Süddeutsche Zeitung

St.-Vinzenz-Haus:Früher Kloster, heute Klinik

Vier Jahre lang wurde es saniert, nun hat das St.-Vinzenz-Haus wieder geöffnet. Das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität macht dort nun Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen psychiatrische Angebote.

Von Nicole Graner

Einst war es das Mutterhaus des Ordens der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul. Als die Schwestern 2007 das Haus an der Nußbaumstraße verließen und in Berg am Laim in einem neuen Kloster ihre neue Heimat fanden, ging es an den Freistaat Bayern zurück, die Kirche wurde, wie es heißt, profaniert. 2018 begannen die Sanierungsarbeiten. Nach nur vier Jahren Bauzeit ist am Donnerstag das St.-Vinzenz-Haus des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) eröffnet worden.

Auf drei Etagen gibt es nun Ambulanzen, Tageskliniken, Therapie- und Büroräume - ein neues Angebot der psychiatrischen Versorgung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In hellen, freundlichen Räumen, die noch immer den Geist des ehemaligen Klosters atmen. Mitten im Zentrum Münchens.

Der besondere Geruch alter Klostermauern

Es stimmt. Wenn man in der ehemaligen Kirche, im heutigen Friedrich-von-Gärtner-Saal, für einen Moment die Augen schließt, glaubt man den typischen Geruch eines sakralen Raums zu erschnuppern. Eine Mixtur aus Weihrauch, Kerzen und alten Mauern. Rosa Maria Dick, Generaloberin der Barmherzigen Schwestern, ist fest davon überzeugt, dass es so ist. "Denn die Mauern", sagt sie auch in ihrer Ansprache am Eröffnungstag fast poetisch, "sind durchbetet".

Und sie erinnert sich. Am 5. Februar 2005 feierte die Klostergemeinschaft in der Kirche ihren letzten Gottesdienst. "Es war nicht leicht und mit vielen Emotionen verbunden", sagt Schwester Rosa Maria. Die Kirche habe viel erlebt, sei die Seele des Hauses gewesen. Mehr als 6000 Schwestern hätten ihr Gelübde abgelegt und ihr Ordenskleid erhalten. Wie sie selbst im Jahr 1975. Da war sie 21 Jahre alt.

Als das sanierte Haus fertig war, durften die 70 Schwestern ihr ehemaliges Mutterhaus besuchen, in Ruhe den Spuren ihrer Geschichte nachspüren. Das sei "wunderbar" gewesen, sagt die Generaloberin. Da sei ihr altes Dachzimmer gewesen, ihr altes Bad, ja, natürlich auch die ehemalige Kirche. Alles modern und in einem neuen Gewand. Alles, und jetzt hört man die Freude aus ihrer Stimme, sei "wunderschön" geworden. Die Schwestern seien an diesem Tag "erfüllt" aus ihrem alten Mutterhaus herausgegangen.

"Wunderschön", die Beschreibung trifft es gut. Denn behutsam hat man nach Plänen des Teams um Kai Otto Architekten saniert. Mit dem Gespür für das Alte, hat bewahrt, was möglich war. Im neuen Saal, in dem vier große Leuchtkreise wie überdimensionierte Heiligenscheine von der Decke schweben, sind noch die alten Türen, die alten Fenster zu sehen. "Insgesamt 18 historische Kastenfenster mit Originalgläsern konnten erhalten werden", sagt die Leiterin des Staatlichen Bauamts München 2, Barbara Langer. Und da ist der Fußboden, der heute noch genauso glänzt wie auf einem alten Foto des Klosters. Solnhofer Fußbodenplatten sind es. Sie wurden nach der Sanierung wieder eingebaut.

"Befund 1". So steht es auf einem kleinen Zettel, der an einem Rundbogen in den Gängen klebt. Die bemalte "Girlande"- auch sie hat man freigelegt. Die Behandlungsräume - im ersten Stock für die Kinder und Jugendlichen - sind farblich gekennzeichnet: leuchtendes Lindgrün, Orange oder Meeresblau. Rosa Maria Dick freut sich über die Farben, über das "frohe Grün". Helles Holz, heller Stein, Glas und viel Licht. Für die Seele wohltuend.

Wie auch der schöne Innenhof, in dem noch, sehr zur großen Freude von Schwester Rosa Maria, eine Muttergottes aus den Tagen des Klosters steht. Und dann der Blick nach draußen: Der Garten mit Rundgang, kleine Buchsbaumhecken in Kiesbetten. Und eine riesige Zitrone. Wie zufällig hingeworfen liegt sie im Hof, mit silberner Verästelung. "Florentina", eine Skulptur von Susanne Pittroff, soll ein energiespendendes Symbol sein.

1839 hat Friedrich von Gärtner das Mutterhaus gebaut. Schon 1932 seien die ersten Schwestern Ignatia und Appollonia aus Straßburg gekommen, berichtet Generaloberin Rosa Maria Dick. Sie sollten die Krankenpflege im damaligen allgemeinen Krankenhaus übernehmen. Dem Ordenspatron Vinzenz von Paul ging es um den Menschen, um Hilfe für Kranke, Notleidende, Sträflinge, Hungernde, aber auch psychisch Erkrankte. "Es ist gut", freut sich die Schwester, "dass dieser Gedanke in diesen Mauern weiterlebt."

Es ist ein Ort der Stille, mitten im Lärm der Stadt. Markus Lerch, Ärztlicher Direktor des LMU-Klinikums, ist "begeistert" vom neuen St.-Vinzenz-Haus. Wie auch Peter Falkai, der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie. "Das St.-Vinzenz-Haus ist ein Geschenk für uns und für unsere Patienten." In Zeiten von Corona und des Ukraine-Krieges sei eine Erweiterung der Versorgung "extrem nötig" gewesen, sei es wichtig, den Menschen "effizient und schnell" helfen zu können. Im Bereich der Migrationsambulanz, der Demenz, aber auch der Sucht- und Drogennachsorge sowie der Forschung. Dass Garten und Innenhof für alle offen sind, freut Falkai besonders. Einer von vier Menschen habe eine psychiatrische Erkrankung, sagt Falkai. Für ihn gehöre die Psychiatrie deshalb "in die Bevölkerung". Also mitten hinein.

Die Hausärzte sind immer die ersten Ansprechpartner

Auch das Institut für Allgemeinmedizin hat Räume im neuen Haus. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts, sieht darin eine große Chance und Synergieeffekte. Denn die erste Begegnung eines psychisch erkrankten Patienten sei die mit dem Hausarzt. Was können Hausärzte besser machen? Wie schneller erkennen? "Diese Kompetenzen zu intensivieren und dem Patienten umfassend zu helfen, ist jetzt noch besser möglich", sagt Gensichen. Denn vor der Einweisung und nach der Entlassung der Patientinnen und Patienten seien die Hausärzte Ansprechpartner.

Gesegnet ist das neue Haus nun auch. Und dass dieser Segen dazu beitrage, junge, kranke Menschen wieder gesund werden zu lassen, "das ist mir ein Herzensanliegen", sagt Schwester Rosa Maria Dick.

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