Süddeutsche Zeitung

Kultur:Was das 13. Literaturfest München zu bieten hat

Für das Forum der ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk reisen Kollegen von der Front an. Benedikt Feiten setzt bei einer "Münchner Schiene" auf multimediale Experimente. Und mit Herta Müller wird auch eine Nobelpreisträgerin zugegen sein.

Von Antje Weber

Eine junge Frau mit Nasenring, deren Augen eine Art Brett vorm Kopf verdeckt, wird vor blau-gelbem Hintergrund von einer Friedenstaube angeflogen und von Kritzeleien umschwebt. Die Collage, die Flyer und Plakate zum Literaturfest 2022 ziert, zeigt auf einen Blick, wofür es bei einer Pressekonferenz in dieser Woche etliche Worte brauchte: Das Programm des nunmehr 13. Festivals ist großangelegt und zugleich kleinteilig, Krieg und Frieden spielen eine zentrale Rolle, medienübergreifend und irgendwie jung wird es auch, und am Ende wird hoffentlich so manches Brett vorm Kopf jäher Erkenntnis gewichen sein.

Anders gesagt: Es verspricht zwischen 16. November und 4. Dezember wirklich an- und aufregend zu werden. Das Programm fühlt sich "vom Umfang und Gehalt her so an wie ein Festival in vor-pandemischen Zeiten", wie Literaturfest-Geschäftsführerin Tanja Graf im Literaturhaus sagt, "und doch hatten wir fünf Monate weniger Zeit für die Planung". Erst Ende März war klar, dass ein Festival inklusive eines Schwerpunkt-Forums tatsächlich umsetzbar ist; schleunigst wurde die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk als Kuratorin gewonnen, die Münchner Bücherschau neu beheimatet und gar erstmals eine "Münchner Schiene" aufgelegt.

Das Programm steht nun fest, der Vorverkauf läuft - komme, was wolle. Denn was auch immer der dritte pandemische Herbst bringen wird, das Programm soll ohne Einschränkungen stattfinden, so Graf; dank Streaming-Technik ist man zumindest im Literaturhaus für alle Szenarien gerüstet. Und auch wenn Kulturreferent Anton Biebl die bei vielen Kulturevents zu beobachtende "gewisse Zögerlichkeit" der Zuschauer beklagt, ist er sich sicher: "Wenn das Programm stimmt, dann sind die Häuser auch voll." Beim Literaturfest sei da bei ihm "kein Zweifel entstanden", weshalb das - von etlichen weiteren Kooperationspartnern unterstützte - Festival von der Stadt trotz Sparzwang "weiter uneingeschränkt" den Etat früherer Jahre erhält. Eine Erhöhung um einen "größeren fünfstelligen Betrag" gab es außerdem, für den neuen München-Schwerpunkt.

Doch von München aus gilt es doch erst einmal hinaus in die Welt zu blicken. In Tanja Maljartschuk als Forum-Kuratorin hat Tanja Graf eine Schriftstellerin gefunden, die "tiefere Strukturen in der aktuellen Krise erkennt". Ihr Motto "frei sein" braucht vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs keine weitere Erklärung, der Zusatz "Mitteleuropa neu erzählen" allerdings schon. Denn die seit mehr als zehn Jahren in Wien lebende Schriftstellerin nahm seit langem wahr, dass "die seit dreißig Jahren unabhängige Ukraine und ihre Kultur in der Vorstellung des Westens keinen selbständigen Platz" fand. Die Ukraine, nur ein "postsowjetischer Vasall Russlands"? Für Maljartschuk gehört das Land zu Mitteleuropa, in eine "unbestimmte Zone kleiner Nationen zwischen Deutschland und Russland, deren Recht auf Existenz und Selbstbestimmung immer wieder hinterfragt wird" und für deren Bewohner die vorherrschende Form der Reise leider immer wieder die Flucht ist.

Maljartschuk möchte das ändern und hat mehr als 20 ukrainische Schriftstellerinnen und Schriftsteller und weitere Künstler gewonnen, die teils unter großen Mühen anreisen werden - darunter so prominente Namen wie Andrej Kurkow, Juri Andruchowytsch und Friedenspreisträger Serhij Zhadan, der auch seine Ska-Punk-Band mitbringt. Doch es wird unter dem Titel "Als Schriftsteller an der Front" auch ein vermutlich atemraubendes Gespräch mit den Autoren Artem Chapeye und Artem Tschech geben, die derzeit selbst im Krieg kämpfen. Für ein Gespräch über das Wesen von Diktaturen wird Nobelpreisträgerin Herta Müller anreisen, Autoren wie Georgi Gospodinov, Sofia Andruchowytsch, Katja Petrowskaja oder Robert Menasse werden erwartet, ein Symposium umkreist "das Böse" an sich und die Kammeroper "Wassyl Stus" anhand des einstigen Dissidenten Stus den hohen Preis des Widerstands. Es sei "ein ziemlich politisches Programm" geworden und "eine intellektuelle Herausforderung", sagt Maljartschuk. Doch im Moment sei es eben am wichtigsten, in verschiedensten Konstellationen miteinander zu sprechen, Kontexte neu zu gestalten, Verbündete zu suchen: "Das hier ist mein Beitrag in das Projekt Europa, an das ich immer geglaubt habe und an das ich weiterhin glaube", schließt sie, "wo die Ukraine hingehört".

Wenn anschließend das Wort "heimatlos" in einem ganz anderen Kontext fällt, mag das zunächst seltsam anmuten. Heimatlos fühlte sich aber auch die Münchner Bücherschau in ihrem 63. Jahr, wie Klaus Füreder ausführt, Vorsitzender des Landesverbands Bayern im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Angesichts der Schließung des Gasteig suchte man neue Ausstellungsflächen für die traditionelle Bücherschau - und fand sie im Erdgeschoss des Literaturhauses, wo diesmal um die 100 Verlage mehr als 4000 Titel vorstellen werden. Die eine oder andere Veranstaltung wird auch im Haus stattfinden, zum Beispiel mit dem Geschwister-Scholl-Preisträger des Vorjahres, Joe Sacco. Und ein aktueller Preisträger wird bis dahin auch feststehen.

Weitere Veranstaltungen der Bücherschau werden in diesem Jahr ins HP8 ausgelagert, so Friederike Eickelschulte, die als Programmkoordinatorin zusammen mit Füreder den langjährigen Kurator Thomas Kraft abgelöst hat. Von Andrej Kurkow - als Klammer zum Forum - bis zu Krimi-Bestsellerautorin Charlotte Link reicht die Spannbreite, Amelie Fried oder Rafik Schami sind ebenso dabei wie Sachbuchautorin Andrea Wulf oder der Reisejournalist Michael Martin. Edith Offermann hat zudem in bewährter Weise ein reichhaltiges Kinder- und Familienprogramm zusammengestellt, das mit Autoren von Jonathan Stroud bis Kirsten Boie garantieren soll, dass das Literaturhaus "vibriert".

Dazu soll auch ein Festprogramm des Literaturhauses beitragen, das diesmal "die Literatur jenseits des geschriebenen Wortes" (Graf) in den Fokus nimmt - zum Beispiel mit Abenden mit der Münchner Autorin und Regisseurin Jovana Reisinger, mit Filmemacher Edgar Reitz oder zu Ehren Helmut Dietls. Womit man schon bei der "Münchner Schiene" wäre, die sich da als sehr "anschlussfähig" zeigt, wie deren Kurator Benedikt Feiten findet. Feiten, den man mit seinen 40 Jahren wohl nicht mehr guten Gewissens als "jungen Münchner Autor" bezeichnen sollte, hat ein allerdings doch recht jung und frisch wirkendes Programm zusammengestellt. Dass ihn die Aufgabe "mit Ehrfurcht erfüllt", ja "punktuell mit an Panik grenzender Nervosität", wird von seiner Vorfreude hoffentlich bald überlagert werden.

Denn zu Panik ist kein Anlass anlässlich eines multimedial bunt gemischten, experimentierfreudigen Programms, das in der Favorit-Bar oder dem Bellevue di Monaco einmal an anderen Orten andockt. Und vielleicht auch ein neues Publikum gewinnt: Im Bellevue zum Beispiel, diesem Wohn- und Kulturzentrum für (nicht nur) Geflüchtete, sollen an einem Abend zum Thema "Gemeinschaft" alle zusammen an langen Tafeln speisen und mittels kurzer Lesungen Impulse für gute Gespräche bekommen. Feiten ist es wichtig, dass im "ungewissen Ausgang" ein Risiko liegt, immer solle es eine "Chance auf Unerwartetes" geben. Und das gilt hoffentlich fürs ganze Festival: Es gilt schließlich, die Bretter vor unseren Köpfen wegzureißen.

Literaturfest München, 16. Nov. bis 4. Dez., Infos und Tickets über www.literaturfest-muenchen.de

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