Süddeutsche Zeitung

Münchner Universität:Die Bibliothek der 80 Sprachen

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Das neue Philologicum der LMU ist gleichermaßen monumental wie modern. Der Bestand umfasst 430 000 Bücher, Zeitschriften und andere Medien - und es gibt dort erstaunlich viele Arbeitsplätze.

Von Sabine Buchwald

Von außen reiht sich das neue Philologicum prächtig in die Optik der Bauten entlang der Ludwigstraße ein. Das Haus steht an der Ecke Schellingstraße, schräg gegenüber der Staatsbibliothek und hat sechs Jahre Planungs- und Bauzeit hinter sich. Die Fassade im monumentalen Stil, wie es Ludwig I. von seinem Architekten Friedrich von Gärtner wünschte, ist für die Gegend derzeit noch ungewöhnlich makellos. Bislang hat niemand einen Tag oder Graffito aufgesprüht.

Das Gebäude umgeben noch Bauzäune, denn richtig los geht es erst am Montag, 30. September. Dann dürfen Dozenten und Studenten der Ludwig-Maximilans-Universität (LMU), aber auch alle anderen an Wörtern und Sprachen Interessierten, den hochmodernen Bibliotheksbau im klassizistischen Mantel für sich nutzen. Er ist rechtzeitig zum Start ins Wintersemester fertig geworden. Die Bücher wurden neu klassifiziert und in einer Zeit von weniger als drei Monaten umgezogen.

Gärtner hatte das monumentale Haus von 1833 bis 1835 für das Münchner Blindeninstitut gebaut. Zuletzt hatten sich dort seit Anfang der 1970er-Jahre einige Institute der LMU, etwa die Theaterwissenschaften und die Romanistik samt ihrer Bibliotheken eingerichtet. Doch die Zeit der kleinen, bisweilen intimen Bibliotheken der Sprach- und Literaturwissenschaftler gehört zur Vergangenheit. Mit der Eröffnung des Philologicums sind die Bücher aller sprachwissenschaftlichen Institute, die früher auf sechs Liegenschaften der LMU verteilt waren, nun unter einem Dach. Das sind gut 430 000 Medieneinheiten, also nicht nur Bücher, sondern auch Zeitschriften, CDs und DVDs gehören zum frei zugänglichen Präsenzbestand.

Damit dürfte das Philologicum die größte Freihandbibliothek Münchens geworden sein. Medien in 80 verschiedenen Sprachen, denn an der größten Fakultät der LMU kann man neben klassischer Philologie und Komparatistik Nischenfächer wie Uralistik oder Albanologie studieren. Insgesamt stehen auf knapp 6000 Quadratmetern Hauptnutzfläche mehr als 14 Kilometer Regale, das ist etwa die Strecke vom Marienplatz nach Aubing. In diesen vielen Regalmetern reihen sich auch die 17 000 Bände für die studentische Ausleihe und die 25 000 Bücher aus dem 16. bis 19. Jahrhundert.

Das Gebäude beherbergt einen Eltern-Kind-Raum - und doppelt so viele Arbeitsplätze wie gedacht

Die Hülle des Gebäudes atmet Geschichte, doch das Innere ist nach Einrichtungsstandards konzipiert, die man vor zehn Jahren in München wohl nicht für möglich gehalten hätten. In die hohen Räume wurden offene Zwischengeschosse eingezogen, sodass sieben Etagen entstanden sind. Hochwertige Naturmaterialien dominieren, Glas ist nur da verbaut, wo Licht und Einblick nötig sind. Der Boden im Eingangsbereich und im Treppenhaus ist aus beigefarbenem Naturstein, in den Leseräumen läuft man auf rohem Holzparkett. Überall ist Eiche: Tresen, Regale und Tische sind aus diesem Holz gebaut, die Wände damit verschalt. Mikroperforierung soll den Schall schlucken, denn man darf hier lesen - und soll auch sprechen dürfen. Stühle in Blautönen wirken wie Farbpunkte.

Drei große Zonen dominieren: offen einsehbare Zonen für die Bücher, ein Bereich für stilles Studieren und immer wieder Möglichkeiten für ein konstruktives Miteinander, für Teamwork. Insgesamt stehen gut 740 Lese- und Arbeitsplätze zur Verfügung. Das sind fast 100 Plätze mehr als man etwa in der Philologischen Bibliothek in Berlin zur Verfügung stellt. In der Hauptstadt haben Foster und Partner aus London gebaut, in München Cukrowicz Nachbaur Architekten aus Bregenz. Das im Vergleich zu den britischen Stararchitekten viel kleinere Büro hatte sich 2014 gegen mehr als 40 Mitbewerber durchgesetzt - später konnten die Österreicher auch im Wettbewerb um den neuen Konzertsaal für München überzeugen.

Nun aber steht ihr Name erst einmal in Zusammenhang mit dem Philologicum. Es sei ein glücklicher Prozess der Planung gewesen, in dem man sich gegenseitig aufmerksam zugehört hat, sagt Klaus-Rainer Brintzinger, Leiter der Universitätsbibliothek, von der das Philologicum nun ein Teil ist. So kam es, dass mehr als doppelt so viele Arbeitsplätze wie ursprünglich gedacht zur Verfügung stehen; außerdem ein Eltern-Kind-Raum, ein Raum für Sehbehinderte und Einzelkabinen, die bis zu einem Monat mieten kann, wer an einer Abschlussarbeit sitzt. Der Bau ist mit 38 Millionen Euro etwa im Rahmen der Kalkulation geblieben. Eine Investition für die Zukunft: Trotz Digitalisierung, oder vielleicht gerade deshalb, werden Bibliotheken immer stärker frequentiert, so Brintzinger. Ein Bewusstseinswandel, der mit den neuen Lehrmethoden korrespondiert: weg vom Einzelkämpfertum, hin zu gemeinschaftlichem Lernen.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2019
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