Süddeutsche Zeitung

Buchpremiere von Friedrich Ani:Die Lügen so vieler Männer

Der Münchner Schriftsteller Friedrich Ani macht Gewalt gegen Frauen zum zentralen Thema seines neuen Krimis. Diesen stellt er am Mittwoch im Literaturhaus per Stream vor.

Von Antje Weber

"In meinem Spiegel taucht jeden Morgen eine Frau auf, der ich nicht traue." Das ist ein erster Satz, mit dem sich wohl viele, insbesondere nicht mehr ganz jugendliche Frauen identifizieren können. Vielleicht auch Männer, schließlich gibt es den albernen Spruch eines in den Spiegel schauenden Mannes: "Ich kenne dich nicht, aber ich rasiere dich trotzdem." In Friedrich Anis neuem Roman "Letzte Ehre" (Suhrkamp) jedenfalls, der ganz und gar nicht albern ist, dominiert erstmals die Perspektive einer Frau: Fariza Nasri, 58, gibt als Ich-Erzählerin ungeschönte Einblicke in das Leben und Leiden einer Oberkommissarin.

Fans von Friedrich Ani - und der Münchner Schriftsteller hat viele - kennen Fariza Nasri bereits aus dem Krimi "All die unbewohnten Zimmer" aus dem Jahr 2019. Damals musste sie sich die Aufmerksamkeit mit drei männlichen Stamm-Ermittlern aus dem Ani-Kosmos teilen. Jetzt lernen die Leserinnen und Leser die Frau mit den vielen Facetten noch um einiges besser kennen. Ani beschreibt ihre grauen Strähnen, die "Bürde des Gewichts", ihre weit geschnittenen Blusen mit aufgestelltem Kragen; hinter dieser auf seriös getrimmten Fassade jedoch bröckelt es, toben die Emotionen. Und angesichts der Herausforderungen, denen sich Nasri in diesem Krimi stellen muss, ist das kein Wunder.

Alles beginnt mit einer Vermisstenmeldung: Eine Siebzehnjährige ist nach einer Party in einem Truderinger Reihenhaus verschwunden und allen Indizien nach nicht mehr am Leben. Schnell gerät der neue Lebensgefährte der Mutter in den Fokus. Dass Stephan Barig ein unangenehmer Typ ist, ein Frauenaufreißer der übleren Sorte, ist schnell klar. Doch hat er das Mädchen tatsächlich umgebracht? Bei den Vernehmungen des Mannes und seiner Kumpels, die Ani in gewohnt schnellen Dialogen gegeneinander schneidet, werden noch ganz andere Verdächtigungen plausibel. Und eine interessante Zeugin taucht auf, einer dieser einsamen, verlorenen Menschen aus schwierigen Verhältnissen, wie sie Ani immer wieder unnachahmlich in seinen Romanen beschreibt. Die Wunden, die dieser absturzgefährdeten Frau in ihrer Jugend zugefügt wurden, schwären immer noch - und Männer der übleren Sorte tragen Schuld daran.

Die verschiedenen neuen und alten Fälle, die Ani in diesem Krimi aufrollt, haben alle mit Gewalt gegen Frauen zu tun, mit Übergriffigkeit, Missbrauch. Die Oberkommissarin hat damit selbst ihre Erfahrungen gemacht: Sie wurde, angeblich weil sie selbst einen Kollegen sexuell belästigt hatte, zwischenzeitlich in die Provinz strafversetzt. Zwar ist sie rehabilitiert und nach München zurückgekehrt, ins Kommissariat 101 in der berüchtigten Hansastraße, doch noch immer meinen es nicht alle Kollegen gut mit ihr.

Die Anspannung, unter der die Ermittlerin zunehmend steht, entlädt sich denn auch immer wieder auf bizarre Weise: Nasri fängt an zu bellen wie ein Hund. Irgendeinen Ausweg muss die Psyche ja finden, die Ani wie immer in ihren dunklen Schattierungen beschreibt. "Manchmal denke ich, das einzig Wahre in meinem Leben sind die Lügen", denkt Fariz Nasri einmal erschöpft. "Meine Lügen und die der Anderen, denen ich gezwungen bin zuzuhören." Wer allerdings garantiert nicht lügt, ist der Spiegel.

Friedrich Ani: Letzte Ehre, Buchpremiere am Mittwoch, 12. Mai, 20 Uhr, Literaturhaus, Stream-Tickets unter literaturhaus-muenchen.de

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SZ vom 06.05.2021/van/vewo
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