Rotes Meer:Dieses Gastro-Abenteuer lohnt sich

Rotes Meer: Jedes Bällchen, jede Sauce scheint ihre eigene Farbe zu haben. Ein Abendessen im größeren Kreis wird zu einer prächtig bunten Angelegenheit.

Jedes Bällchen, jede Sauce scheint ihre eigene Farbe zu haben. Ein Abendessen im größeren Kreis wird zu einer prächtig bunten Angelegenheit.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eritrea ist ein altes Kulturland am Horn von Afrika. Die Landesküche ähnelt der des benachbarten Äthiopien, weshalb das "Rote Meer" Gerichte aus beiden Ländern anbietet.

Von Karl-Heinz Peffekoven

Nur mal angenommen, sinniert Peffekoven, man würde jemanden, der keinen Schimmer hat, wo auf der Welt er sich befindet, an diesem Ort aufwecken und tippen lassen. Vielleicht würde dieser jemand Brooklyn sagen oder ein pakistanisches Viertel in London oder die Banlieue von Paris, vielleicht sogar Addis Abeba. Aber nein, es ist München, sehr nahe an Deutschlands teuerster City, von der hier im Hinterhof des Restaurants "Rotes Meer" nicht einmal etwas zu ahnen ist.

Der Hinterhof ist nicht sehr breit, die Häuser sind hoch, und zwei Laubbäume breiten ein wundersames Dach über den Tischen aus. In der Ecke stapeln sich Baumaterialien, im Hinterhaus scheint sich ein Beauty Salon zu befinden. Willkommen im Freisitz des Restaurants "Rotes Meer", auf den an der vielbefahrenen Lindwurmstraße nichts hinweist. Wer draußen sitzen will, muss das dem überaus freundlichen Mann an der Bar sagen, dann geht er mit einem hinaus und schließt ein schweres Gittertor zum Hof auf und führt die Gäste eine lange Einfahrt entlang, dann ums Eck. Peffekoven will nicht missverstanden werden: Es ist ein sehr poetischer, in seiner phänomenalen Unfertigkeit auch dezidiert unmünchnerischer Ort.

Drinnen ist das Restaurant karg möbliert, bunte Lichtmuster tanzen über die Decke, Afropop ertönt, und die Gäste waren bei Peffekovens Visiten überwiegend Eritreer, wie es aussah; freundliche Menschen übrigens, die ihm Musiktipps gaben, wo auf Youtube welcher Sänger zu sehen sei.

Rotes Meer: Drinnen ist das Restaurant karg möbliert, die Gäste sind wohl überwiegend Eritreer.

Drinnen ist das Restaurant karg möbliert, die Gäste sind wohl überwiegend Eritreer.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eritrea ist ein altes Kulturland am Horn von Afrika und leider von der jüngeren Geschichte und der Gegenwart gar nicht verwöhnt. Dementsprechend wenig bekannt ist hier die Landesküche. Diese ähnelt der des benachbarten äthiopischen, weshalb das "Rote Meer" Gerichte aus beiden Ländern anbietet. Auf den Tisch kommt eine große Platte voller Fladenbrote, leicht gesäuerte Ingeras, und eine Schüssel dickflüssiger Eintopf. Jeder Gast bricht sich das Brot ab und nimmt damit etwas aus der Schüssel, wobei hier aus Rücksicht auf europäische Essgewohnheiten jeder sein eigenes Töpfchen bekommt. In Eritrea gilt es übrigens als ausgesprochen schlechtes Benehmen, mit den Fingern die Lippen zu berühren.

Jedes Bällchen, jede Sauce scheint ihre eigene Farbe zu haben. Ein Abendessen im größeren Kreis wird zu einer prächtig bunten Angelegenheit - und zu einer wohlschmeckenden, denn gekocht werden die Speisen, auch wenn das Lokal sehr schlicht wirkt, auf beachtlichem Niveau. Bei den Vorspeisen überzeugte die Kintsche, Gerste in gewürzter Butter mit verschiedenen Kräutern sowie Ye' Siga Sambusa, sehr würzige Teigtaschen, gefüllt mit pikantem Rindfleisch, Zwiebeln und Kräutern. Oder man bestellt einen Teller gemischte Vorspeisen und mag gar nicht anfangen, so schön harmonieren die Farben.

Rotes Meer: Ein Besuch im "Roten Meer" ist ein kleines Gastro-Abenteuer, aber es lohnt sich.

Ein Besuch im "Roten Meer" ist ein kleines Gastro-Abenteuer, aber es lohnt sich.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Hauptspeisen funktionieren nach dem Prinzip: Man nimmt ein Stück des sauren Teigfladens, der zunächst etwas bitter und ungewohnt schmeckt - keine Sorge, das Ingera harmoniert fantastisch mit den Eintöpfen! -, und taucht es ein. Ausgezeichnet war das als eritreisches Nationalgericht angeführte Il Dorowot: eine zarte Hähnchenkeule, geschmort in scharfer Sauce mit Gewürzen und Kräutern, dazu serviert wird Frischkäse und ein hart gekochtes Ei.

Die meisten Hauptgerichte sind Varianten davon, allerdings in erstaunlicher Geschmacksvielfalt: Statt in der scharfen Sauce gibt es die Hühnerkeule (wahlweise auch Hähnchenbrust) auch in milder, mit Kurkuma gewürzter Ausführung. Doro Tips ist wieder anders zubereitet: mariniertes und gebratenes Huhn mit Zwiebeln, Tomaten, Peperoni und Gewürzen. Die Schärfe kann man selbst bestimmen beim Bestellen. Dieselben Gerichte gibt es auch mit Rindfleisch ("von zartem alpenländischen Rind", so verheißt die Karte, und es war wirklich sehr zart) oder Lamm.

Die SZ-Kostprobe

Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online und mit einer Bewertungsskala. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fastfood-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: Nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können. SZ

Für Vegetarier testete die Runde drei Hauptgerichte, sämtlich sehr gelungen: Atikltwot (mildes, im eigenen Saft geschmortes Gemüse mit frischen Kräutern), dann Misirwot (geschälte braune Linsen in pikanter Sauce mit Frischkäse) und Schirowat ("das vegetarische Nationalgericht"): gemahlene Erbsen in gewürzter Sauce, dazu Tomaten und Gurkensalat, erfrischend und pikant zugleich. Es muss also nicht immer Fleisch sein.

Ein Besuch im "Roten Meer" ist ein kleines Gastro-Abenteuer, aber es lohnt sich. Die Preise sind für Münchner Verhältnisse anständig (Vorspeisen ab 6 Euro, Hauptspeisen ab 11,50 (vegetarisch) und 13,90 (Huhn), das zuckersüße, verführerische Baklaba mit Honig und Zimt als Dessert 3,80 Euro. Es gibt auch eine kleine, aber feine Auswahl südafrikanischer Weine. Das Personal ist überaus freundlich und erklärt gern alle Gerichte und heimischen Esssitten. Das können sie besser als Peffekoven, also: einfach ausprobieren!

Rotes Meer Restaurant, Lindwurmstr. 33, Tel. 20565075, www.rotesmeer-restaurant.de, Öffnungszeiten: Mo, Mi, Do 16 bis 23.30 Uhr, Fr, Sa: 14.30 bis 0 Uhr, So: 14.30 bis 23.30, Ruhetag: Dienstag

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