Shopping vor dem Shutdown:"Amazon hängt im Sommer keine Geranien ans Haus"

Shopping vor dem Shutdown: Am dritten Adventssamstag bleibt es in der Münchner Innenstadt meist übersichtlich. Schlangen bilden sich nur vor einigen wenigen Geschäften.

Am dritten Adventssamstag bleibt es in der Münchner Innenstadt meist übersichtlich. Schlangen bilden sich nur vor einigen wenigen Geschäften.

(Foto: Stephan Rumpf)

Hektische Shoppingtouren, bevor alles schließt? Im Gegenteil: In der Münchener Innenstadt herrscht am Samstag Leere. Viele Händler fürchten: Ihr Geschäft hat längst ein anderer übernommen.

Von Tom Soyer

Schlag zehn Uhr öffnen in der Münchner Fußgängerzone die meisten Geschäfte, am dritten Einkaufssamstag im Advent ist das gemeinhin immer der Startschuss für eine Shopping-Orgie der Massen gewesen. Diesmal: Einige wenige stehen bei nasskaltem drei Grad Celsius vor einen Herrenausstatter. Die ersten betreten den Laden, desinfizieren sich die Hände am Eingang und haben das Reich der Sakkos, Hemden, Hosen und Pullover auf 9000 Quadratmetern Verkaufsfläche vorerst quasi für sich alleine. Viele Verkäuferinnen und Verkäufer, noch viel mehr Platz - und ein sorgenfreier Einkauf, was die allgegenwärtige Corona-Disziplin angeht.

Auf einem kleinen Bistrotisch neben dem Eingang liegt ein Handy, in das die Zu- und Abgänge der Kunden eingetippt werden. Maximal 440 Kunden erlaubt das Hygienekonzept, doch auch mittags um 14 Uhr steht das Display erst auf "281". Das ergibt dann einen Füllungsgrad, bei dem das hausinterne Warnsystem noch längst nicht aktiviert werden muss: Gedrängel an den Kassen ist nicht zu befürchten. 281, das sei aber immerhin "schon viel besser als vor zwei Wochen", sagt die Nachwuchskraft am Eingang.

Sehnsucht nach Gewissheit

Das Weihnachtsgeschäft sei "bisher deutlich schlechter, als noch im August erhofft - wir hatten uns erwartet, dass mehr Erholung eintritt", sagt David Thomas, der Verkaufschef. Stattdessen kam der "Lockdown light", und aus der Politik wird zum Wochenende die Forderung nach einem kompletten Lockdown wie im März und April unüberhörbar. Die Unsicherheit sei "katastrophal", sagt Thomas. Die 300 Menschen, die für das Bekleidungshaus arbeiten, bräuchten ebenso wie die Firmenleitung Gewissheit, um planen zu können. Die gebe es nur leider nicht. Dafür Informationshäppchen aus den Medien.

Schwierig. Zumal in einer Zeit, in der draußen vor dem Haus kein Christkindlmarkt das Publikum in die Innenstadt lockt. Schon im Oktober waren nach einer Erhebung von "City-Partner", dem Verbund des Münchner Innenstadthandels, 72 Prozent weniger Touristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Stadt - nun könnten es noch weniger sein. In der Fußgängerzone seien insgesamt "50 bis 60 Prozent" weniger Kunden unterwegs, schätzt man bei dem Herrenausstatter.

Den Samstag über bestätigt sich Thomas' Statistik in einer Klarheit, die alle Infektiologen begeistern wird. Mögen auch vor dem Mode-Discounter, vor Saturn, Zara und Apple teils beträchtlich lange Schlangen im Nieselregen stehen, der Marienplatz ist um 12 Uhr, zur Glockenspielzeit, wie leergefegt. Nur gut 40 Menschen richten den Blick nach oben auf das Schauspiel, eher mit 15 Metern Abstand zueinander als mit 1,5. Ein ziemlicher Gegensatz zu den vollen Budenstraßen der Vorjahre auf dem Christkindlmarkt. Um in der Infektiologen-Bewertung zu bleiben: Die Münchnerinnen und Münchner sind an diesem Samstag vernünftig und vermeiden Kontakte. Oder sie vermeiden das Geldausgeben in einem schwierigen Jahr. Weiß man ja nicht so genau. Sie shoppen jedenfalls nicht, als ob am Montag schon alle Läden dichtgemacht würden.

Shopping vor dem Shutdown: David Thomas, Verkaufsleiter beim Herrenausstatter Hirmer: "Das aktuelle Weihnachtsgeschäft fühlt sich nicht an wie ein Weihnachtsgeschäft."

David Thomas, Verkaufsleiter beim Herrenausstatter Hirmer: "Das aktuelle Weihnachtsgeschäft fühlt sich nicht an wie ein Weihnachtsgeschäft."

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Tristesse trotzt David Thomas mit seinem Team dennoch, lehnt sich strahlend an den VW-Käfer im Eingangsbereich fürs Foto und berichtet stolz, wie fair im Familienunternehmen mit Kurzarbeit umgegangen werde. Verkäufer arbeiteten teils auf Provisionsbasis, und weil das vom Kurzarbeitsgeld ja nicht ausgeglichen werde, sei "abgefedert" worden. Ebenso seien Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die Belegschaft auf die Monate umgelegt und damit "gerettet" worden.

"Amazon hängt keine Geranien ans Haus"

Einen Notfallplan für einen erneuten Lockdown gebe es bereits seit April. Da saß der Schock der ersten Schließung so tief, dass vorsichtshalber gleich für die Zukunft gearbeitet wurde. "Das aktuelle Weihnachtsgeschäft fühlt sich nicht an wie ein Weihnachtsgeschäft", sagt der Verkaufsleiter. Er sieht aber auch Positives. Etwa die "Treue der Stammkunden zum Traditionshaus" - das sei eine der Stärken des lokalen stationären Handels. Und wenn er diese Begriffe verwendet, dann natürlich in Absetzung zum großen Gegenspieler: dem Onlinehandel von Konzernen im Netz. Da kommt der in Haidhausen verwurzelte Verkaufsleiter in Fahrt und wird energisch. "Ja, klar, einige werden nicht in die Innenstadt kommen zurzeit", das sei in einer Pandemie auch verständlich. "Was ich mir dann aber wünschen würde, ist, dass sie dann wenigstens lokal online kaufen - sie kennen doch ihre guten Traditionsgeschäfte schon!" Bei denen könne man ja auch digital kaufen. Er habe gerade wieder Lob von dankbaren Kunden bekommen für den neuen Online-Service, sich bei einem vorab gebuchten Termin von einem "Personal Shopper" via Internet in Wort und Bild beraten zu lassen. "Amazon hängt im Sommer keine Geranien ans Haus, und schmückt die Innenstadt nicht weihnachtlich", fährt Thomas fort. "Das sind aber alles Anstrengungen, die den Charme einer Innenstadt ausmachen!"

Und wie reagiert die Kundschaft auf die lauter werdende Debatte um eine Schließung des Handels womöglich noch vor Weihnachten? Da und dort spielt das eine Rolle, aber so etwas wie hektische Torschlusspanik kommt in der Innenstadt gewiss nicht auf. Leicht abzulesen auch an der kostenlosen Gepäck- und Packerl-Aufbewahrung des MVV vor dem Jagdmuseum. "Sehr ruhig, sehr friedlich" beschreibt ein Mitarbeiter im MVV-Packerlbus dort die Lage, die Anzahl der deponierten Pakete ist überaus überschaubar, und auch zum Abstandhalten in der Schlange kommt es nicht. Mangels Schlange.

Bei den edleren Akustikgitarren in einem Musikhaus fragt eine junge Kundin, die sich noch nicht so ganz festlegen kann auf ihr neues Instrument, ob denn "auch bei einem Lockdown noch online gekauft und verschickt werden könne"? Lockdown sei Lockdown, da gehe dann wohl nichts, entgegnet die Verkäuferin. Die junge Frau verlässt den Laden erst einmal ohne das edle Teil mit knapp vierstelligem Preis.

Als vorausschauendes gesteigertes Käuferinteresse, solange noch gekauft werden kann, könnte man noch am ehesten die Situation in der Spezialabteilung "Fondue-Sets" in einem Haushaltswaren-Laden bewerten. Dort, wie auch bei den teuren Küchenmaschinen und den Espressomaschinen herrscht offenbar vorm Fest noch stärkere Nachfrage.

David Thomas jedenfalls graust es einigermaßen, wenn bei ihm noch einmal dicht gemacht werden muss, so wie damals wie am 18. März um 20 Uhr. "Das steht uns vielleicht nun ein zweites Mal bevor, es wird sich nicht anders anfühlen - und es sollte nicht zur neuen Normalität werden."

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