- und Festnahmeaktion. Eine Pizzeria und zwei Wohnungen wurden in Riem und Daglfing durchsucht. Festnahmen gab es in München nicht.

Anders im Januar 2018: Da wurde ein 48 Jahre alter, mutmaßlicher Mafia-Logistiker verhaftet und an Italien ausgeliefert. Die Aktion lief unter dem Codenamen "Styx" - der antike Fluss der Unterwelt, dessen schlammiges Wasser ins Jenseits führt. Auch der Gallico-Clan aus Reggio Calabria verlor vergangenes Jahr in München ein aktives Bandenmitglied: Der wegen Erpressung gesuchte Vincenzo M., 29, wurde im Februar am Flughafen festgenommen, nachdem er vier Monate zuvor in Italien untergetaucht war und München offensichtlich als "Rückzugsraum" genutzt hatte.

Doch die Münchner Staatsanwaltschaft kennt neben der Mafia noch andere Nutznießer des illegalen Handels mit antiken Funden - und weitere wichtige Gründe, um diesen zu unterbinden. Denn, so Oberstaatsanwältin Anne Leiding: "Mit Sorge erkennen wir insbesondere Bezüge zur Terrorfinanzierung in Syrien."

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