US-Gastwissenschaftlerin:"Die Alten haben viel nachhaltiger gelebt als die heutigen Generationen"

Lesezeit: 2 Min.

Kelly Bushnell stammt aus Kalifornien. Am Rachel Carson Center der LMU erforscht sie nun die Beziehung des Menschen zum Meer.

Interview von Martina Scherf, München

Kelly Bushnell, 32, stammt aus Kalifornien, lebt in Seattle und widmet sich in ihrer Forschung der Verbindung von Literatur und Kunst mit dem Wissen über die Meere. Seit August ist sie als Gastwissenschaftlerin am Rachel-Carson-Center für Umweltforschung der Ludwig-Maximilians-Universität. Dort arbeitet sie an einem Buchprojekt mit dem Kanadier Johnny Issaluk, der die traditionelle Kultur der Inuit erforscht. Sie ist begeisterte Wassersportlerin und hat schon Exkursionen in extrem abgelegene Regionen, etwa die Arktis, unternommen. In München tauchte sie als erstes im Eisbach ab.

SZ: Frau Bushnell, Sie haben in San Diego, London, Seattle gelebt. Was hat München, was andere Städte nicht haben?

Bushnell: Von meinen bisherigen Wohnorten ist München mit Abstand derjenige, der am weitesten vom Meer entfernt liegt! Aber ich vermisse den Ozean zur Zeit gar nicht, denn München hat so viel Wasser: den Fluss, die vielen Seen ringsum, es ist wunderschön. Und die Münchner scheinen es sichtlich zu genießen. Ich bin erstaunt, wie viele junge Familien ich draußen erlebe - und Studenten, die mit einem Bier in der Hand am Ufer liegen. So etwas ist in den USA ja verboten.

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Was war Ihr erstes Erlebnis?

Gleich in den ersten Tagen sah ich einen Mann mit Surfbrett auf dem Fahrrad. Da fühlte ich mich fast wie zu Hause! Meine Kollegen vom Rachel Carson Center nahmen mich dann mit, und wir gingen im Eisbach schwimmen, mitten in der Stadt! Seither gehe ich fast jeden Tag durch den Englischen Garten.

Sie kommen aus Kalifornien, da lernt man surfen, oder?

Ja, aber auf die Eisbachwelle habe ich mich noch nicht getraut. Vielleicht probiere ich es noch. Ich gehe mehr tauchen und rudern. Über den Eibsee bin ich schon gerudert, mit Blick auf die Zugspitze.

Sie forschen über literarische Überlieferungen vom Leben am Wasser. Was können wir von den Alten lernen?

Ob es die Inuit in Alaska sind oder die Fischer auf dem Chiemsee: Die Alten haben viel nachhaltiger gelebt als die heutigen Generationen. Sie haben ein ökologisches Wissen, das an vielen Orten fast verloren gegangen ist. In ihren Erzählungen kommt das vor: Dass man nicht mehr Fische fängt, als man selbst braucht, damit der natürliche Kreislauf nicht gestört wird, zum Beispiel. Dass man seinen Lebensraum nicht vermüllt oder vergiftet. Dass der Mensch Teil der Natur ist. Ich möchte erreichen, dass wir dieses traditionelle Wissen wieder in die akademische Forschung integrieren.

Wen möchten Sie kennenlernen?

Einheimische vor allem, auch wenn die Sprache ein Hindernis ist. Aber ein bayerisches Wort habe ich schon gelernt: Kummerspeck. Was für ein wunderbares sprachliches Sinnbild. Übrigens: Ich liebe das bayerische Essen, je kälter es draußen wird, desto mehr wärmt es von innen.

Welche Vorurteile von München haben Sie gehört?

Keine, vielleicht bin ich noch zu kurz hier. Dass München teuer ist, okay, aber London ist noch teurer.

Wären Sie lieber zu einer anderen Zeit nach München gekommen?

Nein. Ich finde, wir leben in einer aufregenden Zeit. Politisch ist Vieles durcheinander gewirbelt, aber meine Studenten geben mir Hoffnung, dass wir die Welt zum Besseren wenden können. Ich finde Fridays for Future großartig. Meine Kollegen hier vom Rachel Carson Center sind zu der großen Demo in München gegangen, ich war leider nicht da.

Welche Spuren werden Sie hinterlassen?

Wir kommen hier mit Forschern aus aller Welt zusammen, von Australien über Asien, Afrika, Europa bis Amerika. Da entstehen Netzwerke. Und unser Buch wird während des halben Jahres hoffentlich weit gedeihen. Die Idee haben Johnny und ich auf einer Grönland-Exkursion geboren. Aber später werden wir sagen können: Es ist in München gereift.

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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